Lasst muslimische Frauen mit der Kopftuchfrage in Ruh', fordert Dudu Kücükgöl.

Foto: Asma Aiad

Vor wenigen Tagen fragte mich ein netter Herr, ob es denn in Ordnung wäre, muslimische Frauen nach ihrem Kopftuch zu fragen. Ich entgegnete, er bräuchte sie nicht einzeln zu fragen, es gäbe Studien und Bücher dazu. Die besagen im Grunde, dass sie es aus religiösen Gründen tragen. "Ja", sagte er: "Das sagen die Frauen auch immer, aber das genügt mir nicht." Tief Luft holen, nicht die Fassung verlieren, ruhig und freundlich bleiben, denke ich mir. Er meint es ja nicht bös'. Aber macht das für die Frauen, die der Mann fragt, einen Unterschied? Von denen er eine Rechtfertigung verlangt und sich dann das Recht nimmt, mit ihren Aussagen nicht zufrieden zu sein?

Prüfungsfrage: Kopftuch

Fast meine gesamte Schullaufbahn lang war ich an meiner Schule die einzige Muslimin und Kopftuchträgerin. Geduldig antwortete ich auf die immer wieder gestellte Frage mit der einzigen mir bekannten Antwort und mit der einzigen Motivation für mich, es zu tragen: weil es ein Gebot meiner Religion ist.

Doch im Laufe der Zeit änderte sich die Frage. Sie wurde ergänzt um vertiefende Fragen und um Verständnisfragen. Wie wenn ich eine Prüfung zu absolvieren hatte, musste ich also beweisen, dass ich wirklich wusste, warum ich es trug und woher sich das Gebot genau ableiten lasse. Also informierte ich mich, fragte meinen Religionslehrer und suchte nach der Antwort, die die Menschen suchten, nach dem "eigentlichen Grund".

20 Jahre lang übte ich mich in Geduld

Ich las die angeblich "islamischen" Argumente von männlichen Theologen, die mir wie sexistische Annahmen vorkamen und die mir nicht gefielen. Ich las die Argumente der Kopftuchgegnerinnen, die ich bevormundend und ignorant fand. Am Ende überzeugte mich das, was ich schon immer darüber wusste: die Ableitung des Gebots aus dem Koran.

20 Jahre lang hatte ich viel Geduld mit meinen Mitmenschen und beantwortete bereitwillig die immer gleiche Frage. Doch in den letzten Jahren nervt sie mich. Seit mehr als zwei Jahrzehnten "rechtfertige" ich vor wildfremden Menschen meine höchstpersönliche Wahl für ein Kleidungsstück. Egal ob ich zum Thema Islam in Österreich oder Extremismus vortrage, ob ich über Jugendbeteiligung oder Bildung und Arbeitsmarkt spreche, immer wieder kommt sie, die "Kopftuchfrage".

Fremdbestimmter Diskurs

Dabei kann es die muslimische Frau sowieso nie richtig machen: Trägt sie ein Kopftuch, wird sie ständig gefragt, und wenn sie keines trägt auch. "Warum trägst eigentlich du kein Kopftuch? Du bist doch auch Muslimin", muss sie sich dann von Nicht-Musliminnen und -Muslimen vorwerfen lassen. Im ersten Fall wird eine Frau nur über ein Stück Stoff definiert und im zweiten Fall spricht man ihr ihre Religiosität ab.

Die Kopftuchfrage scheint banal oder naiv zu sein – aber das ist sie nicht. Sie ist Ausdruck eines rassistisch geführten, fremdbestimmten Diskurses. Sie ist ein Mittel, um muslimische Frauen als "die andere" zu konstruieren und immer wieder als "die andere" festzuschreiben. Diese scheinbar harmlose Frage erinnert Musliminnen daran, dass sie anders sind und anders sein müssen, weil sie so wahrgenommen werden – das darf sie nicht vergessen!

Kein Bildungsauftrag in Sachen Kopftuch

Doch wer sich wirklich für muslimische Frauen interessiert, fragt danach, was ihre Anliegen sind und was ihr wichtig ist. Wie es ihr in der Schule, am Arbeitsmarkt oder mit der steigenden Islamfeindlichkeit geht.

Muslimische Frauen haben keinen allgemeinen Bildungsauftrag gegenüber der Gesellschaft. Sie müssen ihre Lebenszeit nicht damit vergeuden, sich ständig vor Ahnungslosen oder bildungsresistenten Mitmenschen zu erklären. Sie haben Besseres zu tun, als über ein Stück Stoff zu sprechen.

Bitte, lasst uns muslimische Frauen mit der Kopftuchfrage in Ruh'. Die afroamerikanische Feministin Mikki Kendall sagt: "Your education is limited. No one can fix that but you." In diesem Sinne abschließend eine Empfehlung von Büchern, die sich mit dem Kopftuch beschäftigen: "Verschleierte Lebenswelten" von Monika Höglinger, "Kopftuchfrauen" von Petra Stuiber und "Verschleierte Wirklichkeit" von Christina von Braun und Bettina Mathes. (Dudu Kücükgöl, derStandard.at, 6.5.2015)