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Der indonesische Stratovulkan Tambora brannte sich 1815 auf verheerende Weise in die Globalgeschichte ein.

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Wolfgang Behringer, "Tambora und das Jahr ohne Sommer" € 25,70 / 398 Seiten. C. H. Beck, München 2015

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Der April des Jahres 1815 muss im globalgeschichtlichen Kalender knallrot angestrichen werden, wenn es nach dem deutschen Klimahistoriker Wolfgang Behringer geht. Seine These: Binnen weniger Wochen veränderte eine singuläre Naturkatastrophe gewaltigen Ausmaßes nicht nur das Klima, sondern gar den Lauf der Welt – obwohl es zunächst niemand realisierte. Denn so grenzenlos die Folgen dieses Ereignisses waren, so regional begrenzt war ihr Ursprung.

Dieser lag auf Sumbawa, einer östlich von Java gelegenen indonesischen Insel, die den Stratovulkan Tambora beherbergt – zu Beginn des 19. Jahrhunderts mit 4300 Metern eine der höchsten Erhebungen des indonesischen Archipels. Wie man heute weiß, brach der Tambora im April 1815 mit einer Intensität aus, die in der überlieferten Geschichte der Menschheit ohne Beispiel ist. Die explosiven Eruptionen waren mehr als 2000 Kilometer weit zu hören – und halbierten den Vulkan beinahe. Auf Sumbawa und der Nachbarinsel Lombok kamen mindestens 71.000 Menschen ums Leben. Doch die tatsächliche Zahl der Opfer dieser Katastrophe lässt sich nicht einmal ansatzweise beziffern. Sie beträgt mit Sicherheit ein Vielfaches davon.

Was nämlich auf den Ausbruch des Tambora folgte, war ein Jahr extremer Klimaschwankungen: Das durch die Eruptionen emporgeschleuderte Material aus Gas- und Schwebepartikeln, verbreitet und verteilt durch Höhenwinde, verminderte die Sonneneinstrahlung und bewirkte fast weltweit eine plötzliche Abkühlung. Der Winter 1815/16 war einer der kältesten des zweiten Jahrtausends.

In Europa und Nordamerika erlebte man in der Folge das "Jahr ohne Sommer", zum Teil schneite es im Juli oder regnete über Monate hinweg. In weiten Teilen Asiens verursachten verheerende Niederschläge Überflutungen, die Cholera brach aus, die Tuberkulose grassierte. Mancherorts herrschte wiederum extreme Dürre. Da wie dort kam es zu Missernten, Massensterben von Nutztieren und 1817 zur schlimmsten Hungersnot des 19. Jahrhunderts.

Russland hingegen profitierte vom veränderten Klima und verzeichnete dank steigender Getreideexporte und Einwanderung einen wirtschaftlichen Aufschwung. Enorme Migrationsbewegungen, soziale Revolten und politische Umbrüche kennzeichneten die folgenden Jahre. "Der Ausbruch des Tambora war der Beginn eines Experiments, an dem die ganze Menschheit unfreiwillig teilgenommen hat. Die Reaktionen darauf geben ein Beispiel dafür, wie Gesellschaften und einzelne Menschen auf Klimawandel reagieren, welche Risiken dabei entstehen und welche Chancen damit verbunden sein können", schreibt Behringer im Buch "Tambora und das Jahr ohne Sommer".

Wie der Forscher der Universität des Saarlandes detailliert nachzeichnet, blieb kein Erdteil von direkten oder indirekten Auswirkungen der Tamborakrise verschont. Indem er gesicherte klimahistorische Fakten und zeitgenössische Quellen mit sozialen und weltpolitischen Entwicklungen der Folgezeit in Verbindung bringt, rückt er den Vulkanausbruch aber aus dem naturgeschichtlichen Blickfeld direkt ins Zentrum der Weltgeschichte.

Wo das Klima sich zum Schlechteren wandelte, wirkte es demnach wie ein Katalysator vorhandener Tendenzen: In Europa nahmen schwere soziale Unruhen und politische Massendemonstrationen zu, es kam zu Attentaten und zu Pogromen gegen Juden. In Südafrika wurden angebliche Hexen als Schuldige an Ernteausfällen verfolgt. Das zaristische Russland suchte wiederum die Migration für seine imperialistischen Ziele zu nutzen und seinen Einfluss in der Schwarzmeerregion auszudehnen.

Die Krise entfaltete aber auch eine enorme erfinderische und innovative Kraft: Behringer stellt neue Ansätze, die Natur besser einzuschätzen und zu "zähmen", ebenfalls in einen Ereigniszusammenhang, etwa das Aufkommen der Meteorologie und die zunehmende Durchführung von Flussbegradigungen.

Dem Buch mangelt es nicht an interessanten Episoden aus unterschiedlichsten kulturellen, gesellschaftspolitischen und wissenschaftlichen Bereichen. Mitunter bleibt es jedoch bei einer Aneinanderreihung, die etwas krampfhaft zu einer Ereigniskette geschmiedet wurde. Das birgt, zugunsten eines gelungenen Spannungsbogens, die Gefahr argumentativer Monokausalität.

In jedem Fall führt Behringers Perspektive aber anschaulich vor Augen, wie komplex das Weltklima in sämtliche Bereiche der menschlichen Lebenswelt hineinwirkt. Damals wie heute. (David Rennert, 28.11.2015)