Für Arbeiten wie "Approach to Fear XIX: Voyeurism" eignete sich Alexis Hunter (1948-2014) die Ästhetik von Hochglanzmagazinen an.


Foto: Christian Schindler, Pixelstorm Vienna

"Göttin, Hausfrau, Prostituierte, Berufstätige, Erdmutter, Lesbe": Das seien die Rollen, die ihr die Gesellschaft anböte, schrieb die US-amerikanische Künstlerin Martha Wilson 1974 im Vorwort zu ihrer Serie "A Portfolio of Models". Zu sehen sind Fotos, für die die Künstlerin jeweils in eine der mythischen Rollen schlüpfte. Sie zog sich deren Kleider über und sparte nicht mit lakonischen Kommentaren zu Intelligenz und Sexualität der Archetypen: So sei etwa die Lesbe die Einzige, die durchschaue, dass die Göttin - perfekt, aber asexuell - eine männliche Erfindung sei. Allein: Leider erscheine die Sexualität der Lesbe so abwegig, dass die Gesellschaft nicht auf sie höre.

Wilson jedenfalls hätte alle diese Rollen anprobiert, aber keine habe ihr "in der Größe" gepasst. Ihre Konsequenz: "Was mir bleibt, ist Künstlerin zu sein und auf mein Dilemma zu deuten". Die Kunst operiere schließlich in jenem Vakuum, das feste Werte hinterlassen.

Gegen den konservativen Zeitgeist

Das Hinterfragen von Rollenbilder - nicht nur durch Frauen - gehört mittlerweile zum festen Repertoire der Kunst. Im Kontext der amerikanischen Gesellschaft der 1970er-Jahre ist die Frau als Künstlerin allerdings ein Skandalon, "A Portfolio of Models" eine Pionierleistung. Als solche ist Wilsons Werk derzeit auch Teil einer Ausstellung in der Hamburger Kunsthalle. Unter dem Titel "Feministische Avantgarde" sind 34 frühe künstlerische Beiträge zu Feminismus und Emanzipation aus der Wiener Sammlung Verbund zu sehen. Diesen Schwerpunkt stellte Kuratorin Gabriele Schor bereits in Rom, Madrid, Brüssel und Halmstad vor; für 2016 und 2017 sind Stationen in London, Brünn, Karlsruhe und auch Wien geplant.

Die Ansätze, mit denen sich Künstlerinnen damals weltweit gegen den konservativen Zeitgeist wandten, gestalten sich vielfältig. Auf der Suche nach einem neuen Frauenbild bediente sich die weibliche Avantgarde bevorzugt historisch unvorbelasteter Medien wie Performance oder Videokunst, eignete sich aber auch patriarchal besetzte Methoden an. Thematisch spannt sich der Bogen von "Rollenspielen" über mediale und kunsthistorische Weiblichkeitsdarstellungen bis zu Fragen des Körpers. Zeitgemäß bleibt die Schau leider auch dort, wo sie Gewalt an Frauen thematisiert.

Ein wiederkehrendes Motiv der Schau ist indes das Eingesperrtsein. Fühlte sich Wilson vor allem von sozialen Konventionen bedrängt, so macht Birgit Jürgenssen die Belastung der Frau körperlich: Ihre "Hausfrauen-Küchenschürze" ist ein Herd zum Umhängen. Noch eindringlicher sind aber Arbeiten wie Renate Eiseneggers "Isolamento": Um das Unterdrücken des weiblichen Ausdrucks sichtbar zu machen, bandagierte die Künstlerin ihr Gesicht ein, machte die Mimik unsichtbar.

Ausbruchsstimmung

Für Eisenegger war diese Geste noch kein Anlass zum Optimismus: Es gab keine Befreiung, "weil alles noch nicht durchgestanden" war. US-Künstlerin Donna Henes hatte die Einwicklung ihres Gesichts hingegen als Verpuppung verstanden: "Als ich nicht mehr atmen konnte, streifte ich das Garn ab, um mein vereinigtes und gestärktes Ich zu enthüllen."

Ähnliche Absichten verfolgte Künstlerin Ana Mendieta: Für ihre "Earth-Body-Art" ließ sie sich unter Gräsern oder Steinen begraben. Sie steht dabei für eine Ausprägung feministischer Kunst, die weniger auf aggressiven Umsturz denn auf eine heilsame Verbindung mit dem Urgrund aus ist. Interessante Parallelen zeigen sich zu Orlans "Vermessungen" oder Valie Exports "Körperkonfigurationen". So nennt sich etwa eine Fotoserie, für die Export ihren Körper den erhabenen Gebäuden an der Wiener Ringstraße anschmiegte.

Feministische Avantgarde bietet einen guten historischen Überblick. Besonders reizvoll sind aber jene offenen Stellen der Schau, an denen etwa die Frage verhandelt wird, ob man erotische Reize nun zur Kritik einsetzen dürfe oder nicht. (Roman Gerold aus Hamburg, DER STANDARD, 16.4.2015)