Bild nicht mehr verfügbar.

Am Wochenende gingen Demonstranten zur Unterstützung von Premier Haidar al-Abadi auf die Straße: Die Korruption soll eingedämmt und der Wasserkopf an der Spitze des trotz Ölreichtums verarmten irakischen Staates beseitigt werden.

Foto: Reuters / Ahmed Saad

Bagdad/Wien – "Das Ende des Post-2003-Irak", "das Kühnste, was Haidar al-Abadi bisher getan hat": Die Experten beschreiben in Superlativen, was sich im Irak abspielt. Eine hochpolitische Predigt des Vertreters von Ayatollah Ali Sistani in Najaf, in der dieser den Premier auffordert, endlich im Staat aufzuräumen – und prompt greift Abadi in die Schublade, zieht einen radikalen Reformplan heraus, der stante pede vom Kabinett abgesegnet wird.

Und am Dienstag stimmte auch das irakische Parlament einstimmig zu, ohne Debatte, in dreißig Minuten war alles vorbei. Dass an einem 11. August im Parlament in Bagdad inmitten einer Hitzewelle mit über 50 Grad nicht nur das für eine Abstimmung nötige Quorum zustande kommt, sondern gleich 297 von 328 Abgeordneten anwesend sind, das alleine klingt wie ein Wunder.

Ein abgekartetes Spiel

Dass das Manöver zwischen Bagdad und Najaf koordiniert war, darf angenommen werden: Sistani hatte unmissverständlich seine Unterstützung für Abadi aussprechen lassen – und auf die Proteste gegen Korruption und das Versagen der Regierung bei Dienstleistungen wie Wasser und Strom folgten am Wochenende Pro-Abadi-Demonstrationen.

Es ist aber noch mehr dahinter: Sistani und Abadi zielen wohl auch darauf ab, die Diskussion abzustellen, die aus dem Dunstkreis des von Abadi im Vorjahr aus dem Premiersamt gedrängten Nuri al-Maliki kommt: Ob es nicht besser wäre, das parlamentarische System abzuschaffen und einen starken Präsidenten direkt zu wählen. Das fordern auch irannahe schiitische Milizen, die Abadi – mit Zuspruch von Sistani – unter Kontrolle des Staates zu bringen versucht.

Unaufhaltsame Dynamik

Der Dynamik, die Abadis Reformpläne über das Wochenende entwickelte, konnte sich offenbar niemand im politischen Spektrum entziehen: Ob die Umsetzung dann auch so glatt läuft, ist eine andere Frage. Abadis Programm stimmten auch zukünftige Verlierer beziehungsweise deren Vertreter im Parlament zu. Das heißt etwa, dass die dem Maliki-Lager zuzurechnenden Parlamentarier der "Rechtsstaats"-Partei absegneten, dass Maliki seinen Posten als Vizepräsident verliert.

Die Abschaffung des konfessionell-ethnischen Proporzes an der Spitze des Staates und der Institutionen – eine Erfindung der USA nach dem Sturz Saddam Husseins 2003 – ist das Ziel Abadis. Die Stellvertreter des Staatspräsidenten, des Premiers, der Minister etc. kosten dem Staat eine Unmenge Geld, nicht nur, weil alle für ihre Sicherheit auch noch vom Staat bezahlte Milizen halten.

Postenvergabe auf Basis der Qualifikation

Auf dieses Leibwächterunwesen hat es Abadi überhaupt abgesehen: Da wird es auch Einschnitte bei anderen Politikern und Funktionären geben. Was dadurch an Geld eingespart wird, soll direkt den Sicherheitskräften zugutekommen.

Der Sparstift wird bei Gehältern von Politikern und hohen Beamten angelegt, und bei Ministerien und Behörden allgemein, die teils zusammengelegt, teils abgeschafft werden sollen. Neue Postenvergaben würden nur mehr aufgrund von Qualifikation erfolgen: keine Quotenämter mehr für Parteien und Gruppen. Die Verfolgung von Korruption soll ernsthaft betrieben werden. Laut unbestätigten Meldungen wurden in den letzten Tagen gegen etliche Offizielle Reiseverbote ausgesprochen.

Ein Jahr nach Maliki

Haidar al-Abadi wurde vor einem Jahr, am 11. August 2014, als Premier designiert und am 8. September vom Parlament bestätigt. Es hatte gedauert, bis Ma liki seinen Anspruch aufgab: Er hatte die Wahlen im April gewonnen, wurde aber für das politische und militärische Desaster in Mossul, das im Juni 2014 vom "Islamischen Staat" eingenommen wurde, verantwortlich gemacht.

Dass der 85 Jahre alte Sistani so deutlich in die irakische Politik eingreift, ist erstaunlich: Die Marjaiya, die höchste schiitische Instanz, ergreift selten so deutlich Partei. Sistanis Schritt bedeutet, dass er der Meinung ist, dass Aba di vonseiten der – sehr disparaten – schiitischen Szene mehr Probleme drohen könnten als von Sunniten und Kurden, die ohnehin nicht auf ihn hören.

Sistani hat also vor allem in Richtung Maliki auf den Tisch gehauen, den er bereits vor seinem Abgang fallen ließ – aber die Botschaft geht auch an die iranischen Unterstützer etwa der radikalen Schiitenmiliz Asaib Ahl al-Haq. Dass sich Maliki still zurückzieht, erwartet aber eigentlich niemand. Als Vizepräsident war er vielleicht harmloser, weil zumindest mit Pfründen versorgt. (Gudrun Harrer, 12.8.2015)