Getty Kaspers aus Graz, die unbekannte österreichische Song-Contest-Gewinnerin.

Foto: Marco Schreuder

Wieder in Österreich, fehlte ihr die holländische Freiheit. "Die Musik war mein Trost, gab mir Kraft und war meine wahre Identität."

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Wenn ein in den Niederlanden geborener Wiener eine in der Steiermark geborene Niederländerin interviewt, muss man sich erst einmal auf eine Sprache einigen. Wir sprachen dann Deutsch, und in dieser Sprache redet Getty Kaspers immer noch mit einem unverkennbar steirischen Akzent.

Schwierige Jugend

Die Sängerin hatte eine schwierige Jugend. In Graz geboren hat ihre niederländische Mutter, die mit einem Steirer liiert war, das Kind in ein Kinderheim gegeben. Nach dreieinhalb Monaten nahm sie eine Pflegefamilie aus Weiz auf, wo sie aufwuchs und Kindergarten und Schule besuchte. Ihr Berufsziel war Kindergärtnerin. "Mit 16 Jahren ist dann meine Mutter aufgetaucht." Plötzlich hatte sie einen niederländischen Pass, das Jugendamt übergab sie wieder der Mutter und: "Ich musste mit. Das war eine sehr schwierige Zeit, konnte kein Wort Holländisch."

Dort, 18-jährig, wusste sie, dass sie Geld verdienen musste. Kaspers bewarb sich bei einer Gruppe und begann zu singen. Zwischendurch versuchte sie noch in einer Klosterschule in Graz unterzukommen, dort hielt sie es aber nicht lange aus, denn "die holländische Freiheit fehlte mir. Ich wurde zweigeteilt, obwohl ich immer wissen wollte wo ich hingehöre." Das Pendeln zwischen Graz, Weiz und den Niederlanden empfindet sie heute so: "Ich war immer zweigeteilt. Mein Leben war wirr. Es war aber die Musik, die mir immer durchgeholfen hat. Die Musik war mein Trost, gab mir Kraft und war meine wahre Identität." Alle großen Künstler hätten eine schwierige Jugend gehabt, davon ist Kaspers überzeugt.

Sängerin bei "Teach-In"

Später fand sie eine Studentengruppe mit dem Namen "Teach-In". Diese suchten eine Sängerin und einen Bassgitarristen. Ihr damaliger Freund ("Ich hatte viele Freunde in all den Jahren") war Bassist und sie eben Sängerin, so wurden beide Band-Mitglieder. Mit dem Song "Fly Away" hatten sie erste Charterfolge in den Niederlanden und Belgien. Die nächste Single "In The Summernight" wurde noch erfolgreicher. Die Plattenfirma schickte "Teach-In" zur niederländischen Vorausscheidung für den Song Contest der nach dem Triumph Abbas 1974 in Stockholm stattfand. Ein Demo-Band von "Ding-A-Dong" machte klar: Das wird der Song für den Song Contest!

Song-Contest-Sieg 1975

Den Sieg 1975 beim Eurovision Song Contest hat sie im Taumel erlebt. "Man hat dann kein eigenes ich mehr. Ich wurde mehr gelebt, vermutlich war ich mit 27 einfach zu jung und zu unerfahren. Ein Jahr haben wir intensiv gearbeitet."

Die Sieger-Performance 1975: Die Band "Teach-In" mit der steirischen Sängerin Getty Kaspers gewann in Stockholm.
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Wenn Conchita in 40 Jahren zurück schauen wird, wird sie immer wieder kurz erschrocken sein und sich denken: Oh mein Gott, ich habe gewonnen. "Bei mir hat das sehr lange gedauert bis ich das verarbeitet habe", sagt Kaspers. Den Sieg Conchitas fand sie großartig, denn "es ist schrecklich, wie Lesben und Schwule etwa in Russland behandelt werden. Es ist wichtig sich dazu zu äußern, das werde ich auch immer wieder tun."

Eine große Karriere konnte "Teach-In" aber nicht vorweisen. "Ich glaube, mit einem anderem Management hätte etwas aus uns werden können. Aber wir wurden nur ausgepresst wie eine Zitrone und dann weggeworfen." Die 70er-Jahre waren im Musikbusiness ebenso hart wie heutzutage. "Den Erfolg von Abba konnten wir nicht wiederholen. Es war aber trotzdem wunderschön, aber einmal und nie wieder." Ein Burn-Out erzeugte den Wunsch, zwei Monate zu pausieren ("Das heißt jetzt Burn-Out. Früher hat man gesagt: Ich kann nicht mehr!"). Das Management wollte ihr das nicht erlauben und wollte, "dass ich Pillen nehme, damit ich das schaffe. Aber ich rauche und trinke Wein, aber mit dem fange ich nicht an, sagte ich damals! Also hörte ich auf."

Ende der Karriere

Die Karriere ging damit zu Ende. Sie versuchte dann zwar noch kurz eine Solo-Karriere, vermisste aber die Band. "Ich kann einfach nicht alleine auf der Bühne stehen. Da fehlt mir dann eine Gruppe." Sie lernte einen jungen Portugiesen kennen, ging nach Portugal und "ich war einfach woanders mit meinen Gedanken. Es war schrecklich und schön. Aber es gab Zeiten in Portugal, da wusste ich nicht, ob ich am nächsten Tag noch etwas zu Essen haben werde. Ich habe das ganze Leben ausgekostet."

Kaspers Leben blieb eine Achterbahnfahrt – einmal oben und dann wieder unten, wie sie trotzdem lachend erzählt. Späterer heiratete sie einen Niederländer "aber die große Liebe war das auch nicht. Trotzdem waren wir fast 25 Jahre verheiratet und sind nach Weiz in die Steiermark gezogen." Dort bekam er ALS, eine Krankheit die damals noch gar nicht so bekannt war. Dann pflegte sie drei Jahre ihren Mann bis zu seinem Tod. "An den Song-Contest-Sieg dachte ich damals nicht mehr."

Song-Contest-Omi ohne zweite Karriere

Heute lebt sie wieder in den Niederlanden, wohnt mit einem neuen Mann zusammen, den sie schon vorher länger kannte und ein Nachbar war. "Jetzt bin ich die Song-Contest-Omi, und das bin ich sehr gerne und das finde ich schön. Die Song-Contest-Fans sind ja wunderbare Fans. Singen tue ich gerne, aber eine zweite Karriere? Bitte nicht!" Nach Wien kam sie aber, um sich den Song Contest anzuschauen, allerdings erhielt sie keine Einladung der EBU oder des ORF. "Ich habe noch keine Finalkarte, hätte aber gerne eine." Aber Österreich feierte ihren Sieg nie wirklich. "Ich war damals einmal bei 'Autofahrer unterwegs' und einmal im Fernsehen bei 'Stermann und Grissemann'." Aber die Österreicher haben den Sieg nie auch als ihren wahrgenommen, meint sie heute noch. Zumindest der österreichische Song-Contest-Fanclub OGAE Austria erinnert sich gerne an sie – Kaspers konnte im "Euro Fan Café" in Wien auftreten.

Wie oft denkt sie noch an den Sieg, frage ich sie. "Zwei Wochen im Mai, sonst kaum noch." Und ob sie gerne noch einmal auf die Bühne des Song Contests möchte? Zum Beispiel dieses Jahr in Wien? "Nojo" sagt sie steirisch, schweigt lange und lächelt. (Marco Schreuder, 20.5.2015)