Fächerförmige Blätter, die an Herzen erinnern: Schon Goethe hat ihnen ein Denkmal gesetzt.

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Wien – Schon Johann Wolfgang von Goethe wurde vom Ginkgo biloba zu geistigen Höhenflügen inspiriert: "Dieses Baums Blatt, der von Osten meinem Garten anvertraut, gibt geheimen Sinn zu kosten, wie's den Wissenden erbaut", schrieb der Dichter im September 1815.

Es ist eine Ode an das langstielige, fächerförmige Blatt eines "lebenden Fossils", wie Charles Darwin den letzten Vertreter einer ansonsten ausgestorbenen Samenpflanze nannte. Ursprünglich in China beheimatet, wurde er im 18. Jahrhundert von niederländischen Seefahrern nach Europa gebracht.

Traditionelles Heilmittel

Seit mehr als 2000 Jahren gelten Samen- und Wurzelextrakte in der Traditionellen Chinesischen Medizin als Mittel gegen Husten, Asthma, Schleimhautentzündungen oder Potenzprobleme.

"Für in Österreich zugelassene Ginkgo-Arzneimittel, werden aber ausschließlich die Inhaltsstoffe der Blätter verwendet", erklärt Reinhard Länger, Leiter der Abteilung für pflanzliche, homöopathische und Veterinärarzneimittel der Österreichische Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit.

Die Substanzen, die in einem standardisierten, kontrollierten Verfahren häufig mit Aceton extrahiert werden, enthalten vor allem Terpenlaktone und Flavonoide, denen bei mehreren Krankheiten eine lindernde Wirkung nachgesagt wird: bei Tinnitus, peripherer arterieller Verschlusskrankheit (PAVK), Frühstadien von Demenzerkrankungen oder zur Alzheimer-Prophylaxe.

Widersprüchliche Datenlage

In Österreich wurde Ginkgo vor rund 40 Jahren ins Heilmittelverzeichnis aufgenommen. Dort blieb er auch. Klingt nach einer Erfolgsgeschichte. Mit einer Ausnahme: Von Anfang 2002 bis Ende 2003 durften Ginkgopräparate nicht auf Kassenrezept verschrieben werden.

Der Grund: 1996 hatte der Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger die Hersteller aufgefordert, Wirkungsnachweise für ihre Produkte vorzulegen. Die bis zum Jahr 2000 gelieferten Unterlagen wurden als nicht ausreichend bewertet und Ginkgo aus dem Heilmittelverzeichnis gestrichen. Der Verfassungsgerichtshof beurteilte dieses Vorgehen als verfassungswidrig und setzte das Phytopharmakon wieder auf die Liste.

Im Vergleich zu anderen pflanzlichen Arzneimitteln wurde die Wirkung von Ginkgo zwar in relativ vielen Studien geprüft, "die Datenlage ist aber widersprüchlich", bestätigt Barbara Nußbaumer vom Department für evidenzbasierte Medizin (EbM) der Donau-Uni Krems. Diese Unklarheit polarisiert: Kritiker zweifeln an der Wirkung der Extrakte. Befürworter sehen sie als natürlichen Jungbrunnen, der die Gedächtnisleistung bis ins hohe Alter gewährleistet.

"Es gibt pharmakologische Beweise, dass Ginkgo durchblutungsfördernd ist, die Fließeigenschaft des Blutes verbessert und eine zellschützende Wirkung hat. Ob diese Befunde auch einen Beitrag für die klinische Wirksamkeit liefern, wissen wir aber nicht", sagt Reinhard Länger.

Wenige große, unabhängige Studien

Bis dato fällt die Evidenz klinischer Studien eher bescheiden aus. Ein Cochrane-Review aus dem Jahr 2013, in dem vier Studien mit insgesamt 1543 Tinnituspatienten inkludiert waren, kommt zu dem Schluss, dass Ginkgo für dieses Krankheitsbild ungeeignet sei. Gleichlautend das Fazit zur Behandlung einer PAVK.

Deshalb sind die in Österreich erhältlichen Phytopharmaka auch nicht für diese Indikationen zugelassen. Anders der Befund bei leichten altersbedingten Kognitionsstörungen, dem sogenannten Demenziellen Syndrom: In einem "Rapid Review", das Barbara Nußbaumer 2014 mitverfasst hat, wurden zwölf kontrolliert randomisierte Studien unter die Lupe genommen.

Das Ergebnis: Patienten, denen täglich 240 Milligramm eines Ginkgo-Präparats verabreicht wurden, zeigten im Vergleich zur Placebogruppe signifikant bessere Werte bei "Aktivitäten des täglichen Lebens". Die Unterschiede in der kognitiven Leistung waren aber so gering, dass sie für die Betroffenen keinen relevanten Unterschied darstellen dürften, heißt es im Bericht.

"Die Untersuchungen dauerten allerdings nicht länger als ein Jahr. Es bräuchte auf jeden Fall größere, längere und unabhängige Studien", betont Nußbaumer. Länger sieht das ähnlich: "Man müsste mit einer großen Anzahl gesunder Probanden beginnen und diese bis ins hohe Alter beobachten. Studien zu anderen Antidementiva haben übrigens das gleiche Problem." (Günther Brandstetter, 25.7.2015)