Der neue Forschungschef des Schweizer Pharmariesen Novartis steht vor einer Herkulesaufgabe: James Bradner muss dafür sorgen, dass der Arzneimittelhersteller aus Basel im Milliardenmarkt der Krebs-Immuntherapie nicht den Anschluss verpasst.

Dieser Ansatz, das körpereigene Abwehrsystem mit Antikörpern aufzurüsten, damit es Tumorzellen erkennen und zerstören kann, wird als Durchbruch in der Krebsmedizin gefeiert. Novartis hat hier bisher aber der Konkurrenz den Vortritt gelassen: "Schauen Sie Immunonkologie an – das haben sie komplett verschlafen", urteilt Michael Nawrath, Analyst bei der Zürcher Kantonalbank.

Konkurrenz mit Vorsprung

Nun soll Bradner die Aufholjagd auf Wettbewerber wie Bristol-Myers Squibb und Merck aus den USA, den einheimischen Erzrivalen Roche, die britisch-schwedische AstraZeneca und den deutschen Merck-Konzern starten.

Und der 43-jährige Mediziner, der an der renommierten Harvard Medical School in Boston lehrt und Blutkrebs-Erkrankungen erforscht, scheint dafür wie geschaffen. Denn er vereint wissenschaftliche Qualität mit Geschäftssinn: Bradner habe neue Wege aufgezeigt, wie Krebs und andere Krankheiten behandelt werden können, sagte Novartis-Chef Joseph Jimenez im September, als der Konzern seine Ernennung bekanntgab. "Er ist auch ein Unternehmer, der die treibende wissenschaftliche Kraft hinter mehreren Biotech-Start-ups war", lobte der Konzernlenker.

Bradner übernimmt im März die Leitung des Novartis Institute for BioMedical Research (NIBR) von Mark Fishman, der nach 13 Jahren an der Spitze der Forschungseinrichtung in Cambridge, Massachusetts in Pension geht. Unter Fishman konnte Novartis seine Medikamenten-Pipeline verbreitern, indem die Forscher stärker das Verständnis von Krankheiten in den Mittelpunkt stellten, statt Erreger lediglich Unmengen von chemischen Molekülen auszusetzen in der Hoffnung, ein wirksames zu finden.

Unkonventionelle Wege

Als großes Plus von Bradner gilt, dass er unkonventionelle Wege geht. In den USA wurde er 2011 in Forscherkreisen zum Star, als er für eine engere Zusammenarbeit von Industrie und akademischer Forschung plädierte, um die Entwicklung neuer Medikamente rascher voranzutreiben. Seine Rede auf der bekannten Vortrags-Plattform "TED Talk" wurde mehr als 466.000 mal aufgerufen.

Darin erklärte er, dass sein Labor Proben eines vielversprechenden Moleküles an Dutzende andere Labors schickte, statt es geheim zu halten. 2012 etikettierte er in einem Artikel in der angesehenen Zeitschrift "Atlantic Monthly" die Medikamentenforschung als "schwarze Magie, betrieben hinter geschlossenen Türen und mit heruntergelassenen Jalousien."

Analysten zufolge könnte der Querdenker genau der Chef sein, den Novartis für seine 6.000 Ärzte und Forscher in den USA, Asien und der Schweiz braucht. "Wenn er kontrovers ist, infrage stellt, was 'Big Pharma' macht, umso besser", sagte Fabian Wenner vom Broker KeplerCheuvreux. Davon könne Novartis nur profitieren. Die Branche werde sich künftig verstärkt mit Preisdruck und einer stärkeren Einflussnahme durch Patienten auseinandersetzen müssen.

Bradner hat seinen Zugang mit dem "Open-Source-Ansatz" in der Softwareindustrie verglichen, wo neue Ideen durch die Offenlegung der Grundlagen von vielen gemeinsam entwickelt und verbessert werden. Diese Einstellung sei ein Grund dafür gewesen, den Mediziner als Forschungschef anzuheuern, erklärte Novartis-Chef Jimenez. Diese offene Art werde künftig auch bei Novartis zu erkennen sein. (APA, 17.12.2015)