Ein Penthouse. So lässig, wie aus den Magazinen für reiche Junggesellen. Die Frau Ihrer Träume setzt sich auf Ihren Schoß und entkleidet ihr Oberteil. Sie blicken auf und ab und können es kaum fassen. Sie haben sie doch gerade erst an der Bar kennengelernt. Sie küssen sie und bieten ihr die Hündchenstellung an. Anstatt Ihnen eine zu kleben, ist sie verzückt. Dass Sie eigentlich auch eine Frau sind, erzählen Sie ihr ein andermal.

Es klingt wie ein technisches Wunder, das in den nächsten Jahren die sexuellen Fantasien von Millionen Menschen zumindest virtuell realisieren soll. Der Fortschritt bei Mikrochips, Displays und Sensoren erlaubt erstmals seit den Anfängen Ende der 1980er Virtual-Reality-Produkte (VR), die massenmarkttauglich sind. Mit einer VR-Brille am Kopf und einem Massagegerät zwischen den Beinen soll mittels interaktiver 3D-Videos und -Spiele Pornographie in neue Dimensionen vorstoßen. Wer man ist und was man erleben will, soll eines Tages nur der Vorstellungskraft obliegen.

Gefühlsechte Technologie

Was sich noch vor wenigen Jahren wie Zukunftsmusik anhörte, ist heute Teil der ganz normalen technologischen und kommerziellen Evolution. Gleich mehrere Konzerne wie Sony, Facebook oder Valve arbeiten an so genannten VR-Brillen, die einen audio-visuell in digitale Welten eintauchen lassen. Bereits Ende 2015, Anfang 2016 werden die ersten serienreifen Produkte für PC, mobile Geräte und Spielkonsolen auf den Markt kommen.
Zwar sollen zunächst VR-Games und VR-Filme Konsumenten für das neue Medium begeistern, doch die Industrie für Erwachsenenunterhaltung wittert ihre offensichtliche Chance und bereitet bereits kräftig Inhalte für Early-Adopter vor. Auf Seiten wie VirtualRealPorn werden seit Anfang 2014 VR-Videos angeboten, die Betrachtern aus der Egoperspektive sexuelle Abenteuer mit 180-Grad-3D-Bild, Head-Tracking zum Umschauen und 360-Grad-Sound versprechen.

Virtuelle Pornographie, ein Augen öffnendes Erlebnis.
Complex

Um das Erlebnis von Augen und Ohren auf die erogenen Zonen am Körper auszuweiten, versuchen sich Firmen an ausgefallenen Masturbationswerkzeugen. VStroker beispielsweise soll laut Hersteller als künstliche Vagina die Bewegungen des Anwenders erfassen und diese Informationen auf das Verhalten der fiktiven Sexpartnerin übertragen.
Noch einen Schritt weiter geht RealTouch: Zu einer motorisierten Vagina gesellt sich ein mit Berührungssensoren vollgestopfter Dildo. Über das Internet miteinander synchronisiert, werden alle manuellen, oralen, vaginalen oder anderweitigen Interaktionen mit dem Gummiphallus auf die Kunstvagina übetragen. So sollen selbst tausende Kilometer von einander getrennte Paare mit einander schlafen können.

Digitale Pornorevolution

Es sind teils kurios anmutende Ideen, die Nutzer dieser Gerätschaften aktuell noch ziemlich unsexy schwer verkabelt an kleine und große Computer fesseln. Doch hinter alldem steht ein enormer wirtschaftlicher Antrieb, der verspricht, diese Einstiegsbarrieren sukzessive zu senken.

Die Flut frei verfügbarer Internet-Pornos hat den Herstellern zwar dutzende Millionen neuer Seher gebracht, allerdings seit 2005 weltweit auch einen kolportierten Umsatzeinbruch von 40 Prozent. Am stärksten Markt, den USA, werden Rechnungen der New Mexico State University nach jährlich etwa 12 Milliarden Dollar mit Pornos eingenommen - jedoch nur ein Viertel davon entfallen auf Internetangebote.
Gleichzeitig ist die Nachfrage enorm. Konservativen Schätzungen zufolge zielt laut BBC-Bericht rund jede siebente aller getätigten Suchanfragen auf sexuelle Inhalte ab, vier Prozent der im Netz verfügbaren Webseiten seien pornographischer Natur. Mit den neuen technischen Möglichkeiten hoffen die Hersteller, dem global fast 100 Milliarden Dollar lukrierenden Markt wieder ein Wachstum bescheren zu können.

Spiele wie 3DXChat laden zu virtuellen Sexabenteuern ein.
3DXChat

Virtuelle Sexwelten

Eine große Rolle werden dabei neben Videos digitale Welten einnehmen. Online-Games vom Schlage "3DXChat" lassen User gegen eine monatliche Pauschale von 20 bis 30 Dollar Bekanntschaften mit den Avataren Gleichgesinnter machen. Die grafische Entwicklung seit den hölzernen Animationen von Second Life lässt heute digitalen Geschlechtsverkehr zu, der zumindest der Silikonwirklichkeit der Pornoindustrie nahe kommt.

Wie hoch der Bedarf nach dem Polygon-Knistern ist, zeigt an den massiven Investitionen der Betreiber, berichtet IB Times. So lässt sich etwa die Firma Utherverse den Nachfolger ihres virtuellen Sexklubs "Red Light Center" satte 40 Millionen Dollar kosten und stößt damit in Entwicklungsbudgets vor, wie man sie sonst von Blockbuster-Games für Spielkonsolen kennt. Vom Lap-Dance bis zur Hardcore-Szene wird bereits alles auf die VR-Spielzeuge der nächsten Generation ausgelegt. Um ultimative Fanbegierden zu befriedigen werden sogar 3D-Modelle realer Pornostars angefertigt.

Fantasien für alle

Freies Ausleben von Fantasien, anonymer Rollentausch, vernetzte Masturbation - dieser digitalen Sex-Revolution ist viel Positives zu entnehmen. Zwischen den Zeilen lässt sich gar so etwas wie Hoffnung erkennen, wenn virtueller Geschlechtsverkehr eines Tages gut genug sein könnte, um realer Sexarbeit unter oft unmenschlichen Umständen das Wasser abzugraben. Virtuell kann selbst Perversionen nachgegangen werden, ohne andere Menschen auszunutzen. Geschlechtskrankheiten lassen sich ebenso wenig über das Netz weitergeben.

Individualisierbare und inklusive VR-Welten könnten auch für inhaltliche Emanzipation sorgen und mit dem an zunehmend jünger werdende Seher übermittelte Rollenbild in Pornos brechen. Bis dato werden diese vorrangig von Männern für Männer produziert.

Künstler wie Eran Folio zeichnen ein weniger rosiges Bild von der VR-Zukunft.
Foto: Deviant Art/EranFolio

Sexkapismus

Den Konzernen bei ihren VR-Unternehmungen philanthropische Motive zuzuschreiben, wäre naiv. Denn Pornographie stellt die Gesellschaft selbst in schnödem 2D vor komplexe Herausforderungen. Im Rauschen christlicher Webprediger warnen seit einigen Jahren auch immer mehr wissenschaftliche Studien vor den Folgen übermäßigen Pornokonsums. Suchtgefahr, verzerrte Schönheitsideale, Beziehungshemmer - die Liste an potenziellen Nebenwirkungen ist lang.

Es wird gewiss noch dauern, bis VR-Systeme tatsächlich im Mainstream angekommen sind. Doch wenn VR-Sex einmal eingeschlagen ist, spricht bei allen inspirierenden Möglichkeiten wenig dafür, dass er unseren Eskapismusdrang mindern wird. Für das heiße Abenteuer mit dem schönen Liebhaber am Strand oder den vertrauten erotischen Abend auf der Couch werden wohl nicht wenige User in Kauf nehmen, im echten Leben verkabelt und alleine sabbernd in der Ecke zu liegen. (Zsolt Wilhelm, 12.4.2015)

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