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Physiologe Mark Post hält den ersten Burger mit Laborfleisch in der Hand. "In-vitro-Fleisch" könnte Umweltprobleme und Tierleid bekämpfen und Fragen der Ernährungssicherheit lösen.

Foto: REUTERS / David Parry

STANDARD: Sind wir der Möglichkeit schon näher gerückt, im Labor gezüchtetes Fleisch im Supermarkt zu kaufen?

Post: In den vergangenen zwei Jahren haben wir uns auf Proteinverbindungen konzentriert, vor allem auf das Muskelprotein Myoglobin, denn es färbt Fleisch rot. Ein weiterer Schwerpunkt war die Herstellung von Fettgewebe. Und wir haben weiter daran gearbeitet, dass eine Massenproduktion möglich wird.

STANDARD: Der erste Burger wurde noch mit der symbolischen Summe von 250.000 Euro beziffert. Wurden die Kosten schon reduziert?

Post: Wir haben mit einem Unternehmen zusammengearbeitet, das Zellen für medizinische Zwecke züchtet. Wenn wir unsere Produktion auf deren Modell umlegen, würde nach dem heutigen Stand der Technik ein Kilogramm Fleisch aus dem Labor rund 58 Euro kosten. Der Marktpreis für herkömmliches Fleisch wird jedoch künstlich niedrig gehalten. Ich denke, es wird noch ein paar Jahre dauern, aber wir werden konkurrenzfähig werden.

STANDARD: Welche Auswirkungen hätte es, wenn Kunstfleisch ein Massenprodukt wird?

Post: Mein Ziel ist, dass damit Umweltprobleme und Fragen der Ernährungssicherheit gelöst werden. Der Grund, warum wir uns besonders mit Rindern beschäftigen, ist, dass sie besonders schädlich für die Umwelt sind. Sie sind sehr ineffizient darin, Nahrung in Fleisch umzuwandeln. Sie brauchen etwa siebenmal mehr Proteine im Futter, als sie selbst bilden. Die Kuh erzeugt Methan. Die Nutztierindustrie produziert bis zu 20 Prozent des Treibhausgases.

STANDARD: Ein Thema, das wohl auch bei der UN-Klimakonferenz in Paris im Dezember Beachtung finden sollte. Die Umstellung der Nutztierindustrie hätte großes Potenzial, um den CO2-Ausstoß zu reduzieren. Wieso gibt es so wenig Diskussion?

Post: Der politische Wille geht meist in Richtung von Industriezweigen, die ihre Technologien ändern können. Das betrifft etwa die Energiewirtschaft, fossile Brennstoffe oder die Kohleindustrie. Das scheint ein einfacheres Ziel zu sein, denn eine Kuh kann man nicht ändern. Der Fehler liegt darin zu glauben, dass wir nichts dagegen machen können – außer weniger Fleisch zu konsumieren.

STANDARD: Kann man "In-vitro-Fleisch" auch gesünder machen als herkömmliches Fleisch?

Post: Wir arbeiten daran, Fettzellen zu züchten, die mehr Omega-3-Fettsäuren enthalten. Ein Hamburger würde dadurch den Cholesterinspiegel senken, anstatt ihn zu erhöhen. Zudem gibt es die Vermutung, dass intensiver Fleischkonsum Darmkrebs fördern kann. Wenn wir herausfinden, welche Komponente des Fleisches dafür verantwortlich ist, könnten wir sie entfernen.

STANDARD: Haben große Fastfood-Firmen Interesse signalisiert?

Post: Nein, und das ist auch nicht sehr wahrscheinlich.

STANDARD: Wieso? Es gibt ja schon Sojaschnitzel und glutenfreie Burger, um neue Kunden anzusprechen? Wäre ein "Kill-free-Burger" keine Marketingschiene?

Post: Großkonzerne sind stark von Marketing und – wie wir in den vergangenen Tagen an Volkswagen gesehen haben – von ihrem Image abhängig. Es braucht nicht viel Kontroverse, um ein Image zu zerstören. Wenn Großkonzerne nicht zu 100 Prozent sicher sind, dass die Öffentlichkeit ein neues Produkt akzeptiert, übernehmen sie es auch nicht.

STANDARD: Wie stellen Sie sich die Fleischproduktion der Zukunft vor?

Post: Eine Möglichkeit wäre, Fleisch zu Hause zu züchten. Man kauft die Stammzellen online und hat eine Art Mikrowelle als Set-up.

STANDARD: Man könnte also das Fleisch wie Kräuter und Gemüse zu Hause anbauen?

Post: Technisch gesehen ist das möglich. Eine realistischere Variante ist ein nachbarschaftlicher Zusammenschluss. Nehmen wir einen Wiener Bezirk: Die Kinder können die Tiere besuchen, sie streicheln, füttern. Und ab und zu pikst man die Tiere, um ihre Muskelzellen zu gewinnen. Damit wird Fleisch für die gesamte Gemeinschaft gezüchtet. Wir hätten keine langen Transportwege, und Kinder würden erkennen, wo ihre Nahrung herkommt. Im kleinen Rahmen können die Bedingungen gut kontrolliert werden: Das würde den Menschen ein besseres Gefühl dafür geben, wie das Fleisch hergestellt wird.

STANDARD: Zum Thema Gefühl: Bei einer spontanen Umfrage in der Redaktion haben die meisten fleischessenden Kollegen angewidert das Gesicht verzogen. Die Idee, Fleisch aus dem Labor zu essen, trifft häufig auf Ablehnung. Kann sie sich jemals durchsetzen?

Post: Es ist paradox. Auf der einen Seite sind wir fähig, etwas zu essen, von dem wir nicht genau wissen, was es enthält; ich denke da etwa an Hotdogs. Auf der anderen Seite gibt es diese Reserviertheit gegenüber Fleisch aus dem Labor. Ein Grund ist wohl, dass andere Menschen Hotdogs essen und überleben – zumindest kurzfristig. (lacht)

STANDARD: Evolutionär gesehen hat es Vorteile gebracht, nur das zu essen, was auch andere Menschen essen und überleben.

Post: Ja, aber dieses Gefühl kann überwunden werden. Die Begriffe "natürlich" und "unnatürlich" schwingen hier mit. Die Menschen wissen sehr wohl, dass auch eine Kuh in der Massentierhaltung kein natürliches Produkt mehr ist: Sie wird mit Konzentraten gefüttert, bekommt Antibiotika und unter Umständen sogar Hormone. Einige Tiere werden so gezüchtet, dass sie krank werden.

STANDARD: Aber steckt im Menschen vielleicht teilweise der Wunsch, andere Lebewesen zu dominieren oder gar zu töten?

Post: Ja, ich denke schon. An diesem Punkt ist es noch viel schwieriger anzusetzen. In unserem Unterbewusstsein ist es sicher ein Aspekt, dass wir glauben, die Krone der Schöpfung zu sein. Wir erlauben es uns, alle anderen Lebewesen der Erde zu dominieren, zu essen und teilweise auszurotten. Ich denke aber, dass sich die öffentliche Meinung, ob man Tiere zum Spaß, für die Medizin oder Kosmetik töten darf, ändert. (Julia Schilly, 1.10.2015)