Angelo Petrucci in seinem Büro im italienischen Penne. Hinter ihm hängen Porträts von Kunden wie Usain Bolt und Gerhard Schröder.

Foto: Brioni

Elegant und gar nicht farbenscheu, auch dafür steht Brioni. Hier Anzüge aus der Sommerkollektion 2015.

Foto: Brioni

STANDARD: Über Ihrem Schreibtisch hängt ein Foto von Ihnen und dem 007-Darsteller Daniel Craig, dabei stieg James Bond von Brioni auf Tom Ford um. Sind Sie nicht sauer auf ihn?

Angelo Petrucci: Wir waren bei fünf Bond-Filmen dabei, der letzte war Casino Royale. Ich denke, die Produzenten wollten das Image ein wenig härter gestalten. Mir kommt dieser Bond nicht mehr so elegant vor, er geht eher in Richtung Mission Impossible. Bond ist nun weniger Gentleman, dafür dynamischer.

STANDARD: Ich gehe davon aus, dass so eine Kooperation mit Geld zu tun hat. Wie viel zahlte Brioni dafür, dass Bond Ihre Anzüge trug?

Petrucci: Gar nichts. Die Produktionsfirma hat für unsere Anzüge bezahlt. Wir bezahlen niemandem etwas dafür, dass er unsere Mode trägt. Es gibt von uns auch nichts geschenkt. Es gibt nicht einmal Testimonials.

STANDARD: Sie sind 90 Tage des Jahres für die Kundschaft auf der ganzen Welt unterwegs. Wie schaut so ein Trip aus?

Petrucci: Nächsten Freitag zum Beispiel fahre ich zu einem sehr wichtigen Neukunden nach London, einem wirklich wichtigen Mann ...

STANDARD: Sie sagen mir nicht, wer, gell?

Petrucci: Nein, aber so viel sag ich: Er ist in der Hochfinanz tätig. Ich werde ihn in seinem Büro treffen, das gehört zum VIP-Service. Dann werde ich ihn ein bisschen studieren, seine Art, seine Philosophie, auch das ist wichtig. Natürlich hab ich einige Muster und Vorschläge im Gepäck. Dieser erste Schritt dauert in der Regel zweieinhalb Stunden.

STANDARD: Was war der schrägste Wunsch, den ein Kunde je an Sie richtete? Ich weiß, Sie werden mir nicht sagen, wer diesen äußerte.

Petrucci: Genau. Ein Kunde wollte für seinen Sohn zehn Nadelstreifanzüge. Das Knifflige war, dass die Streifen am Revers für diese Anzüge im selben Verhältnis stehen sollten wie die Streifen auf seinem, viel größeren Anzug. Das ist gar nicht so leicht hinzukriegen, beim selben Stoff. Der Sohn war übrigens erst 18 Monate alt.

STANDARD: Ich habe gelesen, dass auch der Mafia-Boss John Gotti Anzüge von Brioni trug.

Petrucci: Viele reiche Männer tragen unsere Anzüge.

STANDARD: Haben Sie bei ihm Maß genommen?

Petrucci: Ich habe 37 Staatspräsidenten getroffen, unzählige Geschäftsleute, Filmstars, Sportler und auch schräge Typen. John Gotti war nicht dabei.

STANDARD: Wer ist der bestangezogene Mann der Welt?

Petrucci: Da gibt's eine ganze Menge, die infrage kommen. Ich nenne aber lieber niemanden, sonst wird einer eifersüchtig. Das könnte ein Problem werden.

STANDARD: Dann nennen Sie mir einen, der nicht mehr unter uns weilt.

Petrucci: Clark Gable.

STANDARD: Welcher Kunde hat Sie persönlich am meisten beeindruckt?

Petrucci: Nelson Mandela, das war 1994 und unvergesslich.

STANDARD: Wann sitzt ein Anzug wirklich perfekt?

Petrucci: Im Falle eines Maßanzugs sitzt immer der zweite am besten, denn man kann am ersten maßgeschneiderten Anzug ablesen, wie sich der Anzug beim Tragen mit der Zeit verändert. Das ist bei jedem anders. Das hat mit der Art zu tun, wie sich jemand bewegt, mit Körperhaltung etc.

STANDARD: Welche Fehler machen Männer beim Kauf eines Anzugs?

Petrucci: Manche sehen einen Look in einem Magazin und sagen: 'Genau so etwas möchte ich auch.' Das ist zu kurz gedacht, denn es ist der Körper, der zu einem Look oder einem Material passen muss. Ein kleinerer Mann mit einem Bauch kann in einem Zweireiher schnell einmal wie ein Würfel daherkommen. Der Schneider hat nicht nur die Aufgabe, Maß zu nehmen, sondern auch in Typfragen zu beraten.

STANDARD: Wie viele Brioni-Anzüge sind maßangefertigt, und wie viele stammen von der Stange?

Petrucci: Ich würde sagen, im Schnitt produzieren wir 20 Prozent Maßanzüge.

STANDARD: Antonio de Matteis, der CEO des Herrenausstatters Kiton, sagte mir, ohne Krawatte aus dem Haus zu gehen sei ein absolutes Unding. Sehen Sie das auch so?

Petrucci: Es kommt auf den Look an, man kann es durchaus auch legerer angehen. Die Krawatte ist ein fantastisches Accessoire, aber kein Muss. Die Wahl der Krawatte hängt vom Anlass, vom Tag, vom Gefühl ab. Ich trage zum Beispiel von Montag bis Donnerstag Krawatte. Am Freitag nicht. Heute ist Freitag, und ich mach eine Ausnahme, weil Sie zu Besuch sind.

STANDARD: Was tragen Sie niemals?

Petrucci: Einen schwarzen Anzug untertags. Aber das muss jeder selber wissen. Außerdem steht Brioni auch für Farbe.

STANDARD: Haben Sie auch etwas Gelbes im Schrank?

Petrucci: Ja, einen Smoking, der ist Schwarz und Gelb.

STANDARD: Wie viele Anzüge besitzen Sie?

Petrucci: Ungefähr 130. Viele davon habe ich selber gemacht.

STANDARD: 130 Anzüge im Kasten? Wird es da nicht Zeit, auszumisten?

Petrucci: Ich stell mich jeden Morgen auf die Waage. Ich möchte nicht zunehmen, denn in dem Falle würde sich meine Größe ändern. Vorgestern trug ich einen Anzug, der 17 Jahre alt ist. So ein Anzug ist ein Stück fürs Leben. Natürlich kann man einen Anzug auch umändern lassen, sollte man ein paar Kilo zulegen.

STANDARD: Im Vergleich zur Damenmode ist Ihr Business eher konservativ bezüglich neuer Trends. Was ist denn in Sachen Anzug zurzeit der letzte Schrei?

Petrucci: Der Schnitt ist im Moment sehr konisch, das Sakko kurz geschnitten. Man muss die Konstruktion eines Anzuges sehen, sie darf einen aber nicht einschränken.

STANDARD: Brionis Creative Director, Brendan Mullane, ist Brite. Wie verträgt sich das mit dem italienischen Stil?

Petrucci: Brendan arbeitete schon überall und kennt sich auch mit der italienischen Mode gut aus. Ich glaube, er ist mehr Italiener als ich.

STANDARD: Mullane sagte einmal, der Anzug sei für Männer das, was für Frauen Unterwäsche ist. Eine zweite Haut, in der sie sich wohlfühlen und selbstbewusst.

Petrucci: Er hat völlig recht. Unsere Anzüge sind wirklich eine zweite Haut. Sie bekleiden nicht nur den Körper. Sie folgen den Bewegungen, nehmen Rücksicht auf die Anatomie. Man soll den Anzug fühlen können. Er darf keinen Widerstand leisten, sondern soll Bewegungen unterstützen.

STANDARD: Wie halten Sie es mit dem Sager "Kleider machen Leute"?

Petrucci: In Italien sagen wir etwas anderes: "Was du trägst, ist vielleicht nicht das, was du bist."

STANDARD: Apropos: Wann wird ein Anzug zu einer Uniform?

Petrucci: Ich mag dieses Wort einfach nicht. Es steckt so viel Handarbeit und Seele in einem Anzug. So ein Stück geht durch die Hände von mehr als 200 Leuten bei uns im Haus.

STANDARD: Was muss ich mindestens auf den Tisch legen, wenn ich mir von Ihnen einen Anzug schneidern lasse?

Petrucci: Ungefähr 5000 Euro. Sie können aber auch bis zu 37.000 Euro für einen Anzug hierlassen.

STANDARD: Haben Sie schon einmal etwas bei H & M gekauft?

Petrucci: Nein, ich hab gar keine Zeit zum Shoppen. Außerdem krieg ich bei Brioni alles, was ich brauche.

STANDARD: Gar nicht neugierig?

Petrucci: H & M ist in Italien kein so großes Thema. Ich war noch nie in einem ihrer Geschäfte. In München wollte ich einmal in eine Filiale gehen, ich hab dann doch lieber ein Bier getrunken.

STANDARD: Welches ist denn Ihr persönliches Lieblingskleidungstück?

Petrucci: (steht auf und holt seinen Mantel) Das ist mein schwarzer, maßangefertigter Wildledermantel mit Biberfell. Mit dem decke ich mich sogar manchmal auf meinem Sofa zu Hause zu. (Michael Hausenblas, Rondo, DER STANDARD, 27.3.2015)

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