Urlaub gehört in jedes ordentliche Arbeitsleben – ordentlich geregelt nicht nur in puncto Anzahl der Tage. Vorgegeben ist auch, was in ebendiesen zu passieren hat: Erholen, durch Regeneration der erschöpften Arbeitskraft die volle Leistungsfähigkeit wieder herstellen. Das ist der Zweck. Das ist kein Spaß, so ein großer Urlaub steht nicht zur freien Verfügung, sondern er ist das schönste Geschenk des Arbeitsjahres und der größte Auftrag. Da muss dann stattfinden, was der Produktivität dient und die Gesundheit fördert – plus den volkswirtschaftlichen Kennzahlen nützt.

Solch praktisch-nützliche Überlegungen führten auch zur Etablierung des Urlaubs – er möge zu Zufriedenheit und Effizienz der Arbeiter beitragen, argumentierte man. Nichtstun war allerdings nicht erwünscht – dabei könnte ja im Wirtshaus Aufruhr und Rebellion entstehen: Das war der Beginn einer Freizeit voller Betriebsamkeit in der Vergnügungsindustrie. Vom "urloup" des Ritters von seinem Herrn über Urlaub nur für Staatsdiener in der Monarchie bis zur ersten bezahlten Urlaubswoche für die meisten mit Etablierung der Gewerkschaften nach dem Ersten Weltkrieg war es noch ein weiter Weg. Es waren übrigens die Brauereiarbeiter, die in den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts maßgeblich zur tariflichen Fixierung bezahlter Erholung beitrugen. In den 1930er-Jahren schlug dann endgültig die Stunde der Freizeitindustrie. Parallel wuchs die Anzahl der bezahlten Erholungstage – auf gegenwärtig jährlich 25 in Österreich.

Wer solche Wohltat nicht wirklich genießt und nicht doppelt so fit zurückkommt, macht also eindeutig etwas falsch. Die Latte liegt hoch: Die perfekte Inszenierung des volloptimierten Selbst darf urlaubend jedenfalls keinen Urlaub machen. Die besten Selfies und Urlaubsalben gilt es in Echtzeit in die Welt zu schicken. Richtschnur ist der Superlativ. Wer sich für Urlaub in Balkonien entscheidet, muss das in den sozialen Netzwerken richtig gut argumentieren.

Kein Wunder, dass jeder Zweite total gestresst aus dem Urlaub zurückkommt, wie die Marktforscher von Imas kürzlich unter Österreicherinnen und Österreichern erhoben haben. Der Hauptgrund: Freizeitstress.

Einfach in die Luft starren

Der Freizeitindustrie sei Dank. Offenbar verunmöglicht sie erfolgreich, was eigentlich gebraucht würde – für die Gesundheit: Muße. Löcher in die Lüfte starren; dem Gehirn und damit dem Gesamtsystem den Abbau der Stresshormone ermöglichen; wohltuende Alphawellen (rund um die zehn Hertz) zulassen. Entschleunigung erfahren, im besten Fall an die Verzückung des Lebens herankommen.

Das ist zu einem fix vorgegebenen Zeitpunkt im Jahr schwierig. Und es liegt vor allem nicht im Massentrend, es tut sich dann ja nichts. Was sollte man darüber auch schon posten? Messdaten zur Selbstoptimierung via dutzende Apps werden so auch nicht ausgeworfen. Keine herzeigbare Urlaubsbilanz. Ein Affront gegen gewünschte Abläufe und verkaufte Inhalte. Irgendwie entsteht da sehr schnell wieder so ein Schuldgefühl, als täte man nicht seine Pflicht. Solchem Urlaubszwang ist schwer zu entkommen.

Irgendwas liegt also grob schief nicht nur im Arbeitsleben, sondern dann auch zwischen Stau und dem Sonnenbraten.

Da hilft nur der radikale Weg: auf in die Muße – ins rechtfertigungslose Nichtstun, ins Zeitverplempern, ins Gar-nicht-nützlich-Sein, ins Planlos-sich-dem-Geschehen-Fügen. Bis ein Zustand erreicht ist, in dem sogar das lange Warten auf das Abendessen keine "verlorene" Zeit mehr ist, die kleine Unfreundlichkeit der Kellner nicht auffällt und auch ganz egal ist, wenn andere die Liege wegschnappen. Bis niemand mehr Dauerhupen und Vogelzeigen will, sondern sich ganz und gar nur über die herrliche Aussicht freut – auch wenn's regnet. Das ist Urlaub. Lebensfreude.

Ganz schön schwierig zu erreichen – und wenn erreicht, dann als süßer Gegensatz zum sauren Arbeiten aufgestellt. Überbrückt mit dem Schlagwort "Work-Life-Balance", also dem dauernden Können, zwischen Anspannung, Überforderung und mußevollem Abschalten zu wechseln. Dass das kaum jemand kann, zeigt die Statistik der psychischen Erkrankungen.

Irgendwas liegt also grob schief nicht nur im Arbeitsleben, sondern dann auch zwischen Stau und dem Sonnenbraten.

Vielleicht liegt es am Optimierungszwang? An den überperfekten Erwartungen aus dem Traumprospekt, die unbedingt wahr und in jedem Fall Social-Media-tauglich sein müssen?

Wohlgestaltete Rahmenbedingungen

An den ohnedies so wohlgestalteten Rahmenbedingungen kann es nicht liegen, sagen Arbeitgebervertreter. Unternehmen, rechnet etwa die Wirtschaftskammer Oberösterreich vor, leisten Entgelt für 260 Arbeitstage. Dagegen erbrächten die Dienstnehmer lediglich eine Gegenleistung im Ausmaß von 191 Arbeitstagen. Die Positionen der Ungleichung als quasi Lastschrift: 13 gesetzliche Feiertage pro Jahr plus 25 Tage Urlaub plus 13,5 Tage Krankenstand plus sonstige bezahlte Freistellungen plus private Tätigkeiten während der Arbeitszeit (wie Rauchen oder Internetsurfen) im Ausmaß von 14,5 Tagen.

Arbeitgeber bezahlen volle 260 Tage Arbeitsleistung. Arbeitnehmer erbringen 191 Tage Gegenleistung. Der Rest: Urlaub, Feiertage, Krankenstand – und Privatzeit.

Erschöpft und im Burn-out müssten demnach, bei so viel bezahlter Erholung, nur Arbeitgeber sein – auch wenn die volkswirtschaftlich milliardenbittere und individuell dramatische Bilanz der psychischen Erkrankungen anderes berichtet. Jedenfalls: Diskussionen über eine sechste Urlaubswoche in Österreich rücken nach solcherart Rechenbeispielen nach Absurdistan.

Das haben die, deren Identität sich nur aus Versatzstücken ihrer Erwerbsarbeit zusammensetzt, offenbar auf eigene Art verinnerlicht. Für sie ist der Arbeitsplatz der schönste Ort auf Erden. Sie konsumieren ihren Urlaub nicht, das Unternehmen muss sie quasi freundlich zwingen. 40 Prozent, berichtete kürzlich Die Welt, würden sich dann (zum Erholen gezwungen) am Urlaubsort einen Ersatzarbeitsplatz einrichten. Eine Mehrheit von 10.000 Befragten gab da an, auch wieder sehr froh zu sein, wenn die sogenannten freien Tage überstanden sind.

Das mag eine Zeitlang gut klappen. In fortgeschrittenen Jahren, sagt die Wissenschaft, erhöht sich ohne echten Urlaub allerdings das Herzinfarktrisiko beträchtlich (bei Frauen noch mehr), und Wehwehchen, die erst ignoriert, dann weggeschluckt oder weggetrunken werden, manifestieren sich in chronischen Erkrankungen. Mahnende Lektüre dazu kommt auch aus der Palliativmedizin. Das häufigste Bedauern von Sterbenden lautet: "Hätte ich doch nicht so viel gearbeitet." (Männer liegen da voran.) Gleichauf: "Hätte ich doch nur den Mut gehabt, ein selbstbestimmtes Leben zu führen, statt das zu tun, was andere von mir verlangen."

Foto: imago/Westend61

Ein dramatisch guter Punkt für den Urlaub – und zumindest eine kleine Hilfe, das loszulassen, was angeblich zu tun, angeblich zu genießen, angeblich zu posten ist. Urlaub ist Urlaub – und rettet im besten Fall die Freude am Job. Weil die Perspektive anders wird.

Neue Arbeitswelt = Urlaubsende?

Obwohl: Auch gut möglich, dass der klassische Urlaub zwecks Herstellung vollster Leistungsfähigkeit auf den Schlachtfeldern der Leistungsgesellschaft sowieso längst seine Auflösung erfährt und bald nur noch für die Generation Babyboomer ein Teil ordentlicher Lebens-Arbeits-Verhältnisse war.

Was heißt künftig Urlaub in der New World of Work, in der global tätige, digitale Freelancer um Arbeit ringen, in der permanente Arbeitsverträge on demand (sogenannte Zero-Hour-Verträge, bei denen Arbeitsleistung je nach Unternehmensbedarf abgerufen und auch so flexibel entlohnt wird) ebenso im Vormarsch sind wie 24/7-Verzicht auf Business-Erreichbarkeit aus Jobangst? Die alten Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit haben sich großflächig verflüssigt. Tatsache ist jedenfalls, dass jeder Zweite (auch Nichtmanager) im Urlaub Firmenmails liest und auf diese Weise gegen Entbehrlichkeit und Austauschbarkeit ankämpft.

Urlaub im Sinne der Muße machen zu können wird unter solchen Bedingungen fast schon zur Überlebenskunst – ohne Reiseveranstalter, ganz für sich und das eigene Leben(sumfeld). Die Vergnügungsindustrie des guten alten Urlaubs in der Normalarbeit spürt das schon. Und wenn es nur die Konkurrenz des House-Sharing ist. Anderes Neues ist auch schon am Markt: Digital-Detox-Camps für Online-Junkies, Mindfullness-Auszeiten und Teile der Weiterbildungsindustrie gehören da sicher zu den Playern der Zukunft.

Aber zurück zum Gängigen, jenen rund vier Millionen Österreichern, die klassisch, in die grammatikalische Schrecklichkeit, "auf" Urlaub fahren – oder fliegen.

Foto: Armin Karner

Die Stimmung steigt ja schon geraume Zeit vor Reiseantritt an. Auch wenn am Ende klar ist, was Forscherin Jessica de Bloom von der Uni Nimwegen in ihren Studien zusammenfasst: "Meistens ist der Urlaubseffekt schon innerhalb der ersten Woche nach der Rückkehr wieder verschwunden." So weit sind wir aber noch nicht – und wir wissen auch noch nicht, ob das nicht ein Effekt wäre, der nur die in Urlaubsfragen Privilegierten trifft. Noch ist man nicht angelangt bei der Erholung von den Urlaubsstrapazen, dem Urlaubswahnsinn. Wir beginnen im Stau und enden im Sonnenbraten.

Also los, auf in den Himmel auf Erden – und das in der Hoffnung, dass der hoffnungsvolle Start nicht gleich beim ersten Autobahnkreuz im Desaster endet.

Also los, auf in den Himmel auf Erden – und das in der Hoffnung, dass der hoffnungsvolle Start nicht gleich beim ersten Autobahnkreuz im Desaster endet: Nur Deppen bezahlen für etwas nicht absolut Paradiesisches viel Geld und stressen sich dafür ab. Es geht für die meisten noch immer um die schönste Zeit im Arbeitsjahr – frei nach dem Motto der Radio-Morgenshows, die am Mittwoch verkünden, es seien noch drei Tage durchzuhalten. Dann gibt's zumindest das Wochenendparadies.

Schlimm wird es, wenn sich das große, zwei- oder dreiwöchige Paradies dann doch als Reinfall erweist und die Sache nicht einmal via Facebook-Storytelling reparabel ist. Dann ist klar, dass die anderen daran schuld sein müssen: Die vielen anderen Urlaubenden (total überfüllt!), die Musik der anderen, die Kinder der anderen (Lärmbelästigung!), betrügerische Reiseveranstalter, schlechte Gastgeber, mieses Essen, gemeines Pech mit dem Wetter.

Überschweres Gepäck

Unbill droht auch allen, die sich dem Glücksdiktat des schönen Urlaubs williger fügen wollen und mit dem festen Vorsatz, wirklich erholt vom Urlaub zurückzukommen, in diesen losstarten: Gut möglich ist da etwa, dass jene, die alle Lebensthemen hinter die Arbeit reihen, plötzlich in die urlaubsbedingte Sinnkrise fallen. Wer da das Ersatzbüro nicht mit im Gepäck hat, ist arm dran. Depressive Verstimmung sehr wahrscheinlich.

Weiters: die Partnerschaft im Urlaub, die ansonsten lediglich Stressmühlen des Alltags und ihre logistischen Meisterleistungen kennt. Zärtlichkeit, Austausch, Nähe: Alles wird in den Urlaub verschoben und dann – Desillusionierung. Die Beziehung lässt sich eben nicht wunderbar in zwei Urlaubswochen verpacken. Eher reißen die Bruchstellen auf – fast so wie an manchen familiären Gabentischen zur Weihnachtszeit. Ähnliches kann auch geschehen, wenn modernisierte Väter für den Urlaub vorhaben, mit ihrem Nachwuchs endlich mal – wie Martin Suter das benennt – "Quality Time" mit angemessener Urlaubsaktivität zu verbringen. Die Chancen des Scheiterns solcher Kompensationsprogramme sind bekanntlich auch recht hoch. Da helfen auch Sommer, Sonne, Traumstrand, Superhotel nicht.

Entrümpeln der Ansprüche

Wer kann schon das Paradies im Außen erleben, wenn es im Inneren nicht verwirklicht ist? Stachanow-Pathos und Freizeit-Laborismus führen sehr wahrscheinlich nicht dorthin – eher eine Durchsicht, ein Entrümpeln der Ansprüche. Daraus muss ja nicht gleich die neue Apologie der Faulheit werden (außer man kann es sich leisten). Aber einen Versuch ist es wert, sich auf die wahre Urlaubsreise zu begeben.

Hodgkinsons Anleitung zum Müßiggang: ,Seid einfach dabei, Freundinnen und Freunde der Freiheit. Es dürfte die lustigste Revolution werden, die die Welt je gesehen hat.'

Sehr wahrscheinlich ist nämlich, dass die Rahmenbedingungen im Erwerbsleben nicht gemütlicher werden. Wahre Urlaubsfähigkeit im Sinne der Muße (die nichts kostet außer Wollen und Übung) daheim, fernab und zwischendurch in den Arbeitswochen, wird wohl bald die am meisten gefragte Kunst im Alltagsmarathon werden. Vielleicht ist sie es ohnehin längst. Die kaum je freundlichen Gesichter derer, die in die Arbeit gehen, könnten das belegen.

Auf in den Urlaub! "Seid einfach dabei, Freundinnen und Freunde der Freiheit", zündelt Tom Hodgkinson in seiner Anleitung zum Müßiggang aus dem Jahr 2007. "Es dürfte die lustigste Revolution werden, die die Welt je gesehen hat."

Als ginge es immer nur um das Entweder-oder. (Karin Bauer, 1.8.2015)