Bild nicht mehr verfügbar.

Uruguay war für Wales in Cardiff eine leichte Beute – die Südamerikaner versuchten zu genießen.

Foto: APA/EPA/GEOFF CADDICK

Der am Wochenende vom Stapel gelassene World Cup 2015 gilt Experten als der bisher ausgeglichenste, letzthin äußerte sich auch der walisische Teamchef Warren Gatland in diese Richtung. Das mag einerseits stimmen, ist andererseits aber – wie so vieles – relativ. Tatsächlich schwebt derzeit kein Team in einer entrückten Sphäre, selbst Neuseelands All Blacks, die Titelverteidiger, erscheinen menschlich. Mit ihnen bilden die wiedererstarkten Australier, Südafrika und Gastgeber England die Gruppe jener Teams, denen die besten Chancen eingeräumt werden, am Ende einer sechswöchigen Tortur Hand an den Webb-Ellis-Pokal zu legen. Doch was kommt danach im insgesamt 20 Mannschaften umfassenden Teilnehmerfeld?

Beinhart

Wie groß das Leistungsgefälle immer noch ist, veranschaulicht in geradezu brutaler Verdichtung ein Blick auf die Vorrundengruppe A. Dort geben sich England, Australien und Wales eine beinharte, so noch nicht dagewesene Ausscheidung um zwei Viertelfinalplätze. Ein Großer wird früh auf der Strecke bleiben, eine dramaschwangere Konstellation, die des Langen und Breiten im öffentlichen Diskurs abgehandelt wird. Bereits der Nebensächlichkeit anheimfällt, dass mit Fidschi auch der mit viel Talent gesegnete Pazifik-Champion im Haifischbecken mitschwimmt. Fast gar nicht mehr erwähnt wird die Nummer fünf: Uruguay. Die Südamerikaner, die eine ganz überwiegend aus Amateuren gebildete Auswahl an den Start bringen, gelten als reine Punktelieferanten. Nur vier Spieler des 31-Mann-Kaders betreiben ihren Sport bei kleineren französischen und italienischen Klubs in professionellem Umfeld.

In der strengen, nach unterschiedlichen Leistungsstufen geordneten Hierarchie der Rugbywelt, wird Uruguay vom Dachverband World Rugby der zehn Nationen umfassenden zweithöchsten zugeordnet. Das ist nicht nichts – und doch eine entscheidende Differenz, begründet durch strukturelle Defizite.

Kiebitze

Macht, Geld und Expertise konzentrieren sich in jenen Verbänden, die bereits das höchste Niveau repräsentieren – die ebenfalls zehn Vertreter zählende Kategorie der "Tier One Nations". Vergleichsmöglichkeiten mit diesem exklusiven Klub gibt es abseits der WM so gut wie nie, nachholende Entwicklung scheint alleine deshalb fast unmöglich.

Uruguay etwa ist, seit es vor 67 Jahren die internationale Bühne betreten hat, erst gegen die Hälfte der acht ältesten Mitglieder des Weltverbandes, die sogenannten "Founding Unions", überhaupt angetreten. Der Spitzname des Teams nimmt da beinahe schon Treppenwitzcharakter an: die Kiebitze. Entsprechend niederschmetternd fielen die Resultate aus dieser Handvoll Matches mit der Elite aus: 3:134 gegen Südafrika (2005) und 13:111 gegen England (2003). Die Niederlage gegen Schottland (1999) blieb mit 12:43 immerhin ebenso im Rahmen wie das 9:54 am vergangenen Sonntag in Cardiff gegen Wales.

Keine Gnade

Nun warten bis 10. Oktober zwei weitere dieser Kaliber – eine beispiellose Herausforderung, bei der die Nummer 19 der Weltrangliste keinerlei Schonung zu erwarten hat. Die nach zum Teil monatelangen Trainingslagern bestens präparierten Gegner werden Vollgas geben, schließlich könnte am Ende die Punktedifferenz den Ausschlag über Wohl und Weh in der Gruppe geben.

Die Uruguayer jedoch, zum dritten Mal für eine Endrunde qualifiziert, nehmen ihr Los in untadeligem Sportsgeist an. "Für uns ist das eine Gruppe der Hoffnung", sagt Coach Pablo Lemoine. Und er meint sowohl den Wettkampf als auch das Rampenlicht. Eine einzigartige Gelegenheit biete sich hier, man habe vor, sie zu genießen. Schließlich werden die Kiebitze danach vier Jahren wieder im Verborgenen zwitschern.

Dass der Weltverband die Verringerung der Diskrepanz hinsichtlich der Wettbewerbsfähigkeit als eine seiner Prioritäten formuliert, dürfte wenig ändern. 34 Millionen Pfund hat World Rugby nach eigenen Angaben seit der letzten WM in die untere Hälfte des Feldes investiert. In dessen obere jedoch floss allein durch Kompensationen für den aufgrund der Teilnahme am Turnier erlittenen Verdienstentgang mehr als das Doppelte dieser Summe. (Michael Robausch, 21.9.2015)