Lukas Nagl füllt Fische in Flaschen: Der Beifang wird statt Katzenfutter zu Würzsauce.

Foto: Tobias Müller

Es ist nicht ganz klar, wann die Geschichte der Traunsee-Fischsauce beginnt: Vor mehr als 2000 Jahren im alten Rom oder 2011 in Sansibar. Sicher ist: die Traunsee-Fischsauce schmeckt grandios gut: leicht nach Fisch, Honig und Thymian, stärker nach reifem Käse und so, dass man gar nicht aufhören möchte, sie pur zu schlürfen.

Brauer der Sauce ist Lukas Nagl, einst im Steirereck und heute Chefkoch im Hotel Traunsee in Oberösterreich. Ihm ist damit etwas ganz Außergewöhnliches gelungen: Er hat geschafft, die vielleicht beste Gewürzsauce der Welt nachzukochen – aus Zutaten, die direkt vor seiner Haustüre schwimmen, und die bis dahin in der Gegend gar nicht als Zutaten erachtet wurden.

Fischsauce verstärkt den Geschmack von allem, was in ihr mariniert wird, und lässt das Essen umami schmecken.
Foto: Tobias Müller

Fischsauce ist das Salz weiter Teile Asiens. Sie verstärkt den Geschmack von allem, was das Glück hat, in ihr mariniert zu werden, ganz besonders grünes Gemüse, sie lässt Essen rund und unglaublich "umami" schmecken. Nur manchmal drängt sie sich in den Vordergrund – meist lässt sie einfach alles andere viel besser schmecken. Wer die Küche Thailands, Vietnams, Malaysias oder Indonesiens liebt, tut das auch ihretwegen: Kaum ein Gericht zwischen Bangkok und Singapur, Chiang Mai und Hanoi verdankt seine Köstlichkeit nicht ein wenig der Fischsauce. Von Suppen über Currys, Salate und gebratenen Fisch ist sie im Essen der Gegend so omnipräsent, dass strenge Vegetarier außerhalb buddhistischer Klöster sehr wenig essen können.

Hohe Temperaturen

Fischsauce zu machen ist im Grunde sehr einfach: Ganze kleine Fische werden in jeder Menge Salz eingelegt – bis zu 30 Prozent des Fischgewichts – und über mehrere Monate kontrolliert vergammeln gelassen. Wichtig ist, dass die Fische ganz, also samt allen Innereien ins Gärfass kommen: Enzyme in ihrem Verdauungstrakt sorgen dafür, dass der Verfallsprozess in die richtige, geschmacklich hervorragende Richtung läuft. Hohe Temperaturen jenseits der 30 Grad sind in den ersten Wochen wichtig, damit die Verwandlung ihren Lauf nimmt. Nagl setzt seine Fischsauce daher im Juli oder August an, wenn es am Traunsee schon einmal fast so heiß wird wie in Thailand.

Er packt seine kleinen Fische – Rotaugen, Lauben oder Perlfische, Beifang der Fischer, der sonst weggeworfen oder an die Katzen verfüttert wird – in einen großen Gärtopf in seinem Garten, auf eine Lage Fisch folgt eine Lage Salz. Dann presst er das Ganze so fest wie möglich zusammen, um alle Luftblasen herauszubekommen. Das Salz entzieht den Fischen Wasser, und die Enzyme im Verdauungstrakt sorgen dafür, dass sich das Fleisch in einigen Tagen verflüssigt. Anfangs riecht die Brühe unangenehm und schmeckt grauenhaft. Bereits nach ein, zwei Wochen ist der Gestank verflogen – in den kommenden Monaten bildet sich der unvergleichliche Geschmack. Nagl lässt seine Sauce mindestens ein Jahr lang gären, bis er sie mit Honig und Kräutern aufkocht und in Flaschen abfüllt.

Inspiration von Kollegin Sohyi Kim

Die Idee, selbst Fischsauce zu machen, verdankt Nagl seiner Kollegin Sohyi Kim, Wiens vielleicht bekanntester asiatischer Köchin. Kim besuchte Nagl auf der afrikanischen Insel Sansibar, wo der junge Koch 2011 für einen Bekannten ein Hotelrestaurant aufbaute. Gemeinsam gingen sie auf dem lokalen Fischmarkt spazieren, neben Tunfischen und Oktopoden türmten sich dort die frischen Sardinen. "Ich hätte damals so etwas nie gekauft", sagt er. Kim aber griff zu, gemeinsam schlichteten sie die kleinen Fische wie Sauerkraut mit jeder Menge Salz in Gärtöpfe. "Der Geschmack hat sich dann von ekelerregend zu echt klasse verändert", sagt Nagl. "Das hat mich fasziniert."

Beifang verwerten

Als er 2012 zurück war im heimatlichen Salzkammergut und im Hotel Das Traunsee als Chefkoch anfing, tat es ihm leid um all die kleinen Beifangfische, die keiner essen wollte. Nagl servierte sie anfangs filetiert und mariniert, sie schmeckten gut, machten aber viel zu viel Arbeit. Dann dachte er an Sansibar und die Fischsauce. "In Bad Ischl gibt es jede Menge Salz, im Traunsee jede Menge Fisch, dass muss ja gehen, habe ich mir gedacht", sagt er. Ein Jahr später wusste er: Es geht – und wie. Seither ist die Sauce aus seiner Küche nicht mehr wegzudenken, er mariniert darin rohe Forellenfilets, gießt sie über geschmorten Pak Choi, verfeinert Gurken oder macht aus Oliven dank Fischsauceresten erlesene Köstlichkeiten.

Möglicherweise ist Nagl nicht der Erste, der am Traunsee Fischsauce macht. Für die alten Römer war Fischsauce, bei ihnen Garum genannt, das wichtigste Würzmittel. Auch der Traunsee war einst Teil des Römischen Reichs, im Hotel werden einige Funde aus der Zeit um 600 vor Christus ausgestellt. Beweise für eine Garum-Produktion in der Gegend gibt es nicht – aber es ist denkbar, dass die Römer die Würze hier produzierten, statt sie hunderte Kilometer über die Alpen zu schleppen.

Gegessen wurde sie hier jedenfalls von Legionären bestimmt. Es war allerhöchste Zeit, dass sie zurückgekehrt ist. Hoffentlich folgen viele Kollegen Nagls Beispiel – und die Sauce breitet sich auch im Rest Europas bald wieder mindestens so weit aus wie einst das Römische Reich. (Tobias Müller, Rondo Feinkost, 20.6.2015)