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Rettungsarbeiten nach der tödlichen Massenpanik.

Foto: Reuters/Stringer

Riad/Wien – Die diesjährige Hadsch – die islamische Pilgerfahrt vor dem Opferfest, als eine der fünf Säulen des Islam für jene, die sie durchführen können, verpflichtend – stand unter keinem guten Stern. Noch vor ihrem offiziellen Beginn starben am 11. September mehr als hundert Menschen durch einen umstürzenden Kran in der großen Moschee in Mekka. Am Donnerstag wurde mindestens 717 Gläubigen der Korridor zwischen dem Pilgerlager in Mina und dem Ort der symbolischen "Steinigung des Teufels" zum Verhängnis: Wie schon zuvor mehrmals in der Geschichte der Hadsch wurden sie bei einer Massenpanik getötet. Mehr als 800 Pilger wurden zum Teil schwer verletzt.

Damit handelt es sich um ein noch größeres Unglück als im Jahr 2006, damals gab es 362 Tote. Vor 25 Jahren wurden 1.400 Pilger in einem Tunnel zu Tode getrampelt oder erstickten. Die saudische Führung hat in den vergangenen Jahren Milliarden in den Ausbau der Infrastruktur für die Pilger gesteckt, mit einer besonderen Aufmerksamkeit auf die Logistik der Abläufe und damit auf die Sicherheit. Aber hunderttausende Menschen – bis zu zwei Millionen sind es insgesamt – lassen sich eben nie völlig sicher bewegen.

Unglück als Politikum

Bei aller islamisch geprägten Schicksalsergebenheit – manche Pilger wünschen sich ja, in Mekka zu sterben, wenngleich bestimmt nicht so – ist das Unglück auch ein großes Politikum für das saudische Königreich. Es ist die erste Pilgerfahrt unter König Salman, der Ende Jänner das Zepter von seinem Halbbruder König Abdullah bin Abdulaziz übernommen hat. Da der König krank ist – dement sagen Beobachter –, führt vor allem sein Sohn Mohammed bin Salman die Regie im Staat. Er ist Vizekronprinz und Verteidigungsminister und kontrolliert den königlichen Hof.

Manche verdächtigen Mohammed bin Salman (MbS genannt), dass er gerne den in der Thronfolge vor ihm kommenden Kronprinzen Mohammed bin Nayef (MbN), Innenminister und Sohn eines direkten Bruders von König Salman, überholen würde. Mit dem derzeitigen Erfolg im saudisch-geführten Krieg gegen die Huthi-Rebellen im Jemen könnte der "kleine General", wie seine Gegner MbS, der ja auch Verteidigungsminister ist, nennen, seine Macht weiter festigen, so die Spekulationen.

Unfälle als "Strafe Gottes"

Aber die vielleicht wichtigste Rolle des saudischen Königshauses ist noch immer die "Bewahrerschaft" der heiligsten Stätten des Islam. Dass den neuen König und seinen Einflüsterer da derartig das Glück verlässt, wird zweifellos von manchen Auguren als schlechtes Omen, wenn nicht gar als Strafe Gottes, gesehen werden.

Die Kritiker sitzen direkt in der Königsfamilie. Vor kurzem wurde ein Brief bekannt, in dem ein anonymes Mitglied – wahrscheinlich ein Enkel von Staatsgründer Ibn Saud, also ein Neffe des Königs – einen dringenden Familienrat fordert und vor dem Zusammenbruch des saudischen Königtums warnt, falls nicht Änderungen an der Führungsspitze vorgenommen werden.

Ein Teil der Familie optiert offenbar dafür, dass der letzte infrage kommende Sohn von Ibn Saud, Ahmed, zum Zug kommt. Ahmed bin Abdulaziz, geboren 1942, galt immer als populär und auch Skandalen und Exzessen abhold, durch die andere Prinzen von der Thronfolge ausgeschlossen waren.

Viele Feinde in kurzer Zeit

Als König Abdullah 2014, im Jahr vor seinem Tod, jedoch seinen Halbbruder Muqrin zum Vizekronprinzen hinter dem damaligen Kronprinzen Salman erhob, erschienen die Aussichten Ahmeds erloschen.

Dadurch, dass sich Salman nach Abdullahs Tod jedoch über das Dekret seines verstorbenen Halbbruders hinwegsetzte und Muqrin als Kronprinz entließ, ist die Diskussion wieder entbrannt: wohl auch, weil sich Mohammed bin Salman in wenigen Monaten offenbar viele Feinde gemacht hat. Unter anderem wird er der Verschwendung von Staatsvermögen beschuldigt. Seine Gegner wer -den versuchen, die unglückliche Hadsch gegen ihn zu verwenden. (Gudrun Harrer, 24.9.2015)