Magdalena Rawicka und Lukas Friesenbichler inszenierten den Grünkohl als Hipster mit Brille, Moustache und Fliege.

Foto: Lukas Friesenbichler & Magdalena Rawicka

An der Roten Rübe kommt man im Moment in kaum einem Restaurant vorbei. Neu ist dieses Gemüse freilich nicht.

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Der kanadische Journalist und Autor David Sax beschreibt in seinem Buch "The Tastemakers" unter anderem das Phänomen der Cupcakes.

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Man streut sie über den Salat, lässt sie im Wasser zu einer zähen Masse aufquellen oder isst sie einfach nur so – die Rede ist von Chia-Samen. Die kleinen schwarzen Samen, an denen man im Moment kaum vorbeikommt, sind nicht nur extrem angesagt, sondern sollen auch eine wahre Wunderwaffe gegen eigentlich eh alles sein.

Beim Lesen der Liste, wobei Chia-Samen unterstützen und wogegen sie angeblich helfen sollen, stößt man fast einen Freudenschrei vor Glück aus. Sie sind offensichtlich das Lebensmittel, auf das wir so lange gewartet haben. Schließlich sollen sie beim Abnehmen unterstützen, gegen Sodbrennen helfen, den Blutzuckerspiegel bei Diabetes besser regulieren und die Wundheilung fördern. Eigentlich komisch, dass da noch niemand früher draufgekommen ist.

Wenn Lebensmittel nicht nur wahnsinnig toll aussehen und unglaublich gut schmecken (Letzteres wird uns allzu gerne eingeredet), sondern auch noch gesund sein sollen, dann spricht man von Superfood. Die kleinen schwarzen Samen sind so ein Superfood. Darauf einbilden brauchen sie sich aber nichts, sind sie doch nur einb Superfood von vielen, das wir für so unverzichtbar halten, dass wir es demonstrativ auf dem Schreibtisch stehen haben müssen, um unsere Weltoffenheit und unser Trendbewusstsein zu demonstrieren.

Macht das Kraut nicht fett

Ähnlich ist es mit dem Kale, dem Grünkohl, der sich vor einiger Zeit aus den untersten Regalen der Gemüsestandln auf den goldenen Präsentierteller hinaufgearbeitet hat. Vor allem in den USA kann man kaum einen Meter gehen, ohne an einem Laden vorbeizukommen, der das Gemüse nicht zumindest in einen Green-Smothie verarbeitet. Auch bei uns finden immer mehr Menschen Gefallen an dem Kraut, das in Speisen verkocht herrlich schmeckt. Aber ist das wirklich neu und ist das wirklich notwendig? Nein! Es ist weder neu noch wahnsinnig innovativ.

Ebenso verhält es sich übrigens mit anderen Trendlebensmitteln. Nur weil ein findiger Marketing-Mensch oder ein paar Food-Blogger etwas zum neuen Trend erklären, müssen wir es nicht unreflektiert kaufen, gut finden oder es unseren Mitmenschen aufzwingen. Vor allem bei Gemüse sind Food-Trends deutlich spürbar. Rüben in allen Farben und Formen erleben gerade einen regelrechten Boom.

Für Gärtner Mario Bach ist das alles keine große Neuigkeit, baut er doch schon seit Jahren Gemüse wie Grünkohl an und weiß, dass Food-Trends schon lange unser Essverhalten beeinflussen . "Kürbis hat vor 30 Jahren niemand gegessen, es war Schweinefutter – heute isst ihn plötzlich jeder im Herbst. Auch der Brennnesselspinat kommt langsam wieder zurück", sagt Bach. Das dürfte bei vielen von uns Kindheitserinnerungen wecken. Zu oft wurde einem eingeredet, dass man stark wie Comic-Held Popeye wird, wenn man viel Spinat isst. Die Idee war gut und unterscheidet sich nicht wesentlich von der Marketingstrategie von heute. Jetzt ist es nicht mehr Popeye, sondern wahrscheinlich ein Hollywood-Sternchen, ein angesagter Blogger oder ein Youtube-Star, der an unser kindliches Inneres appelliert und uns sagen will, dass wir uns von der breiten Masse abheben müssen.

Trendsetter oder Nachmacher

Food-Trends sind an sich nichts Neues. Die Frage ist immer, ob man sie mitmacht oder ihnen gelassen gegenübersteht. Diese Frage müssen sich auch Gastronomen stellen, wenn sie ihre Speisekarten schreiben. In der Spitzengastronomie beispielsweise muss man sich sehr genau überlegen, welchen Trend man mitmacht. Die beiden Sterneköche Paul Ivic und Konstantin Filippou verlassen sich in ihren Restaurants in Wien lieber auf ihr Bauchgefühl.

Ivic kocht in seinem Restaurant Tian ausschließlich vegetarisch, und trotzdem greift er lieber auf Gemüsesorten zurück, die er gut findet – unabhängig von Trends. "Ich schaue mir natürlich Trends an, aber mit der nötigen Distanz. Ich springe nicht auf jeden Food-Trend auf. Für mich ist mein Bauchgefühl entscheidend. Es kann sein, dass ich mich erst Jahre später für Lebensmittel begeistern kann, die jetzt gerade trendy sind", sagt Ivic.

Er kombiniert die unterschiedlichsten Gemüsesorten in seinen Gerichten und macht deutlich, dass das Tian kein Gesundheits-, sondern ein Genussrestaurant ist. Auf die Frage nach der Entstehung von Trends hat er eine klare Antwort: "Irgendjemand behauptet, dass ein Produkt gesund ist, und plötzlich ist es Healthy Food. Da springt natürlich auch die Industrie auf. Wenn ich mir einen Trend wünschen könnte, dann wäre es der, wieder weg vom konventionellen Gemüseanbau hin zum Ursprung ohne den Einsatz von Giften zu gehen".

"Teilweise eine Krankmacherei"

Filippou sieht das ganz ähnlich. Er tüftelt mit seinem Team an eigenen Ideen und Kreationen. Entgegen dem Trend verwirft er Rezepte sogar wieder, wenn er merkt, dass jemand anderer diese schon verwendet. "Mir ist der Wiedererkennungswert eines Gerichts wichtig. Diese Ernährungsdiskussionen mag ich nicht – es ist teilweise eine Krankmacherei. Einseitige Ernährung finde ich traurig. Für mich muss ein gutes Gericht alle Dinge enthalten. Ich finde Gemüse super, glaube aber nicht, dass es einem immer super schmeckt. Mit der Regionalität ist es ähnlich.

Natürlich ist es toll, einen Bachsaibling oder eine Forelle zu essen – ein Steinbutt in guter Qualität ist aber genauso gut und wird vom Geschmack her immer der König sein. Köche, die das ausblenden, lügen sich selbst an", sagt Filippou. Auch dass man derzeit an kaum einem Salat vorbei kommt, über den nicht irgendwelche exotischen Kräuter oder Samen gestreut sind, sieht der Spitzenkoch kritisch: "Ich frage mich, was eine Schafgarbe im Salat macht. Sie schmeckt nicht wohltuend, ist bitter und einfach unpassend. Alles, was medizinisch schmeckt, kommt nicht auf meinen Teller – egal ob Trend oder nicht."

Doch nicht alle Köche und Gastronomen scheinen immun gegen aktuelle Food-Trends zu sein. Laut einer – vom Handelshaus Wedl in Auftrag gegebenen – Studie greifen immerhin 40 Prozent der gastronomischen Betriebe in Österreich interessante Strömungen auf. Nur 20 Prozent der Befragten machen sich die Mühe, selbst Trends zu setzen und ihre eigenen Ideen zu verbreiten. Als wichtigste Trendströmung sehen die Befragten übrigens Regionalität. Doch sind es überhaupt die Küchenchefs, die die wirklichen Trends setzen? In der Spitzengastronomie vielleicht – wenn man beispielsweise an die nordische Küche denkt. Um die Massen zu bewegen, braucht es ein bisschen mehr als einen Spitzenkoch, der Sauerklee um ein Stück Fleisch wickelt.

Nachmachen erwünscht

Eine Art, Food-Trends zu verbreiten,ist das Bekanntmachen durch Vorbilder. Testimonials, die als Everybody's Darlings gelten, finden ein Produkt toll und erklären es zum neuen Trendlebensmittel. Wenn Stars vom Cover diverser – in Arztpraxen oder Friseursalons aufliegenden – Wochenzeitschriften der Regenbogenpresse lachen und dabei rein zufällig ein Glas "gschmackigen" Grünkohl-Smoothie in der Hand halten, stellt man sich die Frage, was dagegen spricht, diesen Wunderdrink zu kaufen. Eigentlich nichts! Und schon wird gekauft, gepostet, getrunken und – unabhängig von Geschmack und Wirkung – gelobhudelt.

Der kanadische Journalist und Autor David Sax beschreibt in seinem Buch "The Tastemakers" unter anderem das Phänomen der Cupcakes, eines eher ungesunden, aber umso populäreren Trend-Food. Nach einem 20-sekündigen Auftritt in der US-Serie Sex and the City erlebte der Cupcake einen wahren Boom. Jeder wollte plötzlich dieses süße kleine Ding haben, das eigentlich so gar nicht neu ist und bereits 1796 das erste Mal in einem Kochbuch erwähnt wurde. Egal – wenn sexy Sarah Jessica Parker als Carrie Bradshaw vor der legendären Magnolia Bakery mitten in Manhattan sitzt und genüsslich in den kleinen Kuchen mit Buttercreme-Topping beißt, muss er einfach gut sein. Die Frage, was an diesem kleinen Küchlein so besonders sein soll, bleibt indessen offen und ist auch nicht weiter wichtig.

Sax beschreibt solche und andere Lebensmitteltrends als natürliches Nebenprodukt der zivilisatorischen Entwicklung von Jägern und Sammlern. Das hat, laut dem Journalisten, unter anderem mit den vorhandenen wirtschaftlichen Mitteln zu tun, die es uns seit vielen Jahren ermöglichen, in andere Länder zu reisen und Produkte aus der Ferne zu beziehen. Auch er schreibt über die vielgelobten Chia-Samen und räumt mit Mythen um die vermeintlichen Wundersamen auf. Laut Sax wurden sie früher nämlich lediglich von Kunsthandwerkern zur Dekoration verwendet, bevor sie sich den Weg in unsere Supermarktregale und auf unsere Salate gesucht haben.

Modeküchlein Cupcake.
Foto: reutes/plunkett

Junge ansprechen

Dass man mit Rollenvorbildern und Produktplatzierungen im Fernsehen Glückstreffer landen kann, ist die eine Sache. Doch wie spricht man junge Menschen heute an? Wie kann man die "Generation Y" für neue Food-Trends begeistern? Sie holen sich ihre Informationen meist nicht mehr aus der Zeitung oder zappen sich von einer TV-Serie zur nächsten. Vielmehr konsumieren sie Informationen gebündelt – zum Beispiel durch On-Demand-Angebote wie Youtube und Co.

Aber auch Blogs spielen eine große Rolle. Was in der Mode bereits bestens funktioniert, wird auch in der Food-Szene immer populärer. Food-Blogger veröffentlichen kreative Rezepte, beschreiben Produkte und hinterfragen gewisse Strömungen auch kritisch. Die Blogger-Szene ist auch in Österreich beachtlich. Nicht umsonst haben auch Unternehmen das Potenzial von Bloggern für sich entdeckt und engagieren sie oft als Autoren für ihre Corporate Blogs. Das macht das Produkt nicht nur glaubhafter, sondern man erreicht damit auch eine ganz andere Gruppe an Konsumenten.

Blogger als Übersetzer

Food-Bloggerin Alexandra Palla befasst sich seit Jahren mit dem Thema Ernährung und weiß um die Macht von Food-Blogs. "Food-Blogger spielen bei Trends eine große Rolle, weil sie Themen in die Mainstream-Sprache übersetzen und sie verbreiten. Forscher und Experten kommen oft gar nicht an die Gruppe der User ran", ist Palla überzeugt. Lisa Vockenhuber betreibt den Blog finespitz.at und hat anders als viele Blogger-Kollegen beispielsweise den Boom von Chia-Samen hinterfragt. "Ich sehe keinen großen Vorteil in Chia-Samen, lediglich im daraus gepressten Öl.

Außerdem schmecken sie in reiner Form nach gar nichts. Für mich ist Superfood eher ein Lebensmittel, das ordentlich produziert wurde – das ist leider in den meisten Fällen nicht so", sagt Vockenhuber. Trends sind oft auch ein Impulsgeber für Menschen, denen die Zeit oder die Motivation fehlen, Dinge kritisch zu hinterfragen. "Viele Leute setzen sich zu wenig mit Ernährung auseinander und sind froh, wenn es Lebensmittel gibt, die alle gut finden und die auch noch gesund sind. Nachgefragt wird meist wenig. Ich finde es gut, wenn Leute mehr Geld für Lebensmittel ausgeben. Allerdings würde ich mir wünschen, dass heimische Produkte auch so einen guten Support bekommen", ergänzt Vockenhuber. Generell liegt es an uns, ob wir auf den Trend-Zug aufspringen oder ihn vorüberziehen lassen. Food-Trends zu hinterfragen schadet jedenfalls nicht. (Alex Stranig, Rondo, 25.9.2015)

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