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Wer abends nicht gründlich Zähne putzt, kennt am nächsten Tag das stumpfe Gefühl, wenn er mit der Zunge über die Zähne streicht: Dabei handelt es sich um Bakterienteppiche.

Foto: APA / dpa / Stefan Sauer

Wehe dem, der abends nicht gründlich die Zähne putzt: Über Nacht wuchern sie heran und sorgen morgens für ein stumpfes Gefühl auf den Zähnen: Bakterienteppiche. Auch beim Putzen begegnet man ihnen regelmäßig: die schleimige Schicht im Abfluss, der glibberige Streifen am Spülmaschinenrand – alles Bakterien. Überall wo es feucht ist, vermehren sie sich und bilden organisierte Lebensgemeinschaften, um sich zu schützen.

Das gelingt ihnen bestens. Denn Biofilme sind fast unbesiegbar: Weder Desinfektionsmittel noch Antibiotika und auch nicht das Immunsystem kommen ihnen bei. In Schach halten kann man sie am besten mechanisch: Durch beständiges Schrubben und Schaben. Was im Haushalt und bei der Mundhygiene hilft, ist anderswo aber unmöglich: Biofilme befallen Hüftprothesen und Herzklappen, verstopfen Gallenstents und Blasenkatheter. Wissenschafter schätzen, dass sie für mindestens zwei Drittel aller Infektionen verantwortlich sind und Kosten in Milliardenhöhe entstehen.

Wettrennen um die Besiedelung

Kein Wunder, dass Forscher weltweit nach Möglichkeiten suchen, Biofilme zu kontrollieren. Der Mikrobiologe Wolf-Rainer Abraham vom Helmholtz-Institut für Infektionsforschung in Braunschweig, möchte das "Gute" in ihnen fördern: "Eliminieren kann man sie nicht. Also müssen wir versuchen, aus gefährlichen Biofilmen ungefährliche zu machen. Dazu müssen wir die Gemeinschaften so gut verstehen, dass wir verhindern, dass pathogene Keime einwandern."

Konkret geht es dabei um Zahnimplantate. Zwar werden Patienten schon vor dem Eingriff vorsorglich mit Antibiotika behandelt, dennoch entwickeln sich oft Infektionen (je nach Implantat drei bis 40 Prozent). "Nach der Operation kommt es zu einer Art Wettrennen: Wer besiedelt die neue Oberfläche zuerst? Bakterien oder die Zellen des Patienten?", sagt Abraham. Der Forscher möchte Biofilme über die Beschaffenheit der Oberfläche kontrollieren. Die Idee ist, dass es Oberflächen geben muss, die auf Bakterien abstoßend wirken.

Auf die Oberfläche kommt es an

Dazu testen Abraham und seine Kollegen verschieden gestaltete Oberflächen, indem sie Zahnbelagsproben hinzufügen. Wachsen die Bakterien an, werden sie genetisch identifiziert und die Architektur ihrer Kolonien unter dem Mikroskop begutachtet. "Von manchen Oberflächen verschwinden manche Arten. Oder sie sind dort plötzlich prominent. Auf manchen Oberflächen bekommen die Bakterienteppiche Risse. So tasten wir uns langsam vor", sagt Abraham.

Was Bakteriengemeinschaften so unbesiegbar macht, ist ihr Schutzwall. Die sogenannte extrazelluläre Matrix besteht aus einer Art Schleim, einem hochkomplexen Gemisch aus Zucker, Proteinen und anderen Molekülen, das die Bakterien selbst produzieren. Die Schleimhülle hält Wasser zurück, sodass ihre Bewohner nicht austrocknen. Außerdem verhindert sie, dass Antibiotika oder Immunzellen wie Antikörper und Fresszellen zu ihnen vordringen.

Die Guten

Dabei sind nicht alle Biofilme Feinde. In der Natur sind sie an allen Stoffkreisläufen beteiligt, also am Um- und Abbau organischen und anorganischen Materials. Auch in der Abwasserreinigung sind Biofilme unersetzlich. Auch die Lebensgemeinschaften auf unserer Haut und in unserem Darm schützen uns vor Krankheitserregern. Das Gleichgewicht ist allerdings labil, und normalerweise unschädliche Bakterien können sich plötzlich zu unangenehmen Mitbewohnern entwickeln.

Bakterien produzieren ihre schützende Schleimhülle nicht sofort. Zunächst müssen sie sich auf einer Oberfläche niederlassen, also fest anheften. Das gelingt ihnen durch sogenannte "Adhäsine", spezielle "Landesensoren". Der Mikrobiologe Friedrich Götz von der Universität Tübingen konzentriert sich bei seiner Forschung auf diesen ersten Schritt der Biofilmbildung: "Adhäsine können sich an fast alles anheften. Auch an nichtorganischen Materialien, an Metallen fast so gut wie an Kunststoffen wie Silikon und Polycarbonaten", sagt Götz. Seine Arbeitsgruppe hat bereits zahlreiche Adhäsine identifiziert und einige Wirkstoffe gefunden, die sie hemmen.

Wie Schiffbrüchige, die Leuchtraketen abschießen

Andreas Reisner von der Fachhochschule Joanneum in Graz hat einen ähnlichen Forschungsansatz. Er und sein Team beschäftigen sich dabei mit den häufigsten biofilmassoziierten Infektionen: Harnwegsinfektionen, die bei Verwendung von Kathetern entstehen. "Wir fahren mehrgleisig: Wir entwickeln Wirkstoffe, die die Anheftung behindern, und testen, ob 'gute' Bakterien das Eindringen von Krankheitserregern verhindern können, indem die Oberfläche schon besetzt ist", sagt Reisner. Der Mikrobiologe ist überzeugt, dass die Früherkennung von Biofilmen zielführend ist, da eine Therapie zu diesem Zeitpunkt am ehesten wirkt.

Denn haben sich die Bakterien erst einmal niedergelassen, vermehren sie sich zügig – und fangen an, sich "abzusprechen". Ähnlich Schiffbrüchigen, die Leuchtraketen abschießen, geben Bakterien Signalmoleküle in ihre Umgebung ab. Wächst eine Bakterienpopulation, nimmt die Konzentration dieser Signalmoleküle zu. Wird ein bestimmter Schwellenwert überschritten, verändert die Bakteriengemeinschaft schlagartig ihr "Verhalten": Bestimmte Gene werden aus-, andere eingeschaltet. Das bedeutsamste Gemeinschaftswerk: der Aufbau der Schleimhülle. Die Fähigkeit der Bakterien, ihre Dichte über eine Art chemische Sprache zu messen, bezeichnen Forscher als Quorum Sensing (QS).

Pflanzen besitzen Abwehrmechanismus

"Es ist ungeheuer faszinierend, dass derart einfache, einzellige Organismen fähig sind, auf diese Weise zu kommunizieren", sagt der Österreicher Leo Eberl, der an der Universität Zürich forscht. Seine Arbeitsgruppe hat mehrere Gene identifiziert, die über QS reguliert werden und an der Biofilmbildung beteiligt sind. Ziel der QS-Forschung ist die Suche nach Wirkstoffen, die die Kommunikation zwischen Bakterien und damit ihr Teamwork unterbrechen. Ein Beispiel für ein solches Molekül ist Ajoen, das aus Knoblauch isoliert wurde. Auch in anderen Heilpflanzen und Gewürzen wurden QS-hemmende Substanzen entdeckt. "Keime, die Pflanzen befallen, koordinieren ihren Angriff ebenfalls per QS. Deswegen liegt die Annahme nahe, dass Pflanzen über entsprechende Abwehrmechanismen verfügen", so Eberl.

Einen Vorteil haben alle neuen Ansätze im Vergleich zu herkömmlichen Antibiotika: Da sie nicht direkt in das Wachstum der Bakterien eingreifen, ist die Wahrscheinlichkeit, dass Bakterien Resistenzen entwickeln, geringer. Allerdings haben alle neuen Ansätze auch einen entscheidenden Nachteil: Bisher hemmen sie allenfalls die Biofilmbildung und verhindern sie nicht vollständig.

"Wir haben ja lange Zeit angenommen, dass Bakterien als Singles leben. Heute wissen wir, dass sie überwiegend in Gemeinschaften organisiert sind", sagt Eberl, "dazu kommt, dass sie mehr als drei Milliarden Jahre Zeit hatten, die besten Überlebensstrategien zu entwickeln – wir haben noch reichlich zu lernen." (Juliette Irmer, 17.8.2015)