Tornavacas ist in jeder Hinsicht ein Grenzort. Ein einsames Gebirgsdorf, das im Norden der spanischen Extremadura 200 Kilometer westlich von Madrid liegt, am Übergang zu Kastilien-León in der Sierra de Gredos, zwischen Vergangenheit und Gegenwart. Alle sind hier auf der Durchreise. Pensionen haben eröffnet, nachdem die sogenannte "Ruta de Carlos V." vor ein paar Jahren eingeweiht wurde. In der Hoffnung, Wanderer, Bergsteiger und Biker würden bleiben. Doch die meisten kommen, um weiterzuziehen. Auch Karl V.

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Die Sierra de Gredos

Als der Habsburger, der kurz zuvor als römisch-deutscher Kaiser und spanischer König abgedankt hat, das Dorf am 11. November 1556 erreicht, sehnt er sich nach Weltabgewandtheit. Er sucht die süße Abgeschiedenheit eines frommen Ortes und findet sie im Kloster San Jerónimo de Yuste. Der mächtigste Mann seiner Zeit ist krank und amtsmüde. Sein riesiges Reich, in dem die Sonne sprichwörtlich nie untergeht, lässt sich kaum mehr zusammenhalten.

Mit Gicht und Gefolge

Der Weltenregierer begibt sich auf eine letzte Reise. Im September landet seine Flotte in Kantabrien, von wo der gebrechliche Monarch den Landweg zu seinem Refugium antritt. Per Kutsche oder Sänfte zieht der Gichtgeplagte mit großem Gefolge durch das Baskenland und Kastilien-León in die Extremadura. Eine 750 Kilometer lange Strecke, die heute als "Ruta de Carlos V." bereist werden kann.

Hinter Tornavacas ist man im Mai in einem blühenden Landstrich unterwegs, grün und wassereich, wie man es von der Extremadura gar nicht kennt: die Hitze im Sommer, die Kälte im Winter, die Einsamkeit der kargen, widerborstigen, oft menschenleeren Erde – alles ist hier extrem. Genau das sucht aber der Naturliebhaber Karl, eine herbe, elementare Gegend, die vor allem weit weg von höfischen Verpflichtungen liegt. Daher umgeht er den bequemeren Weg über das prächtige Plasencia. Denn Audienzen und allem Mondänen ist der ausgebrannte 56-Jährige mehr als überdrüssig.

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Ein Panorama von Plasencia

Aus heutiger Sicht sollte man den Bischofssitz Plasencia jedoch nicht auslassen. Die von der Stadtmauer noch umgebene Altstadt ist erhalten wie zur Kaiserzeit, fühlt sich wie pures Mittelalter an. Am Hauptplatz Plaza Mayor verbreiten Laubengänge, der kuriose Uhrenturm und die authentischen Tapas-Bars Atmosphäre. Nur wenige Schritte, und man steht vor der alten und der neuen Kathedrale, dem stolzen Palast des Marqués de Mirabél und dem Kloster San Vicente Ferrer, das sich in ein nobles Quartier der historischen Hotels Paradores verwandelt hat.

Zurück auf der Route des Kaisers. Statt Plasencia wählt Karl das Gebirge, die schwere Passage über die Sierra de Gredos, sein "letzter Pass", wie er selber sagt. In Tornavacas gibt ein Schild die Richtung dieser gut 24 Kilometer langen Etappe an: Ein schmaler Pfad führt ins Jertetal. Hier zwängt sich der schwerfällige Tross aus 150 Höflingen, Reitern und Fußvolk durch einen Fleckerlteppich aus ummauerten Äckern, Weiden und Olivenhainen, hinter dem heute das Naturreservat Garganta de los Infiernos beginnt. So viel anders wird die Gegend seinerzeit nicht ausgesehen haben mit ihren grandiosen Schluchten, Wasserfällen und Naturswimmingpools.

Huldigung mit Maroni

Was heute mit leichtem Gepäck in einem Tag erwandert ist, kostet Karl V. eine gefühlte Ewigkeit. Er passiert kleine Bergdörfer, deren erschrockene Bewohner noch nie einen Herrscher leibhaftig gesehen haben. Sie huldigen Seiner Majestät, schenken her, was sie haben – Maroni, Walnüsse, Zicklein – und stellen frische Träger sowie ortskundige Führer.

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Der Fluss Garganta de los Tres Cerros

In einem Canyon spannt sich die romanische Bogenbrücke Ponte Nueva elegant über den Fluss Garganta de los Tres Cerros, dessen wildromantischer Uferlandschaft man schon eine Weile folgt. Wanderer rasten auf den großen Felsbrocken im Flussbett, um sich am klaren Gebirgsquell zu erfrischen und die Wasserflaschen zu füllen. Denn nun kommt die letzte Hürde, der Cerro de las Encinillas. Ein steiniger Weg, der unvermittelt steil zu einem 1.600 Meter hohen Pass und scheinbar in den Himmel führt, auf der anderen Seite ins fruchtbare Veratal und nach Jarandilla de la Vera, Karls vorläufigem Ziel.

In der palastartigen Burg des Grafen von Oropesa bleibt er drei Monate, bis sein Alterssitz in Yuste bezugsfertig ist. Sie ist der beeindruckendste Bau in dem Ort, wo es sonst wenig zu sehen gibt. Am Portal erinnert das habsburgische Wappen mit dem Doppeladler an Karls Aufenthalt. Auch diese dicken Mauern beherbergen heute ein Paradorhotel. Umwerfend ist der Innenhof, in dem sich der Gast unter Palmen ins 16. Jahrhundert träumen kann.

Der letzte Weg nach Yuste

Unterdessen wird in Yuste an der Privatvilla für den tiefgläubigen Katholiken gearbeitet, seinem letzten festen Wohnsitz. Karl sympathisiert mit dem Hieronymitenorden, aber Mönch will er nicht werden. Im Februar setzt sich der kaiserliche Tross erneut in Bewegung. Das letzte Wegstück von zehn Kilometern nennt sich heute "Ruta del Emperador".

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Yuste

Vorbei an den Ausläufern des Gebirges führt er zu Anbauflächen für Tabak und Paprika, die erst nach der Eroberung Südamerikas nach Spanien kommen. Denkmalgeschützte Dörfer wie Cuacos de Yuste haben hier so makellos historische Ortskerne, dass wenig mehr als parkende Autos auf die Gegenwart deuten. Die meisten Fachwerkhäuser stammen von den Höflingen Seiner Majestät, die sich in der Nähe des Hieronymitenklosters niederlassen – Uhrmacher, Ärzte, Köche, Bierbrauer, Bäcker und Günstlinge.

Heute kann man in Yuste die Gemächer des pensionierten Kaiser besuchen. Geschrumpft ist seine weite Welt, auf acht Zimmer, und der Gang durch diese Residenz berührt eigenartig: Sein düsteres Schlafgemach lehnt sich an die Klosterkirche an, damit er vom Bett aus die Messe verfolgen und den Altar mit Tizians Gemälde "Das Jüngste Gericht" sehen kann.

Angeln vom Balkon aus

Die fast leeren Räume sind mit Requisiten seiner letzten Tage aufgepeppt. Darunter intime Ausstellungsstücke wie der gepolsterte Gichtsessel mit verstellbarer Lehne und ausfahrbaren Fußbänken sowie die lederbeschlagene, überdachte Holzsänfte. Ihr fehlt alles Elegante, Herrschaftliche und ähnelt eher einer Reisekiste mit vier Griffen. Erheiternd ist der Blick vom Säulengang auf den Garten mit den Orangenbäumen, Bougainvilleas und dem Fischteich, in dem der passionierte Jäger zuletzt vom Balkon aus angelt.

Nach wenigen Monaten im Exil stirbt Karl V. am 21. September 1558 an Malaria, vermutlich verursacht durch Stechmücken, die sich um seine geliebte Karpfenzucht tummelten. Der Eichensarg in der Krypta ist allerdings leer. Der Leichnam wird 1574 nach Madrid überführt, wo er in der Gruft des Königspalast El Escorial beigesetzt ist. (Beate Schümann, DER STANDARD, 2.5.2015)