Die erste "Nu couché" aus einer Serie, die Amedeo Modigliani ab 1917/18 malte, wechselte für mehr als 170 Millionen Dollar nach China. Als Inbegriff der modernen Nackedei garantiert diese Ikone dem Long Museum (Shanghei) künftigen Besucheransturm.

Foto: Christie's

Diese "Femme nue couchée" malte Gustave Courbet 1862 – nach nur sechs Minuten wurde das damals im Pariser Salon präsentierte Werk abgehängt, weil es als Affront empfunden wurde. Das Gemälde wechselte diese Woche in New York für 15,28 Millionen Dollar den Besitzer.

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grafik: standard

Als Gustave Courbet 1862 seine schlafende Nackte schuf, brach er mit allen zulässigen Konventionen. Nicht wegen des Motivs, das in der Kunstgeschichte bereits eine lange Tradition vorwies, sondern wegen der überaus realistischen Darstellung, die schlicht zu radikal wirkte, um noch geschmackvoll zu sein.

Mit dem klassischen Kanon idealisierter Schönheiten eines Giorgione (Schlummernde Venus, 1510) oder Tizians (Venus von Urbino, 1538), bei denen die jeweils linke Hand über dem Schoß ruhte, hatte das nichts mehr zu tun. Selbst im Vergleich zu Goyas Maja (1795-1800), die, ihre Arme hinter dem Kopf verschränkt, den Blick auf die Scham nahezu bedingt, verstörte Courbets unbändige Wirklichkeitsnähe.

Erfrischend schamlos

Die Präsentation des Gemäldes im Pariser Salon dauerte exakt sechs Minuten, dann wurde dieser Affront gegen das Establishment auch schon abgehängt. Dass in der Chronik der Kunstgeschichte stets Manets ein Jahr später gemalte Olympia 1865 einen Skandal ausgelöst haben will, verwundert rückblickend. Vermutlich hatte Manet, die Courbet-Episode kennend, genau diese Provokation im Sinne. Dabei gleicht seine Olympia eher einer modernen Fassung von Tizians Venus, sehr dekorativ, aber von Courbets Radikalität weit entfernt, die Lucian Freud später als erfrischend schamlos bezeichnete.

Femme nue couchée zierte mehrere Privatsammlungen, darunter auch jene von Baron Ference Hatvany, dessen Kollektion die Nationalsozialisten 1944 in Budapest beschlagnahmten. 2005 wurde das Bild an die Hatvany-Erben restituiert und an einen Sammler verkauft und war 2007 bei der Retrospektive im Grand Palais nach mehr als fünf Jahrzehnten erstmals öffentlich zu sehen.

Nun entschied sich der Eigentümer zur Versteigerung bei Christie's, wo es im Zuge der kuratierten Auktion "The Artist's Muse" diese Woche für 15,28 Millionen Dollar in New York den Besitzer wechselte. Ein Künstlerrekord, der gemessen am Nettoschätzwert (exklusive Aufgeld) von 15 bis 25 Millionen Dollar allerdings unter den Erwartungen blieb. Courbet ereilte insofern ein posthumes Schicksal, das er mit vielen seiner Kollegen teilt. Seine Schlüsselrolle in der Entwicklungsgeschichte dieses Motivs wurde vom Markt ignoriert.

Der Ikonen Potenzial

Der Ruhm war diese Woche Amedeo Modiglianis Nu couché vorbehalten. Der Akt gilt als Inbegriff der modernen Nackedei, kein anderer wurde seit seiner Entstehung 1917/18 so oft in der Literatur zitiert und publiziert, sodass sich Christie's, entgegen den Gepflogenheiten, in den Katalogangaben auf eine Übersicht der relevantesten Beispiele beschränkte.

Ein Meisterwerk, für das das Auktionshaus viel riskierte, mindestens 100 Millionen Dollar dürften unabhängig vom Verlauf der Auktion garantiert worden sein. Das Bild war seit 1949 in italienischem Privatbesitz und ge- langte 1987 über den Erbweg an die Verkäuferin, die Schweizer Kunsthistorikerin Laura Mattioli Rossi.

Von 75 Millionen ging es in Fünf-Millionen-Etappen bis zu 100 Millionen, als noch sieben Bieter im Spiel waren. Schließlich setzte sich bei 152 Nettomillionen das Long Museum in Schanghai durch. Inklusive Aufgeld sind das 170,4 Millionen Dollar oder umgerechnet 157,86 Millionen Euro. Der zweithöchste je bei einer Auktion für ein Kunstwerk bewilligte Wert.

Ein Vermögen, keine Frage, aber auch eine überaus geschickte Investition, wie Alfred Weidinger, Vizedirektor des Belvedere, meint. Denn es sind solche Ikonen, die Museen Heerscharen von Besuchern und über die Umwegrentabilität inklusive der Vermarktung stattliche Einnahmen bescheren. "Vergleichbar mit da Vincis La Gioconda für den Louvre in Paris, Gustav Klimts Goldene Adele für die Neue Galerie in New York oder seinem Kuss bei uns im Belvedere", erklärt Weidinger.

Für den Anfang dürfte dieser Modigliani dem chinesischen Museum wenigstens einen Zuwachs von 500.000 Besuchern bringen, mittelfristig würde die Millionengrenze wohl schnell überschritten, ist Weidinger überzeugt. Ein garantierter Magnet, von dem der gesamte Bestand des Museums profitieren wird. Auch weil solche Ikonen in der Regel nicht mehr für Ausstellungen fern der neuen Heimat verliehen werden.

Mit einem blauen Auge

Christie's spielte im Zuge dieser kuratierten Auktion, stolze 491,35 Millionen Dollar ein. Stattlich, und doch kam man mit einem blauen Auge davon. Denn im Vorfeld gewährte man für 18 der 34 angebotenen Positionen eine Garantie. Vier dieser nunmehr "verbrannten" Patienten (u. a. Willem de Kooning, Woman, 14-18 Millionen Dollar) blieben unverkauft und harren nun im Private Sale ihrer Chance. Zusammen mit dieser Tage abgehaltenen Versteigerungen der Sparten "Post War & Contemporary" und "Impressionist & Modern Art" summierten sich die Besitzerwechsel bei Christie's auf 1,05 Milliarden Dollar, bei Kontrahent Sotheby's auf imposante 1,15 Milliarden Dollar. (Olga Kronsteiner, Album, 13.11.2015)