Willkommen zur siebten Ausgabe von "Serienreif" und gleichzeitig einer Art Special. Anlass ist die Schwerpunktausgabe des STANDARD zum Thema "Die überwachten Bürger", die am Samstag erscheint. Wir reden also diesmal darüber, was Überwachung in Serien sein kann, ob sich dort die Realität widerspiegelt oder überzeichnet wird und fragen uns, warum Datensammeln eigentlich immer positiv dargestellt wird.

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Doris Priesching: Was mir zum Thema spontan einfällt, ist "The Wire", erste Staffel. Wie sie dieses Büro aufgebaut haben und sich systematisch Zugang zu sämtlichen Kanälen verschafft haben – in der Genauigkeit war das bisher noch nicht zu sehen. Die Abgehörten reagierten umgekehrt genauso professionell. Diese genau abgestimmte Handy-Tauscherei und dieses Hase-Igel-Spiel, wer ist jetzt wem um eine Nasenlänge voraus – also ich denke, man könnte bis heute viel lernen von "The Wire".

Michaela Kampl: "The Wire" kann mir sowieso die Welt erklären. Bei der Überwachung fand ich spannend, dass das so low key war. Ich hab die Serie, zumindest die erste Staffel, erst so zehn Jahre nach der Ausstrahlung gesehen. Zwischen "The Wire"-Serienstart und jetzt hat sich auf dem Überwachungsgebiet viel getan. Das mit den Pagern und dem Code war richtig klassische Detektivarbeit. Da wurde nicht einfach ein Handy angezapft oder Kameras versteckt. Diese technischen Möglichkeiten hatten McNulty und Bunk noch nicht und Handys hatte sowieso kaum wer. Also mussten Pager zugeordnet und Nummerncodes geknackt werden. Aber auch im Fernsehn spiegelt sich der technische Fortschritt wider. Das nächste Überwachungslevel für mich war dann "Homeland", die erste Staffel, wo jede Bewegung von Brody aufgezeichnet wird. Und ohne dass Carrie wie McNulty vorher lange irgendwelche Staatsanwälte beknien musste. Überwachung wird in den beiden Serien anders gezeigt. Einmal als Katz-und-Maus-Spiel in "The Wire" mit einer Art Gleichberechtigung zwischen Verfolgern und Verfolgten, und in "Homeland" als Totalität, die für den Überwachten aber unsichtbar bleibt.

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Angesicht zu Angesicht: Nick Brody und Carrie Mathison in "Homeland". Was Brody nicht weiß, ist, dass sein Haus mittels Kameras überwacht wird. Die Garage allerdings nicht.
Foto: Showtime, Kent Smith/AP/dapd

Julia Meyer: Diese Totalität hat dann ja auch die Konsequenz, dass ich mich ja oft leise gefreut habe, wenn die CIA trotz allem Brody nicht durchschauen kann. Beispielsweise dann, wenn Brody heimlich in der Garage betet. Wenn dieses ganze extrem ausgeklügelte System, das den Menschen und sein Umfeld so gnadenlos ins Visier nimmt, fehlbar ist. Natürlich ist auch der brüchige und ja tendenziell sympathische Charakter Brodys Grund für diese "heimliche" Freude. Bei "The Wire" hab ich übrigens hauptsächlich die Bilder genossen. Teilweise minutenlang nix verstanden.

Doris Priesching: Der Vorteil von "Homeland" war ja, dass man verstand, was gesprochen wurde. "The Wire" in OF – was für Helden. Schummrig wird es einem allerdings schon, wenn man so sieht, was alles möglich ist. Oder ist das eh alles nicht wahr?

"The Wire"-Überwachung: Detective Kima Greggs macht Bilder von den Bösewichten.
Foto: HBO

Daniela Rom: Ich kann mit einem anderen Gegensatzpaar aufwarten: "The Americans" und "The Good Wife". Einmal ganz abgesehen davon, dass ich "The Americans" für das Genialste halte, was ich seit langem gesehen habe, wird uns da sehr schön die noch oldere school von Überwachung gezeigt, nämlich die im Kalten Krieg. Das russische Spion-Paar sitzt da nicht selten stundenlang im Auto herum, oder lässt mithilfe liebeskranker Damen oder Herren selbst das Büro des FBI verwanzen. Überwachung ist hier halt nur ein Teil des Agenten-Werkzeugkastens.

In "The Good Wife" hingegen gibt es einen über mehrere folgen gespannten Erzählstrang, der sich klar mit der ganzen aktuellen NSA-Kiste auseinandersetzt. Im Endeffekt kommt Alicia drauf, dass über die zweite oder dritte Ecke nicht nur sie, sondern auch die Anwaltskanzlei überwacht wird. Dann kriegt sie auch immer wieder die drei NSA-Buben zu sehen, die den ganzen Tag Telefongesprächen lauschen, und sich dann auch ihre Gedanken machen, zum Bespiel, ob es denn eine Liebelei zwischen Alicia und Will gibt.

Doris Priesching: Ich weiß nicht, ob ich das hier sagen darf: Aber von "The Good Wife" habe ich eine Staffel geschafft, und "The Americans" steht immer noch auf meiner Liste. Ist mir jetzt so rausgerutscht. Also schwindle ich mich jetzt einfach hinauf auf die Metaebene. Interessant ist doch schon, dass das Abhören in Serien so gut wie immer gut und gerecht ist, weil die Überwachten ja immer eine Gefahr für die Gesellschaft sind. Das Orwell'sche wird stillschweigend akzeptiert. Die Achse des Bösen muss ausgelöscht werden. Im US-Fernsehen ist man sich da einig. Ich erinnere an "24", wo der Agent lange im Sinne der Gerechtigkeit wüten durfte, ehe irgendwann jemand doch bemerkte, dass das eigentlich Folter ist.

Daniela Rom: Du darfst alles sagen. Und ich bleib mal bei "The Americans" – gerade da ist für mich dieses uramerikanische Ding, wir sind die Guten und die anderen die Bösen und wir haben immer Recht, aufgehoben: Die Russen sind zwar auch hier die Bösen, aber die Amis kommen auch nicht sonderlich gut weg. Aber zurück zum Thema Überwachung.

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Spionage unter dem Deckmantel der Normalität: "The Americans".
Foto: (AP Photo/FX, Craig Blankenhorn

Michaela Kampl: Generell scheint in aktuellen Serien oft die Unschuldsvermutung umgedreht zu werden. Wer nichts zu verbergen hat, hat nichts zu befürchten. Ausnahmen gibt es aber auch. Oder gab es zumindest. In einzelnen "Akte X"-Folgen, meine ich mich zu erinnern, tauchen NSA-Agenten auf und wissen immer was, das Mulder längst ahnt, sagen aber nix, haben schlechte Anzüge und unsympathisch sind sie auch. Aber "Akte X" ist schon ein Weilchen her. Vielleicht hat sich da auch die Darstellung von Überwachung geändert. Hier sei kurz erwähnt, dass ich Gillian Anderson für die beste, schönste und gescheiteste aller Fernsehdetektivinnen halte. Auch in "The Fall" sehr gut. Offtopicschwärmerei Ende. Aktuell fällt mir grad keine Serie ein, die Überwachung problematisiert. "Person of Interest" vielleicht. Aber da muss ich zugeben, noch keine Sekunde davon gesehen zu haben.

Julia Meyer: Einen ein bisschen anderen Aspekt in puncto überwachte Bürger bringen sämtliche Serien um forensische Kriminalistik à la "CSI" ins Spiel. Da gibt es ja selten den Oberbösen, der über Staffeln hinweg gejagt wird, sondern im Normalfall halbwegs abgeschlossene Fälle pro Folge. Logisch ist, dass in einer Krimiserie das Ansammeln, die Auswertung und die Aufbereitung von Daten einen großen Teil der Handlung darstellt. Was das Ganze aber von bis jetzt genannten Serien unterscheidet, ist – meiner Meinung nach –, dass die Methoden wirklich nie hinterfragt oder reflektiert werden. Informationen über Bürger zu haben ist per se gut. Erneut gilt hier: Wer nichts zu verbergen hat, hat nichts zu befürchten, aber deutlich radikaler. Je mehr Information, desto besser. Gut und böse sind in diesen Bruckheimer-Produktionen dämlich einfach verteilt. Zudem werden die Informationen, wie zum Beispiel bei "CSI Miami", visuell derart wuchtig dargestellt, dass sie eine spezielle Ästhetik, sprich Schönheit entwickeln.

Datensammlung zur Verbrechensaufklärung bei "CSI – Las Vegas". Selbstreflexion gleich Null.
Foto: CBS Inc./via Bloomberg News

Michaela Kampl: Es ist zu einem großen Teil auch die Populärkultur, die unsere visuelle Vorstellung von Überwachung formt. Ja, wir kennen Videokameras im öffentlichen Raum, aber wie das genau auf der anderen Seite des Schirms ausschaut, weiß ich eher aus "Homeland" als aus eigener Erfahrung. Ich glaub, ich kann das "eher" wegstreichen. Aus eigener Erfahrung weiß ich nur, wie U-Bahn-Überwachungsbildschirme ausschauen.

Daniela Rom: Spannend wird es, wenn bei dem Thema Überwachung gezeigt wird, dass auch alle gesammelten Daten entweder falsch interpretiert werden können oder die Interpretation zwar stimmt, aber dennoch nicht zum Mörder führt. Noch einmal zu "The Good Wife": Da wird am Schluss des Erzählstranges der Chef der NSA-Abteilung reingelegt, indem Anrufe von Menschen mit arabisch klingenden Namen wegen eines vermeintlich zu verkaufenden Autos bei ihm in Scharen anrufen – und er ein Problem kriegt. Das hat mich zwar sehr amüsiert, auf der anderen Seite ist es aber schon irre, was aus irgendwelchen Metadaten herausgelesen werden kann.

Julia Meyer: DIE Serie zur Datenverarbeitung ist da ja vielleicht "Person of Interest". Leider macht sie meiner Meinung nach zu wenig daraus. Die Grundidee ist spannend, dann ist es aber eigentlich eine ziemlich oberflächliche Sache. Die "Maschine", die die Daten für zukünftig geplante Verbrechen sammelt und auswertet, wird genau gar nicht erklärt. Und auch nicht hinterfragt. Dass sich der Erfinder Gedanken darüber macht, was "relevante" und "irrelevante" Verbrechen sind und ob nicht auch die unwichtigen, also die nicht staatsgefährdenden Morde relevant sind, mag ja noch interessant sein. Dann entwickelt sich aber aus der Entscheidung, sich der unwichtigen Fälle anzunehmen, eine ziemlich plumpe Rächergechichte. Die sich auch stur in jeder Folge wiederholt. Es ist damit nicht sonderlich weit weg von den CSI-Geschichten und die Metaebene bricht eigentlich weg. Deswegen hab ich auch schnell wieder aufgehört das Ganze zu schauen. Wer weiß, vielleicht habe ich deswegen einen Umschwung verpasst. Wissen Sie es, werte Userinnen und User? (Michaela Kampl, Julia Meyer, Doris Priesching, Daniela Rom, 26.6.2015)