Barkeeper Tom Legat zeigt seinem Chef Matthias Habringer in der Wiener Bar Bei Mir, wie man Drinks mixt und neu erfindet.

Foto: Christian Benesch

Was macht man, wenn man sein Studium nach vielen Jahren des Lernens und Vor-Prüfungen-Schwitzens endlich abschließt? Entweder man bringt sich bei, wie man seine Krawatte zu einem ordentlichen Windsor-Knoten bindet und sich möglichst erwachsen bei Meetings verhält, oder man eröffnet eben eine Cocktailbar. Dass sich Letzteres nicht nur viel besser anhört, sondern wahrscheinlich auch wesentlich mehr Spaß macht, dachte sich auch Matthias Habringer. Der studierte Volkswirt hat wohl schon bei seinen Gastrojobs während des Studiums gemerkt, dass es wesentlich cooler ist, hinter der Bar zu stehen, als am Schreibtisch zu sitzen.

Schließlich entschied er sich nach einigen unglücklichen Monaten in einer großen Bank dazu, eine Bar zu eröffnen. Eigentlich war es ein altes, heruntergekommenes Lokal in einem Grätzel, in dem sich neben ein paar Heurigen eine – wie man in Wien sagt – Tschumsn an die nächste reiht.

Im Norden von Wien-Ottakring, am Fuße des Wilhelminenbergs, schreitet die Gentrifizierung zwar langsam voran, von einem Hipster-Bezirk kann aber noch keine Rede sein. Umso mutiger ist es, hier eine Cocktailbar zu eröffnen, die man sonst wohl nur in den Wiener Bobo-Bezirken vermuten würde. Das Innendesign wurde vom jungen Wiener Architektenteam Who Cares entworfen, das Gesamtkonzept dachte sich Habringer selbst aus.

Mut im Randbezirk

"Wien ist eine Stadt, die ständig wächst, und man muss sich manchmal eben einfach was trauen. Das Wichtigste ist nicht immer der Standort, sondern auch gute Qualität und ein Konzept, hinter dem man steht", sagt der gebürtige Oberösterreicher und bittet seinen Barkeeper Tom Legat, ihm einen Gin Tonic zu mixen – nur für das Foto natürlich. Der Rookie arbeitete bereits in der bekannten Wiener Cocktailbar Halbestadt und in der Bar des Hotels Le Méridien.

Dass es ihn beruflich in die Peripherie von Wien verschlug, liege daran, dass er in der Nähe wohne und nur in einer Bar arbeiten würde, in die er auch selbst gehe. Und hier könne er seiner Kreativität freien Lauf lassen. "Österreich hinkt, was hippe Bars betrifft, ziemlich hinterher. Wir versuchen, so viel wie möglich selbst zu machen. Dahin geht auch der Trend. Das ist ähnlich wie beim Essen", sagt Legat und meint damit seine selbst hergestellten Shrubs, Sirups und Bitters.

Auf diesen Zug und auf andere springen auch viele Kollegen auf. Die kürzlich in Wien-Mariahilf eröffnete Miranda Bar versucht sich nicht nur an Selbstgemachtem, sondern serviert trotz modernen Innendesigns und jungen Personals uralte und fast vergessene Cocktails. Da finden sich unterschiedliche Fizz-Varianten auf der Karte, ebenso wie der legendäre Painkiller, der in den 1970er-Jahren auf den britischen Jungferninseln erfunden wurde.

Es darf geraucht werden

Vintage ist aber nicht nur bei den Drinks gefragt, sondern oft auch bei der Einrichtung. Erst letzten Monat hat in der Wiener Innenstadt das Kleinod eröffnet. Die Betreiber haben die zuvor unscheinbare Bar umbauen lassen und den nur knapp 50 Quadratmeter großen Raum in ein kleines Geschichtsmuseum verwandelt.

Auf Chesterfield-Bänken kann man es sich gemütlich machen und darauf warten, seinen Drink stilecht serviert zu bekommen. Und im Gegensatz zu den neuen und hippen Bars trifft man hier noch auf Barkeeper, die statt T-Shirt und Base-Cap Hemd und Krawatte tragen. Zur Freude vieler Raucher darf in dieser Bar noch munter der Nikotinsucht nachgegangen werden.

Rauchen darf man auch in der neuen Bar der beiden Vorarlberger Viktor Gruber und Lukas Amann. Im zweiten Bezirk in Wien haben die Freunde, die sich selbst in der Gastro-Szene kennengelernt haben, eine Bar eröffnet, in der man vor allem eine gute Zeit verbringen soll, wie sie selbst sagen. Klassische Cocktails gibt es im Franz von Hahn nicht, dafür aber authentische Drinks und eine lockere Atmosphäre.

"Wir haben uns kein großes Konzept überlegt, sondern eine Bar gemacht, in die wir auch gerne gehen wollen. Sie soll das verlängerte Wohnzimmer sein", sagt Amann. Man wolle kleine Produzenten fördern und "ehrliche" Drinks machen. Das Raumkonzept haben sich die beiden Neo-Unternehmer selbst überlegt. Das Lichtkonzept kommt von Beauty Parlour, einem Team von Mediendesignern, das bereits die Grelle Forelle und das Urban Art Forms Festival zu seinem Kundenkreis zählt.

Den Namen hat die Bar einem Kinderbuch zu verdanken. "Einer der Protagonisten in dem Buch ist Franz von Hahn. Die Freunde erleben lustige und wilde Dinge. Das passt auch zu uns. Parallelen zum Buch gibt es, weil wir auch viele Freunde haben, die uns bei der Renovierung geholfen haben", erzählt Gruber.

Dieser ungezwungene und – wie Kritiker sagen würden – naive Zugang zur Selbstständigkeit macht es möglich, dass das Angebot an neuen Bars in Wien gerade sehr groß ist.

Der Erfolg gibt den Betreibern recht – im Moment. Ob sich die hippen Bars mit ihren brennenden Cocktails, ihren selbstgezupften Kräutern und ihren bärtigen und tätowierten Barkeepern auch langfristig durchsetzen und die klassische American Bar ablösen, bleibt abzuwarten.

Wohlfühlbar

Überzeugt vom Erfolg ist Sammy Walfisch, der mit seinem Bruder und einem Freund kürzlich das Botanical Garden, eine Cocktailbar unter dem Wiener Café Stein, eröffnet hat. Neben einer Bar mit richtig feinen Drinks wollte man vor allem einen Ort zum Wohlfühlen schaffen. "Im Mittelpunkt steht das Ambiente bei uns. Der Barkeeper soll nicht wie ein unnahbarer und bewunderter Hauptdarsteller, sondern eher wie ein Freund wirken. Ein lockerer und ungezwungener Umgang ist uns wichtig", sagt Walfisch, der eher wie ein junger Student und nicht wie ein Barbetreiber wirkt.

Dass es gerade so einen Relaunch der Barszene gibt, liege laut Walfisch auch daran, dass es einen regen Austausch in der Barszene gebe. Früher sei das anders gewesen. Konkurrenzdenken? Fehlanzeige laut dem Experten. Vielmehr wachse die Barkeeper-Community stetig, und man tausche sich aus – Workshops inklusive. Es wirkt also alles ein bisschen wie eine große Gemeinschaft von Buben, die dann aber doch alle ihr eigenes Ding machen.

Über zu wenig Angebot an Bars kann man sich zumindest in Wien derzeit nicht beschweren. (Alex Stranig, RONDO, 12.12.2015)