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Bruno Kreisky 1988 während einer Ehrendoktoratsverleihung der Universität Wien.

Foto: APA/ROBERT JAEGER

Im heißen Sommer 2015 geisterte er noch ein wenig durch die Medien, die er einst so souverän beherrschte. Am 29. Juli war Bruno Kreiskys 25. Todestag. Man muss freilich zugeben: Wir sind ihm sehr fern gerückt.

Die verstaatlichte Industrie, um die er er so bemüht war, gibt es nicht mehr. Die "Arbeiter- Zeitung", die er für seine politische Bewegung als unverzichtbar ansah, ist längst verschwunden. Seine "austrokeynesianische" Beschäftigungspolitik hatte im Zeitalter der Globalisierung keine Chance. Und über den heutigen Zustand seiner SPÖ, die er für eine "Partei im historischen Sinn" hielt und für die er absolute Mehrheiten erstritt, wäre er wohl entsetzt. Dafür gilt die von Kreisky einst souverän gezähmte FPÖ bei den Wählern heute als die Partei mit der größten Nähe zum Bürger – und ihr Obmann beruft sich, nicht ganz ohne Berechtigung, auf das Kreisky'sche Erbe.

Auch Kreiskys eigenständige außenpolitische Linie, für die er Kritik erntete, die ihn aber auch zum geschätzten Gesprächspartner der Mächtigen dieser Welt machte, ist bald nach seinem Abgang aufgegeben worden.

Ausnahmepolitiker mit Schwächen

Dennoch gilt Kreisky mit Recht als einer der bedeutendsten Politiker der Zweiten Republik, und es scheint am Platze, sich gerade dieser Tage seiner angemessen zu erinnern.

Angemessene Erinnerung bedeutet nicht Schönfärberei. Es stimmt schon, er war ein Ausnahmepolitiker mit Schwächen. Er war eigentlich ein Bewahrer, kein Neuerer – anders als seine Minister Broda und Firnberg. Die Betriebsräte der Verstaatlichten hatten bei ihm viel zu sagen, vielleicht zu viel. Sogar in Arbeiterkammerkreisen tuschelte man, so lasse sich kein Unternehmen führen. Dass die "AZ" schwer defizitär war und ihr laufend die Abonnenten wegstarben, war in den 1970er-Jahren auch ein offenes Geheimnis. Das "Kleine Volksblatt" der ÖVP war da schon aufgegeben. Aber der traditionsbewusste Kanzler wollte nicht, dass es einmal heiße: "Gegründet von Victor Adler, eingestellt unter Bruno Kreisky". Diese Zögerlichkeit und Fixierung auf den Status quo hatte dann Kreiskys zweiter Nachfolger auszubaden.

Zielgruppengerechte Kommunikation

Franz Vranitzky gilt manchen als "Liquidator" der SPÖ, aber er musste auch vieles liquidieren: in der "Verstaatlichten", im Bereich der Parteipresse und schließlich auch im Fall Konsum nach einem von Anton Benya präsidierten langjährigen gewerkschaftlichen Missmanagement.

Worin liegt aber nun Kreiskys Anspruch auf politische Genialität begründet? Wahrscheinlich in seiner Gabe zielgruppengerechter Kommunikation. Er vermochte mit dem Arbeiter ebenso zu reden wie mit dem Industriellen, ohne Anbiederung – aber seine jeweiligen Gesprächspartner fühlten sich geschätzt. Kreisky nahm auch die Sorgen und Ängste seiner Gesprächspartner ernst, bis hin zu jenen der "Modernisierungsverlierer", denen manche heute "Unmenschlichkeit" vorwerfen.

Kreisky war ein Einiger

Vielleicht sollte man gerade angesichts der Wahlergebnisse in Oberösterreich und Wien vor allem daran erinnern: Kreisky war ein Einiger, keiner, der Zwietracht säte. Abwertendes Ausspielen der eigenen moralischen Überlegenheit war ihm zutiefst fremd, und die gemäßigte politische Rechte auszugrenzen, wie das später Mode wurde, wäre ihm nie eingefallen. "Die Menschen da draußen", wie er zu sagen pflegte, dankten es ihm – bis hin zu den "ehemaligen Nazis", die es zu seiner Zeit ja noch in Mengen gab. In einem Gespräch, das Franz Baltzarek, Michaela Gindl und ich mit ihm in Gösing führen durften, zeigte sich Kreisky vor der Bundespräsidentenwahl 1986 entsetzt von der Linie seiner Partei im Waldheim-Konflikt. Er ahnte wohl damals schon, wohin eine allzu selbstgerechte politische Haltung führt.

Gewiss, auch Kreiskys historisches Charakterbild schwankt ein wenig. Manche seiner Feindschaften, manche "Abkanzelungen" vom Typ "Lernen Sie Geschichte, Herr Redakteur!" erscheinen im Rückblick ungerecht.

Besonnenheit des Denkens

Wonach Kreisky strebte und was er zumindest teilweise erreichte, war aber: Besonnenheit des Denkens. Darum bieten auch seine im typischen "Kreisky-Deutsch" verfassten Memoiren bis heute anregende Lektüre. Seine Sprache war keine NLP-geschulte Kampfrhetorik, sondern bedächtig und klar – auch wo er sich im Labyrinth der eigenen Nebensätze gelegentlich selbst verlief. In seinem Büro hing die Maxime des römischen Dichters Horaz: "Den Gleichmut wahre dir mitten im Ungemach, den Gleichmut wahre dir, lächelt dir hold das Glück."

Seine aktuellen Nachfolger haben den Spruch des Horaz wohl nötiger als er. (Robert Schediwy, 19.10.2015)