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In Österreich sei sich die Bevölkerung der Gefahren durch Asbest oft nicht bewusst, kritisieren die Experten.

Foto: EPA/EVERT ELZINGA

Einst galt Asbest als Wunderfaser: Hitzebeständig und quasi unzerstörbar wurde es als Material für Fußböden und Dächer verwendet. Wie gefährlich es ist, wusste man lange nicht: Einmal eingeatmet, können Asbestfasern vom Körper nicht abgebaut werden. Sie gelten als krebserregend – und zwar noch Jahrzehnte später. 1990 wurde Asbest in Österreich verboten, später folgte ein EU-weites Verbot. Bis heute erkranken Menschen, die einst mit Asbest in Kontakt kamen.

"Der Höhepunkt der Erkrankungen ist noch nicht erreicht", urteilt der Molekularbiologe Michael Grusch vom Institut für Krebsforschung an der Med-Uni Wien. Gemeinsam mit einem interdisziplinären Team aus Medizinern und Biologen forscht er seit sieben Jahren über Rippenfellkrebs. Dafür werden beispielsweise Krebszellen von operierten Patienten herangezüchtet, um daran Therapeutika zu testen. Rippenfellkrebs, auch Pleuramesotheliom genannt, gilt als eine der häufigsten Folgeerkrankung von Asbest, bis zu 90 Prozent der Erkrankungen sind darauf zurückzuführen.

Gruschs Kollege Alireza Hoda von der Klinischen Abteilung für Thoraxchirurgie der Universitätsklinik für Chirurgie berichtet von "furchterregenden" Beobachtungen aus dem Klinikalltag: Immer öfter tritt Rippenfellkrebs bei jungen Menschen auf. Darunter seien auch auffällig viele Frauen. "Warum, können wir uns derzeit selbst nicht erklären", sagt Hoda. In den USA wurde Rippenfellkrebs früher laut Hoda als "Fireman's wife disease" bezeichnet: Frauen wuschen die asbesthaltige Kleidung ihrer Männer, die als Feuerwehrmänner arbeiteten – und wurden Jahre später krank.

Wenig Public Awareness

Was den Experten Sorgen bereitet: "Österreich hinkt, was die Public Awareness darüber angeht, welche Gefahr von Asbest ausgeht, hinterher", so Hoda. Länder wie die USA und Australien seien auf diesem Gebiet schon viel weiter. "Es kann viele junge Menschen noch heute treffen, wenn sie ihre Häuser und Wohnungen renovieren." Denn viele Dächer und Fassaden von früher enthalten beispielsweise Asbestzement – und die Bewohner wissen oft nichts davon. Die AUVA bietet daher laufend Schulungen zum Thema Asbestprävention an.

Im Vergleich zu anderen Krebsarten sind die Erkrankungszahlen von Rippenfellkrebs gering: Seit 2010 werden österreichweit in einer Datenbank alle Erkrankungen dokumentiert. 80 bis 100 werden im Jahr insgesamt offiziell gemeldet, so Hoda. Die Dunkelziffer dürfte aber höher sein. Rippenfellkrebs gilt als besonders aggressive Krebsart, die meist erst sehr spät erkannt wird – und nach wie vor als unheilbar gilt.

Der große Durchbruch in der Therapie blieb bisher aus, urteilt der Mediziner: "Der Erfolg von allem, was wir machen – Chemotherapie, Operation, Strahlentherapie – ist letztendlich limitiert." Das Problem sei, dass Medikamente, die bei anderen Krebsarten helfen, zwar manchmal im Labor funktionieren – aber nicht am Patienten. "Forscher auf allen Kontinenten arbeiten derzeit fieberhaft daran, eine Therapie zu finden um das Überleben wenigstens einige Monate zu verbessern", sagt Hoda.

Die traurige Wahrheit: Derzeit haben Patienten nach der Diagnose nur neun bis zwölf Monate. Lediglich im Frühstadium kann eine intensive Therapie längere Überlebenszeiten ermöglichen. "Die meisten kommen aber erst in einem späteren Stadium", sagt Hoda.

Schwierige Ursachensuche

Oft sei Betroffenen nicht einmal klar, wann sie Asbest ausgesetzt waren. Hoda erzählt etwa von einer jungen Patientin, die erst im Laufe der Zeit realisiert hat, dass sie als kleines Kind auf einem Spielplatz neben einer Baustelle gespielt hat, wo sie Asbeststaub eingeatmet haben muss. "Es ist nicht klar, wie viel Asbest-Exposition Rippenfellkrebs auslösen kann", sagt Hoda. Im Fall der Frau dürfte die Exposition nämlich minimal gewesen sein.

All zu negativ will man es an der Meduni aber nicht sehen. Denn die Richtung, in die es in Zukunft gehen könne, sei klar, sagt Grusch. Es gehe darum, die Biologie der Krebszellen besser zu verstehen, um den Krebs länger in Schach halten zu können – bei anderen Tumorarten ist das auch bereits gelungen. Auch die Immuntherapie könnte in Zukunft eine wichtige Rolle spielen. Einer der Hauptfaktoren werde zudem eine bessere Früherkennung sein.

"Einen weit fortgeschrittenen Krebs dauerhaft zu heilen ist bei vielen Krebsarten schwierig", betont Grusch. Einige Jahre bei guter Lebensqualität könnten Erkrankte aber in Zukunft gewinnen, hofft Hoda: "Den Status Quo können wir jedenfalls nicht akzeptieren." (Franziska Zoidl, 9.11.2015)