Tragende Rolle: einer der vier Masten des Millennium Stadium zu Cardiff.

Foto: Michael Robausch

Die Menschen von Cardiff sind von ausgesucht freundlicher und zuvorkommender Natur. Freundlich und zuvorkommend dirigieren sie den ortsunkundigen Besucher auch in vollkommen falsche Richtungen. Vielleicht ist man aber auch selbst schuld, hat einfach etwas falsch verstanden. Aus dem eigentlich geplanten stracksen Ansteuern von Gate 4, wo sich das lokale Akkreditierungszentrum für die Rugby-Weltmeisterschaft befinden soll, wird so eine volle Ehrenrunde um das Millennium Stadium herum. Und das ist auch gar nicht schlecht, beinahe ein Glücksfall, gilt doch das zentral gelegene walisische Nationalstadion als eine Hauptsehenswürdigkeit der Kapitale.

Geradezu angenehm wandert es sich dabei an dessen westlicher Flanke, wo sich eine hölzerne, über das Ufer des Flusses Taff hinauskragende Promenade hinzieht. Auch die wenn schon nicht eleganten, so doch sehr auffälligen Masten, welche die gewichtige Konstruktion des Tempels halten, kommen hier besonders eindrucksvoll zur Geltung. Über 90 Meter sind sie hoch. 1999 eröffnet, fasst das Stadion 74.500 Zuschauer und wird ab dem 1. Jänner 2016 auf den Namen Principality hören, einer kürzlich verlautbarten Sponsoring-Partnerschaft des walisischen Rugby-Verbandes mit einer Bausparkasse sei Dank.

An der Nordseite des eigentlich kesselförmig angelegten Innenraums findet sich eine Besonderheit: die von Spöttern so genannte "Cardiffer Verwerfung". Sie markiert einen Bruch im Rund und damit ganz augenscheinlich das Vorhandensein eines Relikts des bis auf eben diesen Teil der Tribüne vollständig abgerissenen Vorgängerstadions. Dieses blieb, da mit der unmittelbar anschließenden Arena der Cardiff Blues baulich verbandelt, notgedrungen erhalten. Die hiesigen WM-Spiele, insgesamt acht an der Zahl, werden geschlossene Veranstaltungen sein, das Schiebedach des Stadiwm y Mileniwm wird ausgefahren, unliebsame Naturereignisse eliminiert sein.

Schließlich tut sich der gesuchte Einlass dann doch noch auf, nur zwei Ecken später steht man auch schon vor einem weniger als unauffälligen Kabäuschen, in dem also die begehrten Zutrittsberechtigungen zur drittgrößten Sportveranstaltung der Welt zur Verteilung gelangen. Es wird bevölkert von einer Batterie überaus dienstleistungsdurstiger Damen und Herren, die jedoch zunächst darauf zurückgeworfen sind, ausgesucht freundlich mitzuteilen, das "System" würde leider gerade jetzt funny things veranstalten. Genau genommen also: gar nichts tun. Alle Rechner stehen still, wenn dein schwaches Byte es will. Allerhöflichste Entschuldigungen prasseln.

Doch auch das geht vorbei, die Prozedur schließlich voran. Der Reisepass des Österreichers erregt Aufsehen, es wird zweimal hingesehen, nachgefragt. Ganz offenbar löst das Auftauchen des Exoten neben Verwunderung auch interessierte Sympathie aus. Zu liebenswürdig. Und schließlich erhält man zu stolzen Handen: die Zulassung, beinahe groß genug, um damit im Fall des Falles auch den Fünf-Uhr-Tee servieren zu können. Nun kann der World Cup also auch für den STANDARD richtig beginnen. Schlangen haben sich hinter ihm keine gebildet, er war verwunderlicherweise der einzige Klient.

Noch herrscht Ruhe in Cardiff. Alles geht seinen gewohnten Gang, wenn auch bereits da und dort in Pub-Ecken gedrückte Herren mit ausschweifenden Fachsimpeleien auffallen. Bald werden sie und ihresgleichen hier die Mitte der Gesellschaft bilden, lautstark und mit womöglich feuchter Aussprache. Am Freitagnachmittag wird der Sturm folgen, dann öffnet die für bis zu 10.000 Mann ausgelegte Fanzone gleich neben dem Stadion, kolossalster Bildschirm der Stadt selbstverständlich inklusive. Neben allen übrigen Sensationen.

Auch die Landlady ist voll: ausgebucht für die nächsten sechs Wochen. Ausschließlich Herren wird Meryl in ihrem bescheidenen Reihenhaus beherbergen, sie äußert leichte Zweifel, ob sie dem Kommenden mit uneingeschränkter Vorfreude begegnen soll. (Michael Robausch, 17.9.2015)