Hengameh Yaghoobifarah betreibt den Blog Queer Vanity. In den USA verknüpfen "Fatshion"-Bloggerinnen schon länger Mode mit Körperpolitik, in Deutschland und Österreich sind Blogs wie der von Yaghoobifarah rar.

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Das Kuchenobjekt "Fettverteilung" von Julischka Stengele. .

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ModemacherInnen haben das Konzept der Diversity für sich entdeckt – auf Laufstegen und Werbeplakaten werden zunehmend Frauen gezeigt, die nicht den herrschenden Normen der Modewelt entsprechen: weiß, mager, makellos. Tess Holliday, die Kleidergröße 52 trägt, und Marquita Pring sind zwar noch keine klingenden Namen wie etwa Kate Moss, doch die beiden "Plus Size"-Models haben sich in der Branche erfolgreich ihren Platz erkämpft.

Allzu große Euphorie wäre jedoch verfrüht: "Plus Size"-Models sind nach wie vor die Ausnahme, das US-amerikanische Onlinemagazin "Jezebel" zählte die Models auf der New York Fashion Week im vergangenen Jahr und kam zu dem Ergebnis, dass rund achtzig Prozent von ihnen weiß waren. Auch Bloggerin und Journalistin Hengameh Yaghoobifarah wünscht sich angesichts des Aufbruchs in der Branche, "dass es nicht nur als Ausnahme, sondern als Norm passiert". Denn auch das Sortiment der Mode-Labels spiegelt die neue Vielfalt letztendlich nicht wider. Im Onlineshop der Modekette Zara endet die Größentabelle für Frauen etwa bei Größe 46. "Wenn ich mir von einer Marke, die Tess Holiday als Model hat, nichts anziehen kann, weil es in meiner Größe nichts gibt, dann bringt es mir selbst wenig", sagt Yaghoobifarah.

Subversive Moden

Sie betreibt von Berlin aus den Blog Queer Vanity – queere Blogs, die sich mit Mode und Dicksein beschäftigten, fehlten im deutschsprachigen Raum. In den USA verknüpfen "Fatshion"-Bloggerinnen schon seit längerem Mode mit Körperpolitiken und Kritik an der Bekleidungsindustrie. Dass eine dicke Frau sich selbstbewusst in einem körperbetonten Kleid zeigt, kann nach wie vor als Angriff auf gesellschaftliche Normen verstanden werden – Mode dient somit als subversives Element. "Subkulturästhetiken, alternative Trends und Mode als Widerstand werden in vielen feministischen Räumen kaum beachtet. Für mich als dicke person of color ist es ermächtigend, etwas zu tragen, in dem ich das Gefühl habe, mich ausdrücken zu können", sagt Yaghoobifarah.

"Fat Fashion" ist zu einem wichtigen Bestandteil der "Fat Acceptance"-Bewegung geworden, die in den 1960er-Jahren in den USA entstand und sich gegen die strukturelle Diskriminierung von dicken Menschen starkmacht – feministische Politiken waren von Beginn an von zentraler Bedeutung. "Dickenfeindlichkeit ist sehr eng mit sexistischer Abwertung verknüpft, weil an Frauen gesellschaftlich massiv die Anforderung gestellt wird, 'schön' und 'schlank' zu sein", sagt Magda Albrecht, die mit Vorträgen und Workshops zum Thema Dickendiskriminierung durch Deutschland tourt.

Ungesunde Dickenfeindlichkeit

Die politische Bildnerin, die auch Teil des feministischen Blog-Kollektivs Mädchenmannschaft ist, erlebt insbesondere von Menschen, die mit Kindern und Jugendlichen arbeiten, ein starkes Interesse am Thema. Auch wenn das Bewusstsein für die strukturelle Diskriminierung dicker Menschen zumindest in pädagogischen Einrichtungen zunimmt – im englischsprachigen Raum haben sich die "Fat Studies" bereits akademisch etabliert –, AktivistInnen der Bewegung werden nach wie vor mit Kritik und zum Teil heftigen Anfeindungen konfrontiert. AktivistInnen würden eine vermeintlich gesundheitsschädliche Lebensweise fördern, lautet der Vorwurf.

Übergewicht gilt seit Jahren als bedrohliche Volkskrankheit westlicher Industrienationen – die durch Fat Activists verharmlost werde. Auch Magda Albrecht kennt die Fragen nach der Gesundheit und der damit verbundenen Verunsicherung nur allzu gut: "Ich versuche zu erklären, dass Gesundheit nicht zwangsläufig mit Körpergewicht zu tun hat und möchte eine breitere Debatte anstoßen: Was verstehen wir unter Gesundheit?"

Körperfett werde gegenwärtig ausschließlich mit medizinischen oder ästhetischen Maßstäben betrachtet, die nicht neutral, sondern bereits gesellschaftlich geformt seien. Während Dicksein als Krankheit im öffentlichen Fokus steht, bleiben die Folgen von Dickenfeindlichkeit großteils unbeachtet. Wie verschiedene Untersuchungen etwa für den Fall rassistischer Diskriminierung zeigen, erzeugen diese jedoch massiven Stress und werden so zum Gesundheitsrisiko. "Verkörperte Ungleichheit" nennt das Harvard-Professorin und Gesundheitsforscherin Nancy Krieger.

Künstlerische Aneignung

Beleidigungen im öffentlichen Raum gehören für viele dicke Menschen zum Alltag, ihre strukturelle Benachteiligung zeigt sich vorrangig am Arbeitsmarkt – aber auch im Gesundheitssystem. "Ich vermeide es mittlerweile weitestgehend, zum Arzt zu gehen. Ich mache die Tür auf, und die Diagnose steht bereits", erzählt die Künstlerin Julischka Stengele. Egal, welche Beschwerden sie habe, stets würden sie von MedizinerInnen auf ihr Gewicht und ihre Körperform zurückgeführt. Aufgrund einer verschleppten Erkrankung hat die Künstlerin mit chronischen Schmerzen im Fuß zu kämpfen – erst ein als dickenfreundlich bekannter Orthopäde erklärte sich bereit, ein Röntgenbild anzufertigen.

Solche und ähnliche Erfahrungen verarbeitet die in Wien lebende bildende Künstlerin und queer-feministische Aktivistin in ihren Performances, die sich häufig mit Körperlichkeit auseinandersetzen. "Die Beschäftigung mit meinem fetten Körper begleitet mich schon sehr lange", sagt Stengele, die auch für ZeichnerInnen Modell sitzt. Als "Pig-Up" platzierte sie sich als lebende Skulptur in Ausstellungen – unbekleidet, mit einer Schweinemaske aus Latex über dem Kopf. Die Reaktionen der BetrachterInnen erfährt die Künstlerin so ungefiltert und geschützt hinter ihrer Maske. "Manche Menschen denken, ich mache mich über mich selbst lustig. Es ist aber genau umgekehrt – ich visualisiere in dieser Arbeit, wie ich gesehen werde, nicht, wie ich mich selbst sehe."

Leistungsverweigerung

Dickenfeindlichkeit untersucht Stengele geprägt durch eigene Erfahrungen auch in ihrer Überschneidung mit Klassismus. An der Universität der bildenden Künste, wo überwiegend Studierende aus bildungsbürgerlichen Haushalten eingeschrieben sind, fühlte sie sich im wahrsten Sinne des Wortes als Fremdkörper: "Als ich anfangs noch stärker versucht habe, meine soziale Herkunft zu verbergen, dachte ich: Ich kann meine Kleidung, meine Sprache anpassen, aber mein fetter Körper wird immer schreien: Hallo, ich komme aus der Unterschicht!"

Diskussionen über die "fette Unterschicht", die mit ihrer ungesunden Lebensweise diszipliniert und belehrt werden müsse, machen die enge Verbindung von Dickenfeindlichkeit und sozialer Abwertung besonders deutlich und finden sich in Qualitätsmedien ebenso wie in Reality-TV-Formaten. Dicksein gilt in der Leistungsgesellschaft als persönliches Versagen, dicke Menschen werden als faul, ungepflegt und weniger gebildet abgestempelt. "Ein dicker Körper steht für Leistungsverweigerung – und das wird in einer leistungsbetonten Gesellschaft natürlich geächtet", sagt auch Magda Albrecht.

Davon profitieren vor allem Konzerne, die Diätpillen, Light-Produkte oder aber Frauenmagazine verkaufen: Kaum eine Ausgabe von "Woman" oder "Cosmopolitan" kommt ohne Diät-Tipps aus. Dass "Plus Size"-Models längst Einzug in die Illustrierten gefunden haben, ist nur scheinbar ein Widerspruch – sie bleiben die Abweichung von der Norm. Dennoch haben "Fat Activists" bereits für nachhaltige Irritationen gesorgt. Tess Holliday ermutigt auf ihren Social-Media-Kanälen andere dazu, sich nicht vorschreiben zu lassen, wie man sich als dicke Frau zu präsentieren habe. Der Gesellschaft den "metaphorischen Mittelfinger" zeigen, nennt das Holliday. (Brigitte Theißl, 1.11.2015)