Wenn im Mai der Song-Contest-Zirkus seine Zelte in Wien aufschlägt, freuen sich nicht nur Hoteliers, sondern auch geschäftstüchtige Menschen, die auf Onlineplattformen temporär Zimmer oder ganze Wohnungen anbieten. Die größte dieser Plattformen heißt Airbnb: Dort sind aktuell laut STANDARD-Recherchen rund 3900 Unterkünfte allein in Wien verfügbar, fast 2900 davon sind "ganze Unterkünfte" - also Wohnungen.

Eine davon ist die Nachbarwohnung von Kurt K. Der Pensionist wohnt seit 40 Jahren in seiner Eigentumswohnung am Hohen Markt im 1. Bezirk. Fast ebenso lang wird die Wohnung nebenan schon vermietet. "Mietdauern von bis zu zehn Jahren, fast immer angenehme Leute", erinnert er sich.

Im vergangenen Herbst war es damit vorbei. Seither muss er regelmäßig neue "Nachbarn" bitten, doch ein bisschen leiser zu sein. Anfangs weiß er nicht, woher die ständig wechselnden Mieter kommen. Irgendwann entdeckt er die Wohnung auf Airbnb. Um sein Einverständnis dafür ist er nicht gefragt worden - obwohl er laut OGH-Urteil aus dem vergangenen Sommer gefragt hätte werden müssen. Zugestimmt hätte er "nie und nimmer".

Für solche lokalen rechtlichen Feinheiten fühlt man sich bei Airbnb, 2008 im kalifornischen Silicon Valley gegründet, nicht zuständig. Die Plattform sieht sich nur als Vermittler, als "gemeinschaftlicher Marktplatz" für Touristen, die wie Einheimische bzw. mit diesen wohnen wollen. In Österreich freut sich Airbnb-Sprecher Julian Trautwein über rege Zuwächse: Um 140 Prozent sei die Anzahl der Unterkünfte von Jänner des Vorjahres bis Jänner 2015 gestiegen. Die Beliebtheit bei in- und ausländischen Reisenden steige hierzulande: "Das Konzept Airbnb ist in Österreich angekommen."

Auf der Website kann jeder für eine beliebige Zeitspanne und zu einem beliebigen Preis eine Unterkunft anbieten. Die Gastgeber präsentieren sich und ihre Wohnungen, das Feedback von ehemaligen Gästen ist Entscheidungshilfe. Mit wenigen Klicks wird gebucht. Airbnb nascht bis zu 15 Prozent mit.

Dutzende Großanbieter

Doch so unkompliziert, wie es klingt, ist die Sache nicht: Denn nicht hinter jeder Wohnung steht ein privater Vermieter, der sein Zuhause bloß für ein paar Tage während seines Urlaubs zur Verfügung stellt (womit man gewerberechtlich noch keine Probleme bekäme). Ganz im Gegenteil: Fast ein Viertel, nämlich 705, der fast 2900 "ganzen Unterkünfte" in Wien wird von lediglich 74 Vermietern angeboten, die jeweils zwischen fünf und 49 Wohnungen im Angebot haben. Darunter sind Anbieter von Kurzzeitwohnungen ebenso wie Hotels, die ihre Suiten hier anbieten. Das ist insofern überraschend, als die Hotellerie bisher als schärfste Kritikerin des Systems Airbnb auftritt.

Gewerbliche Anbieter sind auf Airbnb grundsätzlich erlaubt. Kritiker befürchten aber, dass in vielen Fällen keine Steuern oder Abgaben bezahlt werden. "Der Großteil dieser Wohnungen wird illegal vermietet", ist Michaela Reitterer, Präsidentin der Österreichischen Hoteliervereinigung, überzeugt. Eine junge Dame zum Beispiel hat gleich 39 Wohnungen in Wien und Warschau im Angebot.

Im April sei ein runder Tisch mit der Stadt geplant, sagt Reitterer. Höchste Zeit: "Die Stimmung beginnt zu kippen", glaubt sie und verweist auf Städte wie Berlin, wo Einheimische mittlerweile von den Billigtouristen genervt sind.

Kein Modell für Steuern

Für Wien gibt es derzeit noch keine Studien, Airbnb-Manager Trautwein sagt aber, dass es sich in den meisten Städten bei 90 Prozent der Vermieter um Privatpersonen handle. "Wir erwarten von allen Gastgebern, dass sie sich mit den lokalen Gesetzen und Vorschriften vertraut machen und diese befolgen", sagt er. Das Unternehmen gibt sich kooperativ: In manchen Städten, etwa in Amsterdam, London und Paris, habe man ein Modell entwickelt, bei dem Airbnb mit Stadt und Gastgebern zusammenarbeitet, um die Steuern abzuführen. In Deutschland und Österreich sei man aber noch nicht so weit.

Vielleicht beschleunigt sich diese Entwicklung, denn nun interessiert sich auch die Politik zunehmend für das Prinzip Airbnb: Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner (ÖVP) hat im Zuge der Steuerreform angekündigt, temporären Vermietern ins Konto schauen und so Steuerhinterziehung aufspüren zu wollen. Bis Juli sollen die Gesetze ausgearbeitet werden, heißt es aus dem Finanzministerium. "Wir würden uns freuen, wenn wir uns mit Herrn Mitterlehner einmal zusammensetzen könnten", sagt Trautwein. Anstatt von "hintenrum" auf die Konten zu schauen, empfiehlt er den direkten Dialog mit dem Unternehmen.

Mehr Dialog hätte sich auch Herr K., der Pensionist vom Hohen Markt, gewünscht. Er wurde stutzig, als er den Namen einer slowenischen Organisation an der nachbarlichen Wohnungstür sah; eine Agentur für die Rechte von Menschen mit Behinderungen, wie sich herausstellte. Seine Aufzeichnungen, die er ab Oktober 2014 führte, ließen aber vermuten, dass die Wohnung an gewöhnliche Städtereisende aus aller Welt vermietet wurde. "Englisch sprechender Herr mit schwarzem Hut" ist in seinem "Vermietungsprotokoll" vermerkt, oder: "Französisches Ehepaar, deutsch sprechend". Manche dieser Besucher fragen K. im Lift, ob er seine Wohnung auch über Airbnb gebucht habe und wo der Müllraum sei.

Auf Airbnb ist die Wohnung tage- bzw. wochenweise und sogar "langfristig" zu mieten. Bewertungen gibt es bereits - und K. stellt verdutzt fest, dass er darin sogar erwähnt wird. "Der Nachbar von nebenan kam an Silvester, reklamierte und erkundigte sich über das Apartment", schreibt eine gewisse "Susanne" aus der Schweiz. Nachsatz: "Scheinbar dürfte das nicht vermietet werden - das hat mich sehr gestört."

Foto: DER STANDARD/Lukas Friesenbichler

Als Vermieter tritt ein gewisser "George" aus Slowenien auf. Er spricht nur Englisch und versichert K. bei einem Aufeinandertreffen, dass es sich bei den Mietern nicht um Internet-Tagestouristen handle, sondern um "Geschäftsfreunde".

"Das hat sich dann rasch als falsch herausgestellt", sagt K. Er telefoniert mit dem Wohnungseigentümer. Der erklärt ihm, dass er die Wohnung langfristig an eine slowenische Agentur vermietet hat. Was der Mieter dort mache, interessiere ihn nicht.

Wohnrechtsexperten wie Walter Rosifka von der Arbeiterkammer schreien da auf: "Ein Wohnungseigentümer ist seinen Miteigentümern auch in einem solchen Fall in der Pflicht." Immobilienanwalt Thomas In der Maur weist aber auch darauf hin, dass eine vom OGH vorgegebene Zustimmung aller Mitglieder der Eigentümergemeinschaft in der Praxis nahezu unmöglich ist. "Bleibt einem nur, dass man es ohne Zustimmung macht", sagt er - unter der Gefahr, mit einer Unterlassungsklage belegt zu werden.

Was für K. schließlich das Fass zum Überlaufen bringt, ist eine ominöse Klagsandrohung aus Ljubljana, die Anfang März bei ihm eintrudelt. Wegen der "Probleme", die der Nachbar mit seinen fortgesetzten "Inspektionen und Beschwerden" bereite, könne die Wohnung nicht mehr so leicht weitervermietet werden. Den errechneten Verdienstentgang von 40.200 Euro möge K. doch bitte umgehend auf ein slowenisches Konto einzahlen.

Auswirkungen auf Mietmarkt

Der Wiener Rechtsanwalt Heinz Robathin, den K. nun beizieht, kann über derartige Chuzpe nur lachen. "Wir freuen uns auf diese Klage", sagt er. Der Kläger könne höchstens vom Wohnungseigentümer, also K.s grundbücherlichem Nachbarn, Schadenersatz verlangen, doch auch das sei eher aussichtslos, weil dieser bei der Vermietung der Wohnung wohl kaum deren Weitervermietung als Ferienwohnung gestattet habe.

In ganz Österreich gibt es laut Airbnb 5000 Unterkünfte, der Großteil davon liegt in Wien. Im Bezirk Leopoldstadt sind, wie STANDARD-Recherchen ergaben, sogar mehr "ganze Unterkünfte" auf Airbnb zu mieten, als es derzeit am regulären Mietwohnungsmarkt im Angebot gibt.

Besonders auffällig: Mehr als 700 der fast 2900 "ganzen Unterkünfte" sind auf Airbnb "sofort buchbar", was darauf hindeutet, dass es sich dabei um ganzjährig freie Wohneinheiten handeln dürfte, die so mutmaßlich dem Wohnungsmarkt der rasch wachsenden Bundeshauptstadt entzogen werden. Ob sich das temporäre Vermieten auch auf die Entwicklung der Mietpreise auswirkt, darüber herrschen geteilte Meinungen. Klar ist: Preise wie 1300 Euro "pro Woche" (!) für 150 m² im 9. Bezirk oder auch nur "pro Monat" für eine 37 m² große Dachgeschoßwohnung sind am Wiener Markt (noch) nirgends erzielbar.

Airbnb weist diesbezüglich nur wiederholt darauf hin, dass nach Ansicht des Unternehmens "die überwiegende Mehrheit der Wohnungen von Privatpersonen bewohnt wird; sie stehen also dem Wohnungsmarkt nicht zur Verfügung". Manche Vermieter würden sich auch nur auf diese Weise die eigene hohe Miete überhaupt leisten können, sagt Trautwein.

Georg Niedermühlbichler, Präsident der Mietervereinigung, sieht die Sache fundamental anders. "Einerseits wird das Angebot an Wohnraum verknappt, andererseits werden Wohnungen für gewerbliche Zwecke missbraucht."

Wolfgang Kirnbauer vom Mieterschutzverband glaubt, dass die Vermietung als Ferienwohnung für manche Eigentümer auch deshalb interessant ist, weil damit das Mietrechtsgesetz umgangen wird - etwa was Kündigungsschutz, Befristungsregelungen und Betriebskostenverrechnung angeht. Ein Aspekt, dem auch Hotelier-Chefin Reitterer durchaus etwas abgewinnen kann.

Schwierige Beweisführung

Leidtragende sind Menschen wie K., die im Recht sind, aber dieses Recht schwer durchsetzen können. Der OGH stellte zwar klar, dass das Anbieten einer Wohnung für jeweils drei bis sieben Tage als Ferienwohnung, inklusive Bettwäsche und Reinigung, eine genehmigungspflichtige Widmungsänderung (von Wohnen zu Gewerbe) darstelle. Um auf Unterlassung klagen zu können, muss man aber beweisen, dass eine Wohnung auf einer Plattform angeboten wird. "Wer sich mit dem Internet nicht halbwegs gut auskennt, schafft das nicht."

K. scheint es immerhin geschafft zu haben: Seine Nachbarwohnung ist ebenso wie das Online-Profil von "George" mittlerweile nicht mehr auf Airbnb zu finden. Wohnungen am Hohen Markt, einer der teuersten Adressen Wiens, gibt es dort aber noch genügend. Anhand der Bilder in den entsprechenden Annoncen ist ein virtueller Blick von allen Seiten auf den barocken Vermählungsbrunnen inmitten des Platzes möglich. Ein Blick, den wohl auch manche Song-Contest-Touristen im Mai genießen werden - vielfach ohne über die rechtlichen Hintergründe Bescheid zu wissen. (DER STANDARD, 28.3.2015)