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Das Attentat in Khan Bani Saad forderte mindestens 120 Todesopfer – fassungslos stehen die Menschen vor dem Krater, den die Autobombe gerissen hat. Der "Islamische Staat" bekannte sich zu der Tat.

Foto: Reuters / AHMED SAAD

Bagdad/Wien – Der "Islamische Staat" hat sich zum Anschlag in Khan Bani Saad in der irakischen Provinz Diyala bekannt. In dem Ort nahe der Provinzhauptstadt Baquba wurden am Freitagabend mindestens 120 Menschen getötet, wahrscheinlich mehr, die Bergung der verstümmelten Leichen war sehr schwierig. Mit dem Anschlag erfüllen sich die Prognosen von Experten, etwa des amerikanischen Institute for the Study of War, dass in Diyala vermehrt IS-Aktivitäten zu erwarten sind.

Der IS behauptet in seinem Statement, Schiiten im Visier gehabt zu haben, laut irakischen Behörden waren auch Sunniten auf dem belebten Markt, auf dem die Bombe mitten in die Einkäufe für das Fest am Ramadan-Ende explodierte. Der Anschlag gehört zu den blutigsten in der Geschichte im Irak nach dem Sturz Saddam Husseins 2003, in Diyala ist er vielleicht der größte überhaupt.

"Rache für Hawija"

Er sei die Rache für das "Massaker von Hawija" gewesen, konstatiert der IS: Laut offiziellen irakischen Angaben wurden dort im März fliehende IS-Kämpfer von ihren Kommandanten getötet. Die IS-Version ist offenbar, dass sie von schiitischen Milizen umgebracht wurden. Dass so etwas vorkommt, steht außer Frage, auch dass die Milizen nicht immer zwischen Kämpfern und sunnitischen Zivilisten unterscheiden.

Wie immer sind die Absichten des IS schwer zu deuten: Handelt es sich in Diyala um einen Versuch, von der am 13. Juli gestarteten Regierungsoffensive zur Befreiung der Provinz Anbar abzulenken, oder um mehr? Loch auf, Loch zu, heißt es beim IS im Irak in den vergangenen Monaten, wobei aber die IS-Siege substanziell ausfallen. So folgte auf die Rückeroberung von Tikrit durch die von schiitischen Milizen unterstützte irakische Armee – oder vielleicht ist es eher umgekehrt – die Einnahme der anbarischen Hauptstadt Ramadi durch den IS.

Luftangriffe "bei Falluja"

"Bei Falluja", betont das Institute for the Study of War, fliegen zuletzt die USA, die ihren Beraterstand im Irak noch einmal erhöht haben, vermehrt Luftangriffe auf IS-Stellungen. Dennoch hat die Offensive den gleichen Defekt, der auch die Wiedereinnahme von Tikrit im Frühjahr so lange hinausgezögert hat: Die USA geben volle Unterstützung nur dann, wenn sie sicher sind, dass die Operationen von der irakischen Armee kontrolliert und angeführt werden und nicht von schiitischen Milizen, die oft, wenngleich nicht immer, am iranischen Tropf hängen.

Umgekehrt haben aber auch schon Milizen mit dem Abbruch des Kampfs gedroht, sollten sich die USA daran beteiligen. Eine der Verschwörungstheorien lautet, dass der IS dafür arbeite, den USA_eine Wiederbesetzung des Irak zu ermöglichen. Die militärische Realität sieht aber so aus, dass die Milizen und die irakische Armee ohne Hilfe aus der Luft am Boden in endlose Kämpfe ohne Durchbruch verstrickt werden.

Ein Schlag gegen die Hoffnung

Für den irakischen Ministerpräsidenten Haidar al-Abadi, der sich gemeinsam mit der Militärführung bereits nach der Einnahme von Ramadi im Mai viel Kritik gefallen lassen musste, ist das Großattentat von Baquba ein schwerer Schlag. Und es verdirbt eine kleine Hoffnung. Denn bei allen Vorfällen der vergangenen Wochen ist der Ramadan doch nicht so katastrophal verlaufen, wie es nach dem Fall Ramadis an die Wand gemalt wurde. Sogar ein Versuch des "Islamischen Staats", Teile Bagdads einzunehmen, wurde für möglich gehalten.

Grund zur Entwarnung gibt es demnach nicht – auch politisch ist der Irak längst nicht über den Berg. Die Einigung über das iranische Atomprogramm in Wien vergangenen Dienstag wurde von Abadi begrüßt: Es sei von nationalem Interesse für den Irak. Der Premier denkt dabei an die Möglichkeit einer besseren Koordination des Kampfes gegen den IS. Genauso wie in den arabischen Golfstaaten sehen die irakischen Sunniten aber den US-Verhandlungswillen als Bereitschaft, dem Iran für seine regionale Politik eine Carte blanche auszustellen. Die Spannungen zwischen Sunniten und Schiiten im Irak werden nicht geringer werden.

Politisch heißer Hochsommer

Auf den Ramadan, der, besonders mit Temperaturen von bis zu 50 Grad, eine Ruhepause für die Politik im Irak ist, wird ein politisch heißer Hochsommer folgen – auch in der kurdischen Region, wo sich im August die Zukunft der Präsidentschaft von Massud Barzani entscheidet. Nach zehn Jahren an der Spitze der Regionalregierung dürfte er eigentlich nicht mehr antreten. Aber angesichts des Kriegs gegen den IS wollen viele eine weitere Verlängerung. (Gudrun Harrer, 19.7.2015)