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Der übermäßige Konsum von Weizenbier könnte tatsächlich zur Verdummung beitragen. Ob daran jedoch wirklich der Weizen schuld ist?

Foto: dpa/Roessler

Eigentlich wollte ich ja nur mal schnell im Buchgeschäft nach einem Kochbuch mit originellen Rezepten für einen Geburtstagskuchen suchen. Aber nachdem ich auf dem Weg zum passenden Regal durch die Abteilung für Ernährung und Gesundheit gehen musste, bin ich mir unsicher, ob ich überhaupt noch irgendetwas essen soll. Die dort ausgestellten Bücher trugen die folgenden Titel: "Wie uns die Zuckermafia krank macht", "Wie uns die Nahrungsmittelindustrie dick macht", "Wie der Weizen uns vergiftet", "Warum Weizen dick und krank macht", "Wie Weizen schleichend Ihr Gehirn zerstört" ( sowie das Nachfolgewerk "So verhindern Sie, dass Weizen Ihr Gehirn zerstört") und "Das Salz-Zucker-Fett-Komplott".

Essen scheint also eine ziemlich gefährliche Angelegenheit zu sein. Andererseits fanden sich im Regal darunter die folgenden Titel: "Die geheime Lebensenergie in unserer Nahrung", "Wie wir die machtvollsten Heiler unter den Nahrungsmitteln optimal nutzen", "Wie wir die Vitalkraft von Wildkräutern, alten Obst- und Gemüsearten nutzen" und "Wie Sie Erkrankungen mit Gemüse, Kräutern und Samen wegessen". Und für alle, die dieses Angebot verwirrend finden, gab es auch noch das Buch "Hilfe, was darf ich noch essen?".

Von Schädlichkeit und Heilkraft

Essen hat sich mittlerweile zu einer richtig komplizierten Angelegenheit entwickelt. Alles macht angeblich potenziell krank. Andererseits stecken in (fast) allen Lebensmitteln angeblich auch enorme Heilkräfte. Wer abnehmen möchte, soll auf keinen Fall dies essen, aber unbedingt das! Oder umgekehrt – je nachdem, welches Buch mal liest. Und alle Ratschläge werden angeblich durch entsprechende wissenschaftliche Studien belegt.

Das, was sich in den meisten Ernährungs- und Diätratgebern aber "Wissenschaft" nennt, sollte man nicht allzu unkritisch betrachten! Wie einfach es ist, hier zu schummeln, hat erst kürzlich ein Experiment des US-Wissenschaftsjournalisten John Bohannon gezeigt. Unter dem Namen Johannes Bohannon hat er gemeinsam mit deutschen Kollegen und einem Arzt eine Studie produziert, laut der Konsum von Schokolade während einer Diät den Gewichtsverlust erhöhen soll.

Frisierte Studien

Das klingt zu schön, um wahr zu sein, und ist es natürlich auch. Für diese "Studie" wurden tatsächlich reale Probanden untersucht, Daten gesammelt und ausgewertet. Diese Daten wurden dann aber mit zweifelhaften statistischen Methoden so zurechtgebogen, dass am Ende genau der vorher gewünschte Effekt – Schokolade hilft bei der Diät – zu sehen ist. Und die Publikation der Studie fand auch nicht in einer echten wissenschaftlichen Fachzeitschrift statt, sondern in einem der vielen unseriösen Journale, die alles drucken, solange man nur genug Geld dafür bezahlt.

Wer Arbeiten dieser Art genau prüft, stellt natürlich schnell fest, dass sie nicht ernstzunehmen sind. Aber für Phrasen der Form "durch wissenschaftliche Studien belegt" in den PR-Texten der Firmen, die uns ihr Wundermittel zum Abnehmen verkaufen wollen, reicht es allemal. Und auch wer sich auf die vorhandene, echte ernährungswissenschaftliche Forschung beschränkt, findet meistens genug Material, um jede beliebige Behauptung über Ernährung zu "belegen". Im Jahr 2012 haben zwei Forscher von der Universität Stanford eine systematische Überprüfung von 50 häufigen Zutaten aus ganz normalen Kochbüchern durchgeführt.

In ihrem Artikel "Is everything we eat associated with cancer? A systematic cookbook review" fanden sie für 40 dieser Zutaten insgesamt 191 Forschungsarbeiten, die Aussagen über deren Auswirkungen auf das Krebsrisiko machten. 103 davon kamen zu dem Schluss, dass sich das Risiko durch den Verzehr erhöhen würde, 88 behaupteten, das Krebsrisiko würde sinken. Einzelstudien publizierten dabei nach Auffassung der Stanforder Forscher "unwahrscheinlich hohe Auswirkungen", obwohl die tatsächliche Datenlage eher schwach war. Und je mehr Studien zu einer Gesamtstatistik kombiniert wurden, desto geringer wurden die behaupteten Effekte.

Verlockende Botschaften

Daraus folgt natürlich nicht, dass sich aus medizinischer Sicht überhaupt keine Aussagen über Vor- oder Nachteile bestimmter Lebensmittel treffen lassen. Aber wie immer, wenn es um Studien und Statistik geht, muss man ganz genau hinschauen, was die Daten hergeben können – und was nicht. Nur weil sich zum Beispiel einer von vielen Inhaltsstoffen in Wein, Kaffee oder Bier in Laborversuchen positiv oder negativ auf das Wachstum von Krebszellen ausgewirkt hat, folgt daraus noch lange nicht, dass dieses Lebensmittel auch beim normalen Konsum irgendeine spezifische medizinische Wirkung hat. Aber "Rotwein schützt vor Krebs" oder "Fleisch verursacht Krebs" sind eben gute Schlagzeilen ...

Genauso wie "Weizen macht krank" oder "Weizen macht dumm". Die entsprechenden Bücher, die vor den Gefahren des Getreides warnen, waren Bestseller in den USA, finden sich auch hierzulande in jedem Buchgeschäft und haben jede Menge Nachahmer gefunden. Die Botschaft ist einfach zu verlockend, um daraus keinen Profit zu schlagen. Weizen ist eines der wichtigsten und am meisten produzierten Lebensmittel weltweit, und Getreide wird von allen relevanten und seriösen Organisationen als eine der Grundlagen einer ausgewogenen Ernährung empfohlen. Aber je größer und mächtiger der "Feind", desto besser funktioniert die Panikmache. Und wie die Arbeit der Forscher aus Stanford gezeigt hat, finden sich irgendwo in den Datenbanken der Ernährungswissenschafter schon die nötigen Studien, die man passend falsch verstehen und als "Beleg" zitieren kann.

Gesundheitsschädliche Trends

Dabei sind die Warnung vor Getreide und der Hype um eine kohlenhydratarme Ernährung nicht neu. Was in den 1970er-Jahren als "Low-Carb" oder "Atkins-Diät" populär wurde, ist seitdem in vielen verschiedenen Varianten aufgetaucht. Darunter auch in durchaus extremen Formen wie der in Frankreich beliebten "Dukan-Diät", die als potenziell so gesundheitsschädlich eingeschätzt wurde, dass ihr Schöpfer, der französische Mediziner Pierre Dukan, im letzten Jahr seine Zulassung als Arzt verloren hat: Die enormen Mengen an Protein, die man laut seinen Empfehlungen zu sich nehmen soll, können zu Schädigungen der Nieren führen.

Momentan feiert die kohlenhydratarme Kost gerade als "Paleo-Ernährung" oder "Steinzeit-Diät" neue Erfolge. Dutzende Bücher wollen uns – garniert mit den üblichen (pseudo)wissenschaftlichen Belegen – erklären, dass die Menschen in der Altsteinzeit sich hauptsächlich von Fleisch, Gemüse, Obst und Nüssen ernährt haben. Getreide und Milchprodukte aber gab es nicht, und weil wir genetisch angeblich immer noch Steinzeitmenschen sind, wäre es viel gesünder, auf diese "unnatürlichen" Lebensmittel zu verzichten.

Einfache Rechnung

Es ist kein Wunder, dass all diese Ernährungs- und Diätratgeber so erfolgreich sind und so viel Aufmerksamkeit genießen. Wir müssen essen. Aber überall um uns herum wird uns erzählt, wie viel wir dabei falsch machen können und wie sehr wir unserem Körper schaden, wenn wir nicht richtig essen. Gleichzeitig wollen wir den ästhetischen Vorstellungen der Gesellschaft entsprechen und unser Übergewicht loswerden. Wir sind dankbar für alle Ratschläge, die uns dabei helfen sollen. Und wenn man uns eine "Blitzdiät: Fett weg in 3 Tagen" verspricht, "Abnehmen: 5 Kilo in 7 Tagen" oder "In 14 Tagen zum flachen Bauch" (alles übrigens reale Schlagzeilen), dann schauen wir auch nicht mehr sonderlich kritisch auf die Behauptungen oder die "wissenschaftlichen" Belege.

Mit Sicherheit lässt sich auf jeden Fall eines sagen: Wenn man mehr Energie verbraucht als man zu sich nimmt, dann verliert man Gewicht. Im anderen Fall nimmt man zu. Daraus folgt der einzige wirklich verlässliche Ratschlag zum Abspecken: Wer abnehmen will, soll weniger essen und sich mehr bewegen! Aber das ist leider so offensichtlich, dass man mit der Vermarktung dieser Taktik kaum Geld verdienen kann.

Ich hab gerade noch einmal ein wenig recherchiert: Eine Internetsuche zum Thema "X hilft beim Abnehmen" liefert für X unter anderem folgende Vorschläge: Kaffee, Kokosöl, Wasser, Grüner Tee, Löwenzahntee, Fisch, Weißer Tee, Guarana, Stevia-Extrakt, Eiweiß, Kurkuma, Selen, Molkepulver, Alpha-Liponsäure, Tequila, Olivenöl, Lakritze, Knäckebrot, Milch, Konjakwurzel, Kreuzkümmel, Cola, Eier und Bier. Den letzten Vorschlag werde ich wohl berücksichtigen und mich auf den Weg ins Wirtshaus machen. Prost! Und keine Sorge – vom bösen Weizenbier halte ich mich fern. (Florian Freistetter, 23.6.2015)