Rekonstruktion von Llallawavis scagliai. Darunter das im Naturkunde-Museum von Mar del Plata ausgestellte Skelett des Vogels.

Illustration: H. Santiago Druetta
Foto: M. Taglioretti und F. Scaglia

Córdoba/Wien - Durch die südamerikanische Pampa stakst heute ein gerade einmal hüfthoher Vogel von eineinhalb Kilo Gewicht, der nach Insekten und anderen Kleintieren pickt. Keine sonderlich furchterregende Erscheinung, und doch ist die Seriema der letzte noch lebende Verwandte der Phorusrhacidae - inzwischen besser unter der knalligen Bezeichnung "Terrorvögel" bekannt.

Als sich die Erde von dem Massenaussterben vor knapp 66 Millionen Jahren zu erholen begann, setzte sich weltweit ein neues Raubtiermodell durch: auf vier Beinen laufende Säugetiere. Nur im isolierten Südamerika schien es, als wolle die Kreidezeit noch eine Ehrenrunde drehen. Dort standen mit den Terrorvögeln weiterhin zweibeinige Jäger ganz nach dem Vorbild von T-Rex und Velociraptor - zu deren unmittelbarer Verwandtschaft sie letztlich ja auch gehören - am Ende der Nahrungskette.

Lange Erfolgsgeschichte

Ein ganzes Erdzeitalter hindurch fast bis in unsere Gegenwart nahmen die Terrorvögel in Südamerika die Rolle von Spitzenprädatoren ein. 18 verschiedene Spezies hat man bereits identifiziert. Bekannt sind vor allem Giganten wie der drei Meter hohe Kelenken oder der bullige Paraphysornis, der 200 Kilo auf die Waage gebracht haben dürfte.

Aber die Terrorvögel waren eine vielfältige Gruppe. Das zeigt nicht zuletzt ein nun im "Journal of Vertebrate Paleontology" vorgestellter Fund. Paläontologen um Federico "Dino" Degrange von der Universität Córdoba gruben in einer argentinischen Fossilienfundstätte das Skelett eines Terrorvogels aus, der nur etwa 1,20 Meter groß war. Die bislang unbekannte Spezies lebte vor etwa 3,5 Millionen Jahren und erhielt die Bezeichnung Llallawavis scagliai.

Herausragend an dem mittlerweile im naturkundlichen Museum von Mar del Plata ausgestellten Skelett ist sein Erhaltungszustand. Es ist zu über 90 Prozent komplett - das besterhaltene Terrorvogelskelett, das man je gefunden hat.

Foto: F. Degrange

Besondere Freude macht den Paläontologen der Schädel. Unter anderem sind Gaumenbein, Kehlkopf und die Augen- und Ohrenregionen so gut erhalten, dass man künftig Analysen der Sinnes- und Kommunikationsleistungen des Tiers wagen kann. Einer ersten Einschätzung zufolge konnte Llallawavis nicht so gut hören wie heutige Vögel.

Die Bandbreite an Körpergrößen ermöglichte den Terrorvögeln die Jagd auf unterschiedliche Beutetiere: mit ein Grund für ihre langanhaltende Erfolgsgeschichte. Wann genau sie ausgestorben sind, ist noch unklar. Fest steht jedoch, dass ihre Artenvielfalt vor etwa 2,5 Millionen Jahren zu schrumpfen begann. Zu dieser Zeit hatte sich die Landbrücke zwischen Süd- und Nordamerika endgültig etabliert. Räuberische Säugetiere drangen von Norden vor und dürften eine übermächtige Konkurrenz gewesen sein: Die Gegenwart hatte Südamerika letztlich doch noch eingeholt.

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Ein Seriema-Küken versucht sich im Furchterregen.
Foto: APA/dpa

Geblieben ist von der furchterregenden Pracht der Terrorvögel nur die bescheidene Seriema. Als wollte sie das alte evolutionäre Gesetz beweisen, dass auf lange Sicht immer die Kleinen die besten Überlebenschancen haben. (Jürgen Doppler, DER STANDARD, 10.4.2015)