Es gibt diverse Köstlichkeiten, die mit dem Alter immer besser werden: vergorener Traubensaft etwa, eingesalzene Schweinebeine, fermentierte Milch – und, wenn man einigen Connaisseuren glaubt, auch manche Dosensardinen.

Vergangenes Wochenende durfte ich gleich mehrere teils jahrzehntealte Sardinendosen verkosten. Das verdanke ich den Brüdern Heinrich und Florian Steininger. Florian ist einerseits Veranstalter des Fests der Wurst, andererseits langjähriger Dosensardinen-Sammler, Heinrich ist Weinliebhaber und Besitzer einiger sardinentauglicher Flaschen. Nach einem dekadenten Tweet von meinem Sardinen-Auster-Champagner-Frühstück haben sie mich zu ihnen eingeladen, gemeinsam haben wir einige ihrer Schätze geöffnet – ich danke an dieser Stelle nochmals für einen äußerst unterhaltsamen und interessanten Sonntagnachmittag.

Sicher, eine Dosensardine, die frisch nicht gut ist, wird auch nach Jahren in ihrer Dose nicht besser. Sogenannte "Sardines millésimées", Jahrgangssardinen, aber sollen ihr volles Potenzial erst nach mehr oder weniger ausgiebiger Lagerung entfalten. Die Theorie dahinter ist laut einigen Seiten, dass einerseits das Öl so Zeit bekommt, die Sardine ordentlich zu durchdringen – weswegen die Dose während der Lagerung idealerweise gelegentlich gewendet werden soll –, und andererseits die lange Zeit ähnlich wie beim Wein dazu führen soll, dass Geschmäcker harmonischer werden.

Jahrgangssardinen zeichnen sich weniger dadurch aus, dass sie aus einem besonders guten Sardinenjahr stammen – soweit ich weiß, werden sie jedes Jahr abgepackt. Es bedeutet vielmehr, dass nur besonders gute, handverlesene Fische verwendet werden, die im Herbst gefangen wurden, weil das die beste, weil fetteste Sardinenzeit ist. Sie werden nicht wie andere Dosenware auf See gefroren, sondern schonend in etwas Öl (Erdnuss- oder Olivenöl) gegart und anschließend ebenfalls händisch vorsichtig in die Dosen gepackt. Das Jahr des Fangs, der Ort und, je nach Marke, manchmal auch das Schiff werden dann auf der Dose angegeben.

Foto: Tobias Müller

Der bekannteste Dosensardinen-Connaisseur war laut einschlägigen Internetseiten Vyvyan Holland, Oscar Wildes jüngster Sohn. Er soll zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Paris einen Club der Freunde der Dosensardine gegründet haben mit eigenem Sardinenkeller, in dem die besten Jahrgangssardinen gelagert und später verkostet wurden. Und auch Harold McGee hat ein Faible für alten Fisch: Für ihn sei das "Best-by-Date" eher ein "Maybe-getting-interesting-by-Date", schrieb er in einer seiner großartigen Kolumnen. Laut seinen Erfahrungen waren mehr als zehn Jahre alte Dosensardinen angenehm fischiger, mit mürberer, besserer Konsistenz als frische Ware. Sammler zahlen bis zu 50 Euro für rare Dosen, und französische Sternelokale sollen sie auf ihren Speisekarten anpreisen.

Foto: Tobias Müller

Die Auswahl

Weil der Herr Steininger viel zu viele Dosensardinen für einen Nachmittag hat, haben wir eine Auswahl getroffen: Wir haben von zwei Marken – La Quiberonnaise und Mouettes d'Arvor – jeweils verschiedene Jahrgänge verkostet. Wir haben genommen, was da war und sich identifizieren ließ – bei manchen Dosen etwa war kein Fangjahr, sondern nur das Ablaufdatum angegeben.

Die älteste Dose, die wir probiert haben, ist 2002 abgelaufen, sie dürfte also irgendwann zwischen 1995 und 1998 abgefüllt worden sein. Die jüngste Dose stammte von 2012. Von La Quiberonnaise haben wir zudem Sardinen in Olivenöl und Sardinen in Erdnussöl probiert. Daneben gab es noch eine billige Supermarktdose und ein besonders edles, mit Preisen ausgezeichnetes Exemplar (Albert Menes 2005) als Kontrollsardinen – und, aus purem Interesse, einen Exoten, eine Dose mit in Butter eingelegten Sardinen.

Foto: Tobias Müller

Die Ergebnisse

Unser Test lief nicht besonders wissenschaftlich ab. Er war nicht blind, es gab dazu Kasses-Brot, Butter und jede Menge Wein. Einig waren wir uns: Erdnussöl ist generell besser als Olivenöl, weil so der feine Sardinengeschmack besser und unverfälschter zur Geltung kommt; Mouettes füllt fleischigere, festere Sardinen ab als La Quiberonnaise ("Die waren im Fitnesscenter", hat das einer der Steiningers kommentiert). Und nach Durchsicht meiner Notizen zeichnet sich außerdem ab, was Harold McGee beschrieben hat: Ich habe den älteren Sardinenjahrgängen tendenziell mehr "Fischigkeit" und eine mürbere, teils bröckelige Konsistenz bescheinigt. Unsere einstimmig liebste Sardine war denn auch die älteste Dose, eine Quiberonnaise in Erdnussöl, die 2002 abgelaufen war.

Foto: Tobias Müller

Zwischen den einzelnen Dosen waren durchaus Unterschiede feststellbar, ich würde aber nicht so weit gehen zu behaupten, ich würde blind eine alte von einer frischen Dose unterscheiden können – es gab 2007er, die mürber waren als 2004er, und am angenehm fischigsten (weil auch mit vielen Gräten) war eine 2007er-Dose La Quiberonnaise Anchovis in Olivenöl, die viel kleiner waren als die Jahrgangssardinen. Die Firma lagert ihre Dosen zudem mindestens ein Jahr, bevor sie verkauft werden, um ein gutes Durchdringen mit Öl und ein Minimum an Reife zu gewährleisten.

Foto: Tobias Müller

Die billigen Supermarktsardinen waren deutlich schlechter als alle anderen: ohne Haut, klein, ausgesprochen trocken, mit weniger Aroma. Die preisgekrönten Albert Menes waren meine zweitliebste Dose: nicht zu salzig, angenehm cremig, mit feinen Fischnoten. Unessbar waren nur zwei Dosen: einmal eine La Quiberonnaise Olive von 2004, die stark bitter und nach ranzigem Öl schmeckte. Und die Buttersardinen (2007 abgelaufen), die bereits beim Öffnen ein ausgeprägte Aromen von Erbrochenem verströmten, das sich nach dem empfohlenen Aufwärmen im Backofen noch verstärkte.

Was bleibt

Die erneuerte Gewissheit, dass Jahrgangssardinen egal welchen Jahrgangs ziemlich gut sind. Und dass der Mensch nur eine gewisse Menge Sardinen genießen kann. Obwohl der Test erstaunlich lang Spaß gemacht hat – erst bei den letzten beiden Dosen hat es angefangen, mir zu grausen –, konnten wir unmöglich alle Sardinen aufessen. Den Sizilianern sei Dank gibt es aber eine wunderbare Verwendung für Sardinenreste – hier habe ich mein Rezept für Pasta con le sarde verewigt. (Tobias Müller, 1.11.2015)

Foto: Tobias Müller

Eine kurze Anmerkung: Fischdosen haben kein Ablaufdatum, sondern bloß ein "Bis dahin ist es auf jeden Fall gut"-Datum. Danach gelten diese weisen Worte und "Verkosten auf eigene Gefahr".