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Die Autoren des Berichts sind überzeugt, dass durch den Klimawandel extreme Wetterlagen vermehrt auftreten werden, insbesondere Hitzewellen, Überschwemmungen, extreme Dürreperioden und Stürme.

Foto: dpa/Patrick Pleul

London – Ein gemeinsam vom Fachjournal "The Lancet" und dem University College London (UCL) herausgegebener Bericht stellt fest, dass der Klimawandel die größte Bedrohung der globalen Gesundheit im 21.Jahrhundert darstellt. "Sollte die Politik nicht umgehend einen ambitionierten Aktionsplan verabschieden, würde der Klimawandel die Errungenschaften der vergangenen 50 Jahre zerstören", schreiben die Autoren in ihrem Report.

Das Forscherteam aus Medizinern, Anthropologen, Ingenieuren, Philosophen, Wirtschafts- und Rechtswissenschaftler konzentrierte sich bei der Analyse auf sechs Schlüsselbereiche: Krankheitsbilder und Sterblichkeitsmuster, Sicherung der Ernährung, Wasser und sanitäre Einrichtungen, Wohnen und menschliche Siedlungen, extreme Ereignisse und Abwanderung der Bevölkerung.

Die Lancet-Kommission betont, dass der Klimawandel nicht einfach ein Umwelt-, sondern in hohem Maß ein gesundheitliches Thema ist. Die wichtigste Botschaft: "Der Klimawandel bedroht die Gesundheit von Milliarden von Menschen. Die Folgen werden nicht nur in Großbritannien zu spüren sein, sondern überall rund um den Globus, und dies nicht erst in ferner Zukunft, sondern bereits zu unseren Lebzeiten und denen unserer Kinder", sagt Studienleiter Anthony Costello vom Institute for Global Health am UCL.

Hitze, Dürre, Überschwemmungen

Laut Prognosen könnte der Anstieg der Erderwärmung gegen Ende des Jahrhunderts bis zu sechs Grad Celsius betragen. Der Meeresspiegel dürfte im Mittel zwischen 50 und 120 Zentimetern – im schlimmsten Fall sogar auf fünf Meter – ansteigen.

Die Autoren sind überzeugt, dass durch den Klimawandel extreme Wetterlagen vermehrt auftreten werden, insbesondere Hitzewellen, Überschwemmungen, extreme Dürreperioden und Stürme. Veränderte Krankheitsbilder und Sterblichkeitsmuster würden demnach in größerer Häufigkeit und geografischer breiter verteilt auftreten als traditionelle endemische tropische Krankheiten wie Malaria und Dengue-Fieber.

Luftverschmutzung durch Kohlekraftwerke und Verkehr sei in vielen armen Ländern "der große Killer", aber der Klimawandel bringe auch Allergien, Seuchen, Armut, Hunger, Flucht vor Katastrophen und psychischen Stress mit sich, heißt es im Report.

Unterernährung und Wasserknappheit

Die Sicherung der Nahrungs- und Wasserversorgung ist ein weiterer Aspekt, der sich durch den Klimawandel verschärfen könnte. Die Wissenschaftler gehen davon aus, dass die unterschiedlichen Getreidearten den Temperaturänderungen weit empfindlicher gegenüberstehen als bislang angenommen. Eine Änderung von einem Grad Celsius kann einen Unterschied von 17 Prozent im Ertrag zur Folge haben.

"Eine Milliarde Menschen leidet gegenwärtig unter mangelhafter kalorienarmer Ernährung, und diese Situation wird sich verschlimmern, da der Bedarf in Indien, China und anderen Ländern mit starkem Bevölkerungswachstum zunimmt", ergänzt Costello.

Den Autoren zufolge werden im Jahr 2020 bis zu 250 Millionen Menschen in Afrika mit Wasserknappheit konfrontiert sein, wenn keine Maßnahmen der Anpassung getroffen werden. Wasser und sanitäre Einrichtungen sind von wesentlicher Bedeutung, um Magen-Darm-Erkrankungen und Fehlernährung zu vermeiden.

Klimawandel als medizinscher Notfall

Rasche Verstädterung, gerade in Entwicklungsländern, führt zu unangemessenen Wohnverhältnissen, insbesondere zu Elendsvierteln, die den extremen klimatischen Ereignissen besonders stark ausgesetzt sind. Extreme Wetterereignisse wie Zyklone und Hurrikane haben sich nach Aussage der Versicherungsgesellschaften in den vergangenen 20 Jahren verdoppelt.

"Klimawandel ist eine schwere Krankheit, ein medizinischer Notfall. Deshalb müssen wir dagegen einen Notfall-Plan entwickeln", sagt Hugh Montgomery, Direktor des Instituts for Human Health am UCL. "Kein Arzt würde ein jährlich immer wiederkehrende Hin und Her, eine Diskussion über die Ursachen und Folgen einer so schweren Krankheit hinnehmen, ohne durchzugreifen. Aber genauso sieht die Reaktion der Weltgemeinschaft auf den Klimawandel aus", ergänzt der Experte.

Chancen für die Gesundheit

Doch der Bericht macht auch Hoffnung: Vorausgesetzt, der Kampf gegen den Klimawandel wird ernsthaft aufgenommen. "Wir könnten vor einem Wendepunkt der öffentlichen Einschätzung stehen. Ich denke, die Gesundheitslobby ist in diese Diskussion recht spät eingestiegen und hätte sich stärker zu Wort melden sollen. Junge Menschen realisieren aber bereits, dass dies die große Fragestellung unserer Zeit ist".

Die Lancet-Kommission fordert den Ausstieg aus der fossilen Energie, da Kohlekraftwerke für große Mengen des klimaschädlichen Kohlenstoffdioxids verantwortlich seien und Tonnen von Luftschadstoffen ausstoßen würden. Allein an den Folgen der Luftverschmutzung sterben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zufolge weltweit jährlich rund sieben Millionen Menschen.

Zudem sprechen sich die Wissenschaftler für die Gründung einer neuen, unabhängigen Institution im Kampf gegen den Klimawandel aus. Sie soll die Auswirkungen der Erderwärmung auf die menschliche Gesundheit überwachen und dokumentieren. "Unsere Analyse zeigt klar: Der Kampf gegen den Klimawandel nutzt auch der menschlichen Gesundheit. Man muss sogar sagen, der Kampf gegen den Klimawandel ist die größte Chance für die menschliche Gesundheit, die wir und die kommenden Generationen haben", resümiert Costello. (gueb, 26.62015)