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Afghanische Binnenflüchtlinge im Jahr 2012. Während weiter viele im Land auf der Flucht sind, treten immer mehr auch den Weg ins Ausland an.

Foto: Reuters / Omar Sobhani

Es war einmal, da baten deutsche und österreichische Flüchtlinge in Kabul um Asyl, während des Ersten Weltkriegs, und, zugegeben, viele waren es nicht: Aus russischen Gefangenenlagern entkommen, hatten sie sich nach Afghanistan durchgeschlagen. Heute stellen die Afghanen die zweitgrößte Flüchtlingsgruppe international – aber auf Platz zwei sind sie erst gerutscht, als sie von den Syrern verdrängt wurden.

Oft wird heute von einem "Dreißigjährigen Krieg" im Nahen Osten gesprochen, in Analogie zum europäischen im 17. Jahrhundert: In Afghanistan sind die dreißig Jahre längst überschritten. Die erste große Flüchtlingswelle setzte 1979 ein, nach der sowjetischen Invasion, die die alte Elite vertrieb. In den 1980er-Jahren fand der Krieg gegen die Sowjets statt, führend geschlagen von – von den USA gemeinsam mit Saudi-Arabien unterstützten – Islamisten. Diese setzten sich Mitte der 1990er in ihrer brutalsten Form, den paschtunischen Taliban, in Kabul durch: Wer sich nicht damit abfinden wollte, musste weg.

Immer weniger Sicherheit

Nach 2001, als die USA infolge von 9/11 die Taliban gestürzt hatten, setzte eine Rückkehrbewegung nach Afghanistan ein. Aber die Hoffnungen der Heimkehrer und aller anderen, die glaubten, ein völlig neues Afghanistan aufbauen zu können, wurden bald frustriert. Seit dem offiziellen Auslaufen des internationalen Militäreinsatzes wird die Sicherheitssituation wieder schlechter, was wiederum zur Folge hat, dass sich auch die nach eineinhalb Jahrzehnten Aufenthalt in Afghanistan ermüdeten NGOs mit ihren Projekten zurückziehen. Sie waren auch Arbeitgeber.

Der Krieg hat nie aufgehört. Auch die Hoffnungen auf einen politischen Neubeginn unter Präsident Ashraf Ghani haben sich nicht erfüllt. Gleichzeitig gibt es heute eine neue, nach dem Taliban-Sturz entstandene Schicht junger ausgebildeter Afghanen – ohne jede Perspektive.

Gefährliche Routen

Diesen Sommer hat mit großer Wucht eine neue Flüchtlingswelle eingesetzt, laut New York Times haben bereits im Juli, als es noch nicht so schlimm war, 77.700 Afghanen die Türkei und Europa erreicht, im Vergleich zu 58.500 während des gesamten Jahres 2014.

Die beliebteste, weil billigste Route, jene über den Iran, ist auch die gefährlichste, an der Grenze wird geschossen. Der Iran war besonders für schiitische Afghanen, die vor dem sunnitischen Extremismus flüchteten – im Teheraner Stadtbild fallen die vielen Hazara optisch auf –, erste Anlaufstelle. Laut UNHCR halten sich 950.000 Afghanen in der Islamischen Republik auf, in Pakistan sind es eineinhalb Millionen.

In beiden Ländern werden heute die afghanischen Flüchtlinge "ermutigt" zurückzugehen. Etwa 140.000 sollen heuer Pakistan verlassen haben, hunderttausende kamen in den letzten Jahren aus dem Iran zurück. Sie waren nicht die wirtschaftlich und sozial Erfolgreichsten in ihren Gastländern – und verstärken jetzt den existenziellen Druck auf die Jugend. Oft bringt eine Familie das Geld nur für einen auf: Nicht selten ist es der Jüngste, dem man den Neu beginn in Europa zutraut. (Gudrun Harrer, 18.9.2015)