Nein, hier geht es nicht um Nudeln. Penne nennt sich ein verschlafenes, steinernes Nest auf halber Höhe des italienischen Stiefels. Umrahmt wird es von Olivenhainen. Überhaupt wähnt man sich ein Stück weit in der Toskana, wären da nicht die schneebedeckten Gipfel der Abruzzen. Mitten im Ort liegt seit 1985 eine kleine Schneiderschule, wo der italienische Herrenausstatter Brioni seinen Nachwuchs zu Meistern der traditionellen Schneiderkunst ausbildet. Gegenüber vom Schulgebäude steht eine Barockkirche. Der Schutzheilige im Inneren des Gotteshauses trägt Nähzeug zwischen den Fingern, so wie die 16 Schüler der Scuola Sartoria Nazareno Fonticoli.

"Das Schneiderhandwerk liegt den Menschen aus den Abruzzen in den Genen" , sagt Emidio Fonticoli, der Koordinator der Schule, während er einem Schüler fürsorglich auf die Schulter klopft. "Es ist wichtig, dass man das Handwerk spätestens mit 14 Jahren anfängt zu erlernen. In diesem Alter hat man noch ein ganz anderes, intuitiveres Gespür in den Fingern" , erläutert er weiter.

Foto: Brioni

Kein Handy

Konzentriert sitzen die zehn Buben und sechs Mädchen in einem einfachen Raum. Man könnte eine der vielen Stecknadeln fallen hören. Ein Mädchen gibt sich liebevoll einem Knopfloch hin, der Bursche neben ihr ist mit einem Kragenstück beschäftigt. Ihre Finger sind auf der Hut. Weit und breit ist kein Computer zu sehen, die Mobiltelefone werden zu Unterrichtsbeginn abgegeben. Stattdessen gibt's Scheren, Kreiden und jede Menge Stoff. Drei Jahre verbringen die jungen Leute hier, dann geht's in eine der Produktionsstätten von Brioni, hernach für eine Zeit lang in eine der internationalen Brioni-Boutiquen.

Foto: Brioni

"Sieben bis acht Jahre dauert es, bis man ein guter Schneider ist", sagt Brioni-Chefschneider Angelo Petrucci (siehe Interview) und Absolvent des ersten Jahrgangs der Schneiderschule, während er durch eine Produktionsstätte Brionis, keine zehn Autominuten von der Schule entfernt, führt. "Su misura" heißt das Zauberwort, das hier über jedem Handwerker wie eine Wolke zu schweben scheint. Einer davon zeichnet Schnittmuster auf ein dunkelblaues Stück Stoff. Als er seine Kreidestriche beendet, ist da etwas zu sehen, das dem Grundriss eines Schiffes ähnelt, wie es ein Jules Verne hätte erfinden können.

Foto: Brioni

"Su misura", das ist das italienische Wort für Maßschneiderei. Petrucci erzählt von bis zu 7000 händischen Nadelstichen, die ein Jacket zusammenführen, er weiß, dass ein Anzug bis zu 78-mal auch per Bügeleisen in Form gebracht wird, ehe er die Produktion verlässt. Doch damit nicht genug: Zwischen 22 und 30 Stunden benötigt das Fertigen eines Brioni-Anzuges, der durch die Hände von 180 Personen geht.

Foto: Brioni

Petrucci ist ein Begeisterter, und schreitet man zwischen den einzelnen Stationen im Werk umher, wird einem ein beeindruckendes Stück Handwerkskunst gezeigt, etwas durch und durch Analoges in einer digitalisierten Welt. Der Stoff, den Petrucci aus einem Regal nimmt, fühlt sich fein an wie ein Palmkatzerl, ein bisschen warm und ein Stück weit, als würde er leben. "Tut er auch", sagt Petrucci. (Michael Hausenblas Rondo, DER STANDARD, 27.3.2015)