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Am 10. Dezember, dem Tag der Menschenrechte, wurden auf der Straße des 17. Juni in Berlin 50 Panzersperren aufgestellt. "Die Sperre im Kopf" heißt die Installation der Künstlerin Dafne B.

Foto: APA/dpa/Michael Kappeler

"Belastung", "Herausforderung", "Welle", "Ansturm", "Lawine" heißen die Giftportionen in der öffentlichen Kommunikation in Zusammenhang mit flüchtenden Menschen schon seit längerem, seit Ende August in einem deutlich angestiegenen Ausmaß. Diese Giftportionen wirken, weil sie in unserem Denken hängen bleiben und den Fokus der Aufmerksamkeit nicht auf die Menschen, sondern auf ein angebliches "Problem" lenken, welches diese Menschen angeblich allein durch ihr Dasein bereiten.

War schon vorher die Situation in Traiskirchen unverkennbar eine von der Politik bewusst herbeiorganisierte, so wurde die Instrumentalisierung von Menschen, die sich in Sicherheit bringen wollen, in diesem Herbst perfektioniert.

Bilder "zu vieler" Menschen

In unsere Hirne sollten Bilder von Menschen eingeprägt werden, die schon rein optisch "zu viel" sind. Wir sollten auf den ersten Blick sehen, dass für sie wohl kein Platz in unserer Gesellschaft sein könne. Die gewünschte Reaktion ließ auch nicht auf sich warten: "Das ist alles zuviel", "wir können nicht alle aufnehmen", "wir haben schon genug getan", "sollen wir allein die Welt retten?". Es scheint, die Politik produziere bewusst Probleme, die niemals gelöst werden sollen, sondern uns in egoistische, kleinkarierte Einwohnerinnen und Einwohner einer Festung verwandeln, die sich vor allem und jedem fürchten, die von "draußen" kommen.

Vor mehr als zwanzig Jahren war das ganz anders. Damals mussten sich Menschen aus dem zerfallenden Jugoslawien und dem dort tobenden Krieg zu uns flüchten. Niemand sprach von einer Gefahr, einem Ansturm oder einer Lawine. Und auch nicht von einer zynischen "Obergrenze". Die Berichterstattung zeigte keine Menschen, die "zu viel" seien, sondern übertrug die grausamen Bilder des Krieges, der nur wenige Kilometer von Österreichs Grenze entfernt stattgefunden hat. Es war daher nur allzu verständlich, dass diese Menschen sich in Sicherheit bringen mussten.

Die Verantwortlichen in Ministerien und Behörden waren flexibel und gewillt genug, schnell und möglichst unbürokratisch den Menschen die Aufnahme in unserem Land zu ermöglichen. Österreich hatte damals offensichtlich den Willen, die Menschen aufzunehmen. (Die ewiggestrigen fremdenfeindlichen Dauerunkenrufe ausgenommen.) Womit bewiesen wäre, dass es eigentlich kein Problem sein dürfte, Menschen, die zu uns flüchten, selbstverständlich und ohne Wenn und Aber aufzunehmen. Es ist offensichtlich der politische Wille, der heute fehlt beziehungsweise etwas ganz anderes will.

Zivilgesellschaft als "Lückenbüßer"?

Zynisch geht der Staat auch mit der trotz allem vorhandenen Hilfsbereitschaft der Bevölkerung um. In den ersten Tagen und Wochen der plötzlich zahlreicher eintreffenden Menschen auf ihrem "Marsch der Hoffnung" war es die Zivilgesellschaft, waren es zahlreiche frei organisierte, aktionsbereite Menschen, die spontan eine "Willkommenskultur" mit Leben erfüllten. Diese Zivilgesellschaft war schneller, effizienter und flexibler im Einsatz als Behörden und Organisationen in Gang kommen konnten. Ein Umstand, der manchen Verantwortlichen in Verwaltung und traditionellen Hilfsorganisationen gar nicht schmeckte.

Während sich der Staat "vornehm" zurückhielt, wurden Spendenaufrufe zum alltäglichen Appell an die Bevölkerung, jene Lücken der Versorgung zu füllen, die in einem wirklich funktionierenden Staat niemals entstehen dürften. Wenn dann die Hilfsbereiten auch noch politisch vereinnahmt werden, wie zum Beispiel durch den Vizekanzler, der in einem Fernsehinterview behauptet hatte, die Regierung hätte diese Menschen "erfolgreich mobilisieren können", wirft das Fragen über die Motive der politischen Verantwortlichen auf.

Verschleppung und Trägheit

So wie die Situation in den ersten Stunden, Tagen und Wochen schon ahnen ließ, setzt sich der mangelnde Wille zu wirklichen Lösungen auch in der Folge fort: die Annahme von Asylanträgen und die Aufnahme in die Grundversorgung werden oft verschleppt, dringende Anträge selten erledigt, die Behörden zeigen keinen wirklichen Willen, situationsgerecht zu handeln. "Überforderung", "Massenandrang" und "Antragslawine" sind nun wieder die Begriffe, die unser Denken prägen sollen. Dass unser Staat Wochen, Monate, Jahre braucht, um von Fall zu Fall immer wieder neu zu überlegen, ob denn die Bedrohung des Lebens der Betroffenen wirklich ausreicht, um ihnen zu helfen, ist das Ergebnis einer Trägheit der Satten, die mit den Hungernden nicht teilen wollen.

Wenn dann ein Außenminister auch noch von den zu uns flüchtenden Menschen gleich mal "Integration" einfordert, als wäre dies etwas, das nur sie allein bewerkstelligen könnten, ist es schwer, hier wirklichen Willen zu vermuten. Die Geflüchteten müssen erfahren, wie lange einen hier der Staat einfach in Unsicherheit verweilen lassen kann. Sie lernen, dass Verfahren, wenn sie denn einmal wirklich begonnen haben, niemals wirklich rechtssicher, sondern oft einfach schikanös und unfair ablaufen können. Sie müssen erfahren, dass sie entweder nicht arbeiten dürfen oder, wenn sie sich zum Beispiel selbständig machen, sofort aus der Grundversorgung genommen werden können. Sie sind noch nicht einmal wirklich angekommen, schon müssen sie hören, dass die Verantwortlichen ihnen ihr Asyl, wenn überhaupt, nur "auf Zeit" gewähren wollen. Und das Nachholen von Familienmitgliedern, häufig Frau und Kinder, wird zusätzlich erschwert, was diese erst recht wieder in die Lebensgefahr der Verzweiflungswanderungen treibt.

Der Staat versagt nicht, er will gar nicht. Der Staat produziert Probleme, die er nicht lösen will. (Bernhard Jenny, 11.12.2015)