"Das Hepatitis C-Virus ist im normalen Alltag kein Problem und jede Form von Panik oder sogar Ausgrenzung von Infizierten ist absolut nicht gerechtfertigt und beruht auf Unwissen", betont der Wiener Hepatologe Michael Gschwantler.

Foto: Gschwantler

STANDARD: Wie gefährlich ist Hepatitis C?

Gschwantler: Hepatitis C ist eine ansteckende Erkrankung, die zumeist kaum Symptome verursacht, aber über die Jahre die Leber schädigt und letztlich zu Leberzirrhose führen kann. Gut ist, dass eine Ansteckung mit dem Virus im Alltag so gut wie nicht passiert, denn das Hepatitis-C-Virus (HCV) wird ausschließlich durch Kontakt mit Blut übertragen.

STANDARD: Also kein Grund zur Sorge?

Gschwantler: Doch, denn das Hepatitis C-Virus ist ansteckend und viele Menschen wissen nicht, dass sie es in sich tragen.

STANDARD: Wie sollte man sich verhalten?

Gschwantler: Es gibt drei wichtige Infektionsquellen im Alltag: das sind Zahnbürsten, Manikürzeug und Rasierer. Diese Geräte verursachen oft Mikroverletzungen, da kann Blut austreten. Allerdings ist die Gefahr wirklich sehr gering. Durch einmalige gemeinsame Nutzung dieser Geräte infiziert man sich selten. Hepatitis C wird übrigens auch praktisch nie über Geschlechtsverkehr übertragen.

STANDARD: Wer sind aktuell also Ihre Patienten?

Gschwantler: Patienten, deren Infektion Jahre zurückliegt, haben sich häufig in einem medizinischen Umfeld (z.B. Blutkonserven) angesteckt. Andere potenzielle Infektionsquellen sind Tätowierungen oder Piercings, wenn sie in Studios in anderen Ländern, wo keine so strengen Vorschriften wie bei uns sind, durchgeführt worden sind.

STANDARD: HCV galt lange Zeit als Infektion von Drogenkranken. Spiegelt sich das in den Neuinfektionen?

Gschwantler: Wir bemühen uns, dieses Bild zu entkräften, weil es zu einer Stigmatisierung aller Hepatitis-C-Patienten führt und Stigmatisierung für jede Infektionserkrankung schlecht ist. HCV kann im Prinzip jeden treffen. Von den Neuerkrankungen, die wir im Wilhelminenspital behandeln, hat jedoch ein großer Teil der Patienten einen Drogenhintergrund.

Das bedeutet aber nicht zwingend, dass der Betreffende Heroin injiziert hat und dass Spritzen eine Infektionsquelle sind. Schließlich gibt es seit Jahren Nadeltauschprogramme. Auch das Schnupfen von Kokain kann zu einer Infektion führen. Wenn Menschen gemeinsam aus demselben Röhrchen Koks aus einem Briefchen aufziehen, besteht ein Infektionsrisiko. Schließlich sind bei dieser Technik Mikroverletzungen in der Nase nicht selten. Aktiv Drogensüchtige sind aber auch deshalb ein Quell der Sorge, weil die meisten von ihnen nicht an ein Spital angebunden sind.

STANDARD: Ist die Erkrankung deshalb meldepflichtig?

Gschwantler: Die Meldepflicht hat historische Gründe und grundsätzlich mit der Ansteckungsgefahr zu tun. Doch gerade die Meldepflicht wird von vielen Patienten als sehr belastend empfunden und erzeugt Ängste – zum Beispiel die der Überwachung. Aus epidemiologischer Sicht wäre es wichtig zu wissen, wie viele Österreicher infiziert sind. Nur so können die Behörden schließlich Maßnahmen planen.

Allerdings gibt es trotz der Meldepflicht kein Krankenregister, das eine systematische Erfassung und ein Auswerten der Therapien möglich macht. Ich will aber noch einmal betonen: Das Hepatitis C-Virus ist im normalen Alltag kein Problem und jede Form von Panik oder sogar Ausgrenzung von Infizierten ist absolut nicht gerechtfertigt und beruht auf Unwissen.

STANDARD: Hepatitis C stand aber in einem ganz anderen Zusammenhang im Fokus der Gesundheitspolitik. Es ist die erste Viruserkrankung, die durch eine Therapie vollständig ausgerottet werden könnte. War dieser Quantensprung absehbar?

Gschwantler: Eigentlich schon. Zumindest wissen wir dies seit mehreren Jahren, weil wir am Wilhelminenspital ja Hepatitis-C-Patienten mit den neuen Medikamenten im Rahmen klinischer Studien behandelt haben. Insofern haben wir selbst gesehen, dass sich das Virus durch eine 12 Wochen dauerende Therapie vollständig aus dem Körper eliminieren lässt. Patienten sind nach dieser Therapie zwar nicht immun und können sich wieder anstecken, aber dass ein Virus durch Medikamente besiegbar wird, ist in der Geschichte der Medizin ziemlich einzigartig.

STANDARD: Welche Therapie gab es davor?

Gschwantler: Wir haben Hepatitis-Patienten mit einer Kombination von Interferon und Ribavirin behandelt. Das hat leider nur bei 50 Prozent der Patienten zur Heilung geführt. Die Therapie erforderte allerdings viel Disziplin.

STANDARD: Inwiefern?

Gschwantler: Patienten mussten sich ein Mal pro Woche selbst eine Spritze setzen und täglich mehrere Tabletten schlucken. Und das meist ein ganzes Jahr lang. Belastend waren die starken Nebenwirkungen. Die mussten Patienten ertragen, und das ohne Garantie auf eine Heilung.

STANDARD: Inwiefern sind die neuen Wirkstoffe besser?

Gschwantler: Die neuen Medikamente haben so gut wie keine Nebenwirkungen, sie führen in nahezu hundert Prozent aller Fälle zur Heilung und sie wirken bei allen Hepatitis C-Infizierten.

STANDARD: Gab es eine Gruppe, die mit Interferon nicht behandelt werden konnte?

Gschwantler: Ja, insbesondere jene Patienten, die bereits eine Leberzirrhose im fortgeschrittenen Stadium hatten, konnten mit Interferon nicht behandelt werden. Dies war besonders tragisch, da es gerade diese Patienten waren, die eine Therapie am dringendsten benötigt hätten.

STANDARD: Wie unterscheidet sich die alte Interferon-Therapie von der neuen Generation an Medikamenten?

Gschwantler: Interferon aktiviert das körpereigene Immunsystem, konkret werden ganz bestimmte körpereigene Abwehrzellen stimuliert, die dann die infizierten Leberzellen eliminieren, damit wieder neue intakte nachwachsen können. Die neue Medikamentenklasse funktioniert vollständig anders. Die Forscher haben nämlich erkannt, dass das Virus für seine Vermehrung nicht nur Strukturen von körpereigenen Zellen benötigt, sondern die Hilfsstoffe dafür auch selbst herstellt.

STANDARD: Wo liegt der therapeutische Ansatz?

Gschwantler: Die Hilfsstoffe, die das Virus selbst produziert und für die Vermehrung braucht, sind drei Enzyme. Die neuen Medikamente hemmen die Wirkung dieser Enzyme und stoppen damit die Virusvermehrung. Das körpereigene Immunsystem, das bei der Interferontherapie die Hauptrolle gespielt hat, ist dabei nicht involviert. Deshalb hat die neue Therapie auch praktisch keine Nebenwirkungen.

STANDARD: Wie unterscheiden sich die beiden neuen Medikamente voneinander?

Gschwantler: Wir wissen, dass das Hepatitis C-Virus drei Enzyme hat, über die es seine Vermehrung steuert. Die Protease, die Polymerase und NS5A. Die neuen Medikamente hemmen diese Enzyme. Kombiniert man diese Wirkstoffe, lässt sich Hepatitis C heilen. In dem Therapieschema, das das Pharmaunternehmen Abbvie entwickelt hat, sind ein Protease-, ein Polymerase- und ein NS5A-Hemmer enthalten – das Schema der Therapie von Gilead, die als erste zugelassen wurde, enthält zwei Wirkstoffe.

STANDARD: Das stellt sie aber doch vor ein Dilemma?

Gschwantler: Als Mediziner eigentlich nicht, denn ich will jedem Patienten, der kommt, die beste verfügbare Therapie anbieten. In Studien haben sich beide Therapieschemata gleich bewährt. Das Problem der Hepatitis-C-Behandlung sind die Kosten.

Aus Sicht des Hauptverbandes ist das Problem nachvollziehbar. Es gibt zirka 30.000 bis 40.000 Hepatitis C-Infizierte in Österreich. Etwa die Hälfte von ihnen kommt für eine Interferontherapie nicht in Frage. Die alte Interferontherapie war aber übrigens auch sehr kostspielig, vor allem angesichts der Tatsache, dass damit nur knapp der Hälfte der Patienten geheilt werden konnten.

STANDARD: In welchen Fällen dürfen Sie nun die neue, teure Therapie anwenden?

Gschwantler: Wir halten uns an die medizinischen Fakten. Zum einen geht es um die Art des HCV-Virus. Es gibt insgesamt sieben Genotypen des Virus, in Österreich ist die Mehrzahl der Fälle HCV-1a und HCV-1b infiziert. In beiden Fällen wissen wir, dass solche Patienten auf die neue Therapie hervorragend ansprechen. Die medikamentösen Therapievarianten am Markt sind dabei auch gleich gut wirksam. Wir können aus Kostengründen allerdings leider erst ab einem bestimmten Stadium der Erkrankung behandeln.

STANDARD: Also dann, wenn die Leber bereits geschädigt ist?

Gschwantler: Entscheidend für die Dringlichkeit eines Therapiebeginns ist der Zustand der Leber. Die Hepatologie unterscheidet fünf Stadien. Eine gesunde Leber hat das Stadium null, eine Leberzirrhose entspricht em Stadium vier. Wir messen den Zustand der Leber über den so genannte METAVIR-Score. Seit 1. August zahlt die Krankenkasse die neue Therapie für Patienten ab dem Stadium 2.

STANDARD: Können Sie das verantworten?

Gschwantler: Natürlich würde ich die neuen Therapien gerne allen HCV-Patienten anbieten. "Es tut mir leid, sie müssen warten", ist kein Satz, den ich gerne sage. Aber ich bin optimistisch. Denn die Preise für die Therapie sind im Laufe des letzten Jahres durch die Konkurrenzsituation bereits um die Hälfte gesunken, im nächsten Jahr kommen noch einmal neue Substanzen auf den Markt. Das macht mich zuversichtlich.

STANDARD: Gibt es schnell verlaufende Formen von Hepatitis C?

Gschwantler: Im Allgemeinen schreitet die Erkrankung recht langsam voran. Meist dauert es mindestens 20 Jahre bis zu einer voll ausgebildeten Leberzirrhose. Dies gilt allerdings nur unter der Voraussetzung, dass nicht noch andere leberschädigende Substanzen eingenommen werden, Alkohol zum Beispiel. Auch Übergewicht ist ein Risikofaktor. Patienten, die gleichzeitig mit HIV oder Hepatitis-B infiziert sind, haben ebenfalls schlechtere Prognosen.

STANDARD: Was ist mit der alten Interferontherapie?

Gschwantler: Wir wissen, dass sie bei Hepatitis-C-Patienten mit Genotyp 3 in 80 bis 90 Prozent zu einer Heilung führt. Es bleiben allerdings die mitunter belastenden Nebenwirkungen. Daher sollten auch diese Patienten mit den neueren Medikamenten behandelt werden.

STANDARD: Was also sagen Sie Patienten, die einstweilen noch nicht den Kriterien entsprechen?

Gschwantler: Ich rate Ihnen abzuwarten. Wenn ich infiziert wäre, würde ich das ja auch machen. Wichtig sind die regelmäßigen Kontrollen und das Vermeiden anderer leberschädigender Substanzen. Trotzdem: Psychologisch ist es keine leichte Situation für Betroffene.

STANDARD: Gibt es schon Selbstzahler?

Gschwantler: Die wenigsten können sich 45.000 Euro leisten. Solange keine relevante Leberschädigung besteht, ist also Abwarten eine Option. Ich habe aber die Hoffnung, dass die neuen Therapien schon bald von der Krankenkasse für alle Patienten bezahlt werden. (Karin Pollack, 21.11.2015)