Das erste Familyship-Kind geht bereits in den Kindergarten. Es hat zwei Mütter und einen Vater.

Foto: familyship

"Ich wollte kein Kind aus einer Samenspende, sondern einen zukünftigen, aktiven Vater. Ich wusste nicht, wo ich den kennenlernen sollte", sagt Christine Wagner. Die Angebote, auf die sie mit ihrer Lebensgefährtin gestoßen war, erschienen ihnen unseriös. Daraufhin gründeten die beiden Frauen aus der eigenen Not heraus eine Internetplattform für Personen mit Kinderwunsch. Das ist vier Jahre her. Inzwischen zählt familyship.org 2.500 Mitglieder, vorwiegend aus Deutschland – aber auch 100 Österreicher und Österreicherinnen sind angemeldet.

Familiengründung auf Freundschaftsbasis

Mit der Plattform treffen die beiden Deutschen einen Nerv, denn seit Jahren wird das klassische Familienmodell auf den Kopf gestellt. In Österreich leben 1,4 Millionen Familien mit Kindern in den unterschiedlichsten Konstellationen. Zwar stellen Ehepaare mit 625.000 Personen noch immer den größten Anteil. Dennoch steigt auch die Anzahl der Alleinerziehenden (142.000) und Lebensgemeinschaften (139.000). Ebenso gründen immer mehr homosexuelle Paare eine Familie mit Kindern (7.700).

In den Statistiken meist nicht erfasst sind jene Menschen, die ihren Kinderwunsch außerhalb einer Partnerschaft umsetzen wollen, doch auch deren Zahl nimmt zu. Und genau auf sie zielt Wagners Plattform ab. Denn Familyship soll als virtueller Ort dienen, an dem Menschen zusammenkommen, die auf freundschaftlicher Basis eine Familie gründen möchten. "Wir wollen das traditionelle Modell nicht abschaffen oder hinterfragen. Aber wir wollen dafür sorgen, dass alternative Familienformen gesellschaftlich anerkannt werden", sagt Wagner.

Vater mit Onkelfunktion

Das ursprüngliche Ziel der Plattform war, ein Angebot für die schwul-lesbische Szene mit Kinderwunsch zu schaffen. Inzwischen sind gleichermaßen auch Heterosexuelle auf der Seite aktiv. Die Nutzer und Nutzerinnen geben ihr Alter, ihren Wohnort und die Rolle an, die sie in einer potenziellen Familie einnehmen möchten.

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Zur Auswahl steht zum Beispiel die Funktion des aktiven oder passiven Vaters beziehungsweise der Mutter. "Ein passiver Vater hat eine Art Onkelfunktion. Wenn ein Mann zwar ein Kind haben möchte, aber dennoch nicht jeden Tag am Leben des Kindes teilhaben will, ist das eine Möglichkeit", erklärt Wagner die Einordnung. Die Tantenfunktion von Frauen sei zwar nicht ausgeschlossen, aber eher eine Rarität. Eine weitere Möglichkeit für Männer ist, "Yes-Samenspender" zu werden: Der Vater fungiert dann zwar vorrangig als Samenspender, steht aber für das Kind als Kontaktperson zur Verfügung. Via Suchfunktion können die Nutzer und Nutzerinnen nach passenden Rollenbildern stöbern, danach entsteht die Möglichkeit, einander kennenzulernen.

Das vermutlich erste Familyship-Baby geht inzwischen in den Kindergarten und ist die Tochter der Gründerinnen. "Natürlich ist unser Leben mit unserer Familienkonstellation nicht konfliktfrei, aber auch wenn der Vater meiner Tochter nicht mein Lebensgefährte ist, ist er jemand, der mir inzwischen sehr nahesteht", sagt Wagner. (Sophie-Kristin Hausberger, 4.01.2016)