Es muss nicht immer das Tier sein, das eine Allergie auslöst. Manchmal ist es auch das Tierfutter.

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Er hustet, ringt nach Luft und spürt Todesangst: So etwas ist dem 21-jährigen Münchner schon seit Jahren nicht mehr passiert. Eine schwere Allergie gegen Hausstaubmilben, Katzenhaare und Gräserpollen hatte ein Allergologe zwar vor Jahren bei ihm festgestellt. Doch das Asthma hat er eigentlich mit Medikamenten gut im Griff. Wirken die Mittel jetzt auf einmal nicht mehr?

Ulf Darsow, Allergologe und Oberarzt am Uniklinikum Rechts der Isar in München, erinnert sich gut an den jungen Mann. "Er konnte gar nicht verstehen, warum sich sein Asthma plötzlich verschlimmert hatte - dabei hielt er seine Wohnung möglichst staubfrei und besaß keine Katze." Allergien, die nur zu Hause auftreten, können viele Ursachen haben und sich ganz unterschiedlich äußern.

Manchmal löst Tierfutter die Allergie aus

Mit hartnäckigen Fragen machte sich auch Allergologe Darsow in diesem Fall auf die Suche nach der Ursache. Habe er vor den Attacken Staub gesaugt oder Rasen gemäht und so vielleicht Staub oder Pollen aufgewirbelt? Oder sich einen Hund angeschafft? Aber alles verneint der Mann. Der Arzt lässt nicht locker. "Der Wellensittich", fällt dem Mann plötzlich ein. Er werde immer dann von Hustenanfällen geschüttelt, wenn er den Käfig seines Vogels saubermache.

"Wir vermuteten zunächst eine Wellensittich-Allergie", erzählt Darsow. "Doch alle Haut- und Bluttests waren negativ. Also musste es etwas im Käfig sein." So ließ er testen, ob der Mann auf Bestandteile in Streu und Futter allergisch reagiert. Die kleine blaue Kugel im Futter war schließlich die Ursache. Das war Hirse, auf die der Mann heftig reagierte. Beim Füttern verursachte die trockene Hirse keine Probleme. Erst wenn beim Reinigen des Käfigs Wasser an das Futter kam und ein Aerosol bildete, gelangte es in die Atemwege und löste die Asthmaattacken aus.

Detektivarbeit

Die Suche nach den Auslösern in der Wohnung ist oft ziemlich aufwendig. "Wir müssen wie Detektive arbeiten, um die Diagnose zu finden", sagt Tilo Biedermann, Chef-Allergologe am Klinikum Rechts der Isar. Patienten mit Hirseallergie sieht er nur alle paar Jahre.

"Ich fahnde natürlich erst nach den häufigsten Übeltätern." Das sind zum einen Hausstaubmilben, genauer gesagt deren Kot. "Auf diese Fährte bringt mich, wenn die Betroffenen erzählen, sie hätten eine verstopfte Nase und morgens einen trockenen Mund", erzählt Biedermann. Führt ihn diese Spur nicht weiter, fahndet er nach der zweithäufigsten Ursache, einer Tier-Allergie. So bekam kürzlich ein 55-jähriger Patient auf einmal Asthma und Ausschlag an beiden Unterarmen. Der Mann hat die Beschwerden immer am Abend beim Fernsehen, und zwar dann, wenn seine Katze auf seinen Schoß hüpft und sich von ihm streicheln lässt - eine Katzenallergie.

Heftiger Juckreiz am ganzen Körper

Es gibt kaum ein Tier, das nicht Schuld sein könnte an häuslichen Allergien: Katze, Hund, Hamster, Meerschweinchen, Vogel oder Hase gehören zu den häufigsten, schwieriger wird die Diagnose bei den seltenen. So wie bei dem 44-jährigen Mann aus Zürich. Nachts werde er ab und zu durch heftigen Juckreiz am ganzen Körper wach, erzählt er dem Leitenden Allergologen an der dortigen Uniklinik, und beim Aufstehen werde ihm mitunter schwindlig.

Der Mann wundert sich, weil Peter Schmid-Grendelmeier wissen will, in welchem Stockwerk er wohne. Als der Mann erzählt, er wohne unter dem Dach, hat der Allergologe einen heißen Verdacht. Tests bestätigen: Der Mann ist allergisch gegen Taubenzecken, die in Nähe von Taubennistplätzen leben und nachts bei manchen Menschen Blut saugen.

"Wichtiger als Allergietests ist genau zu fragen, wann und unter welchen Rahmenbedingungen die Beschwerden auftreten", sagt Schmid-Grendelmeier. "Die Tests dienen vor allem als Bestätigung." So wie bei einer 17-jährigen Patientin. Die Schülerin schütteln Asthmaattacken immer nur beim Füttern ihrer Aquariumsfische. Schmid-Grendelmeier vermutet eine Allergie gegen rote Mückenlarven im Fischfutter – Haut- und Bluttests geben ihm recht.

Niesattacken beim Nähen

Bei einer 30-jährigen Doktorandin musste sein Kollege Biedermann ziemlich lange grübeln, bis er auf die Diagnose kam. Seit Monaten juckten der jungen Frau wochenweise die Augen und sie musste ständig niesen. Vermutlich eine Pollenallergie, sagte der Hausarzt. Aber Biedermann fand heraus, dass die Frau allergisch auf Heuschrecken reagiert. Mit diesen machte sie Versuche für ihre Doktorarbeit und kam so in direkten Kontakt mit den Insekten.

"Ich frage immer als erstes in Richtung Milben- oder Tierallergie", erzählt Jörg Kleine-Tebbe vom Allergie- und Asthma-Zentrum Westend in Berlin. "Komme ich damit nicht weiter, lasse ich mir die Einrichtung genau beschreiben." Als nächstes verdächtigt er Zimmerpflanzen wie Ficus, Hibiskus oder Yucca. Der Pflanzensaft wird über die Blätter an die Luft abgegeben und kann Heuschnupfen und Asthma auslösen, aber auch Ausschlag, wenn man den Saft auf die Haut bekommt.

"Heute sehen wir Zimmerpflanzen-Allergien viel seltener", sagt Kleine-Tebbe. "Die Leute stellen sich offenbar nicht mehr so viel Grünzeug in die Wohnung." Allergien zu Hause seien auch eine Modeerscheinung, sagt Biedermann, was man immer bei der Diagnose berücksichtigen müsse. "Als sich Teenager vor einigen Jahren Ratten über die Schultern laufen ließen, diagnostizierten wir plötzlich viel mehr Rattenallergien."

Manche der Hausallergien sind so selten, dass sie die Ärzte vermutlich nur einmal im Leben sehen. So wie Biedermann kürzlich bei einer Patientin, einer Schneiderin. Sie bekam immer wieder Niesattacken und rote Augen. Sie ist allergisch gegen Wildseide, und zwar gegen die darin enthaltenen Eiweiße der Seidenspinnerraupe. "Diese Eiweiße können ziemlich heftige Allergien verursachen", sagt Kleine-Tebbe.

Putzen oder Immuntherapie

Haben die Allergologen den Übeltäter gefunden, können sie meist nur raten, ihn zu meiden. "Bei einer Allergie gegen Pflanzen, Fisch oder Vogelfutter klappt das meist problemlos", sagt Schmid-Grendelmeier. "Aber auf das geliebte Haustier verzichten wollen nur wenige." So gibt er diesen Patienten Tipps, wie sie mit der Allergie besser leben können: Medikamente, die die Symptome lindern, und intensiven Kontakt mit Hund oder Katze vermeiden, etwa sie nicht im Bett schlafen zu lassen.

Bei Milbenallergie ist das Wichtigste, die Wohnung staubfrei zu halten: oft lüften, putzen und alte Teppiche und Sofas ausmisten. Ein weiteres Mittel sind Encasings – Schutzüberzüge für Matratzen, Kissen und Bettdecken. Sie sind so fein gewebt, dass der Milbenkot unter dem Überzug bleibt und nicht aufgewirbelt wird, wenn man sich im Schlaf wälzt oder morgens das Bett macht.

Bei Milben- und Katzenallergie gibt es zudem die Möglichkeit einer Immuntherapie. Mit regelmäßigen Spritzen über mehrere Jahre "lernt" der Körper, nicht mehr überempfindlich zu reagieren. "Die Impflösungen wirken leider noch nicht gut genug", sagt Biedermann. "Aber wir forschen intensiv daran, sie zu verbessern."

Bei Patienten mit Milbenallergie kommt eine Immuntherapie infrage, wenn der Betroffene sein Zuhause "entstaubt" hat, sich aber trotzdem von Milben nicht fernhalten kann - etwa weil er als Geschäftsreisender ständig in Hotels übernachten muss. Bei Katzenallergie empfiehlt Biedermann eine Immuntherapie, wenn die Betroffenen die Tiere nicht meiden können, etwa im Fall von Tierärzten. Wenn sich im Juni auf dem Europäischen Allergiekongress in Barcelona wieder hunderte Experten aus der ganzen Welt treffen, werden hoffentlich bessere Immuntherapien für die Innenraum-Allergien vorgestellt. (Felicitas Witte, derStandard.at, 5.3.2015)