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In vielen irakischen Städten – hier in Bagdad – wird für Abadis Reformen demonstriert, politisch steht er aber völlig allein da. Seine gefährlichsten Gegner sind innerschiitisch.

Foto: AP / Kadim

Bagdad/Wien – Der irakische Premierminister Haidar al-Abadi hat dem Staatsapparat Reformen verordnet – wie er sie angeht, ruft Befürchtungen hervor, dass das ganze Post-Saddam-System daran zerbricht, ohne dass eine demokratische Alternative dafür vorhanden wäre. Bisher verliefen die gefährlichsten Trennlinien im Irak zwischen arabischen Sunniten, den Schiiten und den Kurden. Die innerschiitische Einheit war zwar auch stets nur eine Projektion von außen, aber der jetzt ausbrechende Richtungsstreit könnte damit enden, dass radikale schiitische Kräfte die Regierung des moderaten Schiiten Abadi ausbooten und den ganzen Staat übernehmen, warnt etwa die International Crisis Group.

Wie der STANDARD bereits analysierte, war Abadis Ankündigung von drastischen Einsparungen im Verwaltungsapparat nicht nur eine Folge der sich häufenden Demonstrationen gegen die fehlenden Dienstleistungen des Staates, sondern auch ein Versuch, generell Handlungsfähigkeit zu beweisen. Er reagierte auch auf die beginnende Debatte über einen möglichen Wechsel von einem parlamentarischen zu einem präsidialen System im Irak. Forderungen dazu kamen aus der Ecke von Vizepräsident und Expremier Nuri al-Maliki und der unter ihm prosperierenden irannahen radikalen Schiitenmiliz Asaib Ahl al-Haq (AAH), die von Qais al-Khazali angeführt wird.

Unterstützung der Marja'iya in Najaf

Maliki wurde inzwischen – wie alle anderen Vizepräsidenten auch – von Abadi entlassen (übrigens ohne dass dieser Schritt von der irakischen Verfassung gedeckt wäre, was ebenfalls eine Unterhöhlung des Systems darstellt). Aber da Abadi bei seinen Reformen auf die öffentliche Unterstützung der Marja'iya in Najaf zählen kann – der höchsten schiitischen Instanz im Irak, Großayatollah Ali Sistani -, blieb auch den anderen schiitischen Sektoren nichts anderes übrig, als erst einmal Zustimmung zu äußern.

Sistani hat sich jedoch auch stets für die Unterwerfung der iranisch unterstützten schiitischen Milizen unter das Gewaltmonopol der Regierung ausgesprochen. Gerade diese Kräfte könnten jetzt die Profiteure der Entwicklung sein: Denn Abadi vergrault durch seine drastischen Kürzungen Klienten und Verbündete im System, die ihre Jobs und Pfründen verlieren – und diese Reformverlierer könnten denen zulaufen, deren Macht ebenfalls von Abadi/Sistani gestutzt werden sollte, den Milizen und ihren Anführern.

Diese haben bereits den gewaltigen Imagevorteil gegenüber dem Staat, dass sie bei der Bekämpfung des "Islamischen Staats" (IS) erfolgreicher waren als die nationale Armee. Die Milizen werden nicht müde zu propagieren, worauf man in Teheran auch gerne hinweist: dass ohne sie Bagdad längst an den IS gefallen wäre.

Zerreißprobe für Partei

Abadi gehört wie Maliki der ältesten schiitischen Partei im Irak an, der Dawa, sowie der stärksten Parteienliste, der "Rechtsstaat"-Koalition, die vor eine Zerreißprobe gestellt werden könnte.

Eine weitere Komplizierung der innerschiitischen Situation ist die Aufforderung von Muqtada al-Sadr an seine Anhänger, bei der nächsten Freitagsdemo in Bagdad mitzumarschieren. Der Schiitenführer Sadr nimmt eine Sonderstellung ein: Er hat nach 2003 jahrelang gegen Sistani rebelliert, er betont – obwohl er von radikalen Kräften im Iran unterstützt wurde – jedoch seinen irakischen Nationalismus und hat immer wieder Verständnis für die frustrierten irakischen Sunniten geäußert. Er unterstützt Abadi – aber da er noch immer Massen mobilisiert, erhöht seine Intervention die Polarisierung und die Gefahr einer Explosion der Gewalt.

Dass Abadi die Spaltung innerhalb der Behörden riskiert, zeigt eine (vom Washingtoner Institute for the Study of War referierte) Episode aus der Stadt Hilla: Dort sei die von der Stadtverwaltung mobilisierte Polizei gegen Demonstranten vorgegangen, Abadi habe in der Folge die Armee geschickt, um die Demonstranten zu schützen. Anderswo habe es Pro-Maliki-Proteste gegeben.

Abadi hat zwar die Unterstützung vieler Iraker und die der religiösen schiitischen Führung, aber auch potente Gegner: das alte politische Establishment, das durch seine Reformen verliert, und eine neue militärische schiitische Elite, die auch politische Macht will. Und er hat es auch versäumt, andere Lager, Sunniten und Kurden, auf seine Seite zu ziehen. Auch sie verlieren Posten und haben wenig Vertrauen, dass sie dafür einen Staat bekommen, der besser funktioniert und weniger konfessionell-ethnisch ist. (Gudrun Harrer, 26.8.2015)