4100 Wohnungen sollen in den nächsten Jahren in St. Pölten entstehen. Laut Maklern haben Wiener durchaus Interesse am Wohnen in der kleineren Landeshauptstadt. Zuziehende suchen häufig innerstädtische Wohnungen in Bahnhofsnähe.

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In der Maximilianstraße in St. Pölten werden bis 2017 185 Wohnungen in vier mit Brücken verbundenen Häusern gebaut.

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37 Wohnungen entstehen im Wohnpark Tullnerfeld.

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Früher brannte sich St. Pölten vor allem aus einem Grund ins Gedächtnis ein: Die Glanzstoff Austria produzierte im Norden der Stadt zwischen 1906 und 2008 Viskosefasern. Das roch man auch.

"Lange war St. Pölten als Stadt mit starkem Industrieschwerpunkt bekannt", sagt Matthias Stadler (SPÖ), Bürgermeister der 52.000-Einwohner-Stadt. In seinen Augen hat sich das aber gravierend verändert: "Heute sind wir eine der Wachstumsstädte der Republik."

In der "Glanzstadt", dort wo früher die Viskosefasern hergestellt wurden, sollen auf 21 Hektar nun 1000 Wohnungen entstehen. Insgesamt sollen in den nächsten Jahren 4100 Wohnungen in der Landeshauptstadt gebaut werden. 800 befinden sich zudem derzeit in Bau. Damit will sich die Stadt zunehmend als "Wohnalternative zu Wien" positionieren. Denn vom Westbahnhof bis nach St. Pölten sind es nur 25 Minuten mit dem Zug.

Großer Wohnungsbedarf

Eine äußerst beliebte "Wohnalternative" für Wiener sind Teile Niederösterreichs bekanntermaßen schon lange: Die Speckgürtelgemeinden wachsen laut einer im Frühjahr veröffentlichten "Wohnungsbedarfsanalyse Niederösterreich" des Instituts für Immobilien, Bauen und Wohnen weiter.

Die Bezirke mit dem dieser Studie zufolge größten Wohnungsbedarf mit jeweils über 1000 neu zu errichtenden Wohnungen pro Jahr sind Baden, Wien-Umgebung und Mödling. Auch in St. Pölten sieht man sich "in einer Speckgürtelsituation", so Stadler: "Und wir nehmen die Konkurrenz gerne auf."

Argumente dafür, warum Wiener nach St. Pölten ziehen sollen, hat der Bürgermeister genug: Der Nettomietpreis liege bei vergleichsweise günstigen 7,30 Euro pro Quadratmeter, der Quadratmeterpreis einer Eigentumswohnung mit sehr gutem Wohnwert bei 1963 Euro. Außerdem verfüge die Stadt über ausreichend Baulandreserven für die kommenden Jahre. Um Wohnungsgenossenschaften und Investoren die Landeshauptstadt schmackhaft zu machen, war Matthias Stadler auch auf der Expo Real in München vor wenigen Wochen unterwegs.

"Ländlicher Charakter"

Einen Partner hat er schon gefunden: Die BWS-Gruppe errichtet in St. Pölten derzeit 294 Wohnungen in zwei Wohnprojekten, weitere 260 sind in Planung. "Die hervorragende Infrastruktur und den – salopp gesagt – doch ein bisschen ländlichen Charakter" schätzt der Vorstandsvorsitzende Wilhelm Haberzettl. Die Wohnungen werden freifinanziert errichtet. Dafür müssten keine Förderrichtlinien beachtet werden: "Es gibt also keine Einschränkungen, was die Größe betrifft." Nicht nur Neubau wolle man errichten, sondern auch die Substanz sanieren und aufstocken, sagt Haberzettl, im kommenden Jahr soll das bei zwei Projekten geschehen.

Unter den in Bau befindlichen Wohnungen sind nur 15 Eigentumswohnungen, die um 2500 Euro pro Quadratmeter verkauft werden. "Das ist für uns ein bisschen ein Neuland in St. Pölten", sagt Haberzettl. Stadler rechnet aber damit, dass Eigentumswohnungen in den nächsten Jahren als Geldanlage stärker nachgefragt werden.

Derzeit seien in St. Pölten allgemein nur sehr wenige Eigentumswohnungen am Markt, sagt Paul Edlauer von Edlauer Immobilien. Auch der Makler sieht St. Pölten als attraktive Option für Wiener: "Es gibt durchaus Interesse von Menschen, die keine St. Pöltner sind oder die nur sehr lose Wurzeln hier haben."

Sie würden meist nach Mietwohnungen in innerstädtischer Lage, idealerweise in Bahnhofsnähe, suchen. Denn nicht jeder, der in Wien arbeitet, habe auch einen Bezug zur Stadt oder wolle in einer Großstadt überhaupt wohnen: "Es gibt Menschen, die die Intimität und Übersichtlichkeit einer kleineren Stadt suchen."

Gehobenes Wohnen

Den Trend zum Wohnen außerhalb der Stadt gebe es etwa bei Familien mit Kindern. Richtiger "Hunger" komme aber erst mit einem attraktiven Angebot: "Für Appetit muss man erst einmal dementsprechende Mahlzeiten auftischen", sagt Edlauer. "Aber je mehr ich das Angebot erhöhe, umso größer muss auch der Hunger sein."

Im freifinanzierten Bereich müsse man Bewohnern immer gewisse "Goodies" bieten, sagt Haberzettl. Daher probiert man es in einem der beiden BWS-Projekte in St. Pölten neben einem Fitnessraum mit einem zentralen "Hol- und Bringraum" mit gekühlten Schließfächern, in dem Lieferservices Bestellungen für Mieter deponieren können. In Deutschland sei dieser Service von den Mietern bereits gut angenommen worden.

Auch "gehobenes Wohnen" gebe es in St. Pölten mittlerweile, berichtet Stadler sichtlich stolz. "Die Wohnungen sind bereits alle weg, obwohl sie im hochpreisigen Segment angesiedelt waren."

Wohnen im Tullnerfeld

Das Tullnerfeld ist mit dem Zug von Wien aus noch schneller erreichbar als St. Pölten. Viele Wiener kennen den 2012 eröffneten Bahnhof wohl nur von der Durchfahrt. Dieser läuft "bestens", Pendler parken hier ihre Autos und nehmen den Zug nach Wien, berichtet der Vizebürgermeister von Michelhausen, Eduard Sanda (ÖVP). Seit kurzem gibt es am Bahnhof auch einen Kindergarten.

Die Immobilienpreise haben seit der Bahnhofseröffnung angezogen: "Es hat aber ein bisschen gedauert, bis die Nachfrage stieg", sagt Romana Schaufler von Auritas Finanzmanagement. Gemeinsam mit Riedergarten Immobilien entwickelt das Unternehmen einige Gehminuten vom Bahnhof entfernt den "Wohnpark Tullnerfeld".

In einem ersten Bauabschnitt entstehen 37 Eigentumswohnungen, die nächsten Sommer übergeben werden. Mittlerweile sind 23 der Wohnungen verkauft – das sei in einem so frühen Stadium "untypisch", sagt Schaufler. Erst vor einigen Wochen fand die Gleichenfeier statt. Doch viele Menschen hätten erkannt, dass sie sich um das Geld, um das sie sich in Wien eine 50 Quadratmeter große Wohnung leisten können, im Tullnerfeld eben 80 Quadratmeter leisten können.

Wiener Käufer

Auch von den Bauparzellen des Wohnparks, auf denen, um Spekulation vorzubeugen, innerhalb von acht Jahren nach Kauf ein Haus stehen muss, sind bereits 50 verkauft. "Acht bis zehn" seien noch zu haben, so Schaufler.

Die Preise dafür liegen um die 140 Euro pro Quadratmeter, mit dem Anwachsen der Siedlung – in einigen Jahren werden hier 500 bis 700 Menschen wohnen, schätzt Schaufler – würden wohl aber auch die Preise weiter steigen. Vor wenigen Jahren noch seien diese bei 110 Euro gelegen. "99 Prozent" der Käufer von Parzellen seien Wiener, viele mit kleinen Kindern, die aus der Stadt wegziehen wollen.

Derzeit wird der zweite Bauabschnitt geplant, insgesamt fünf könnten es werden, sagt Schaufler: "Aber das hängt von der Nachfrage ab."

Eines ist trotz Nähe zum Bahnhof aber klar: Ohne Auto geht es wie so oft auf dem Land wohl eher nicht. Das räumt auch Schaufler ein: Nahversorger gibt es am Bahnhof, der in Gehweite liegt, nämlich, von einem Bäcker abgesehen, nicht. Alle anderen Einkaufsmöglichkeiten müssen mit dem Auto angesteuert werden. Im Wohnpark selbst ist auch kein Nahversorger geplant, sagt Schaufler.

Der Bahnhof soll nun aber ausgebaut werden, sagt Vizebürgermeister Sanda. Eine Apotheke komme in das neue Gebäude fix hinein, bezüglich einer Vermietung von Büroflächen befinde man sich in Verhandlungen. Und vielleicht, hofft Schaufler, zieht ja auch noch ein Nahversorger ein. (Franziska Zoidl, 10.11.2015)