Die Hauptstadt von Anbar ist von Luftangriffen gezeichnet.

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Bagdad/Ramadi/Wien – Nach Darstellung der irakischen Regierung ist alles klar: Ramadi ist vom "Islamischen Staat" (IS) befreit. Aber einen Tag nachdem Premier Haidar al-Abadi beziehungsweise seine Militärs den "finalen Sieg" verkündet haben, setzt unter den von außen beobachtenden Militärexperten eine Diskussion darüber ein, was in der Provinzhauptstadt von Anbar, die einmal rund 300.000 Einwohner hatte, eigentlich los ist. Beziehungsweise los war – denn so klar, wie offizielle irakische und amerikanische Quellen das glauben machen wollen, ist es nicht.

Eine Schlacht um Ramadi im klassischen Sinn – man erinnere sich etwa an Kobane in Syrien – hat nämlich nicht stattgefunden. Es gab keinen Häuserkampf, die in die Stadt einrückende irakische Armee war vor allem damit beschäftigt, vom IS aufgebaute Sprengfallen zu beseitigen. Daher gibt es auch kaum Verluste, ein irakischer Armeesprecher schien, als er danach gefragt wurde, fast peinlich berührt.

Es bleibt ein Erfolg

Damit soll nicht der Erfolg kleingeredet werden, dass dem IS ein weiterer Schlag versetzt werden konnte. Auch wenn ihm punktuell immer wieder Vorstöße gelingen, ist der Gebietsverlust des IS in den vergangenen Wochen und Monaten nicht zu bestreiten. Eine andere Frage ist jedoch, ob Abadis Wunsch, das irakische Territorium 2016 vom IS zu säubern, realistisch ist – und vor allem, wie es danach politisch weitergehen wird, ob der Irak im nächsten Jahr wieder zu einem Staat mit Zukunft werden kann.

Ramadi präsentiert sich auf den Bildern als von oben – von der US-Luftwaffe – in Schutt und Asche gelegt. Die IS-Kämpfer sind verschwunden, das heißt zum Großteil in östliche Vororte und in die Umgebung zurückgewichen, auch wenn es am Dienstag erste Listen von Toten – darunter offenbar auch wichtige IS-Kommandanten – gab. Sie dürften jedoch durch Luftangriffe, nicht durch Kämpfe getötet worden sein.

Der IS leistet offenbar keinen konzertierten Widerstand mehr, das ist laut "Institute for the Study of War" (ISW) aber etwas anderes als der Zustand der Kontrolle, die die irakische Armee nach offizieller Darstellung ausüben will. Manche Zonen auch in Zentralramadi – die Große Moschee, das Justizgebäude – habe die irakische Armee noch nicht betreten, schreibt Patrick Martin vom ISW (Stand Montag).

Eine andere Frage, die sich Beobachter die ganze Zeit über stellten, kam ebenfalls am Montag wieder auf: Wer war an der Befreiung Ramadis beteiligt? Offiziell kämpfte in Ramadi die aus der Luft von den USA unterstützte irakische Armee gemeinsam mit sunnitischen Stammesmilizen: Dass sunnitische Stämme mit der Armee zusammenarbeiten, sollte eine wichtige vertrauensbildende Maßnahme sein. Offiziell war keine Rede von den bei der sunnitischen Bevölkerung gefürchteten schiitischen Milizen, die zum Teil unter iranischer Kontrolle stehen.

Spielverderber Maliki

Aber der ehemalige Premier Nuri al-Maliki (dessen Posten als Vizepräsident von Abadi gestrichen wurde und der diesem seither das Leben noch schwerer macht) betätigte sich als Spielverderber und gratulierte am Montag ausdrücklich den "Helden" der schiitischen Volksmobilisation, die Ramadi befreit hätten.

Und wo ist die sunnitische Bevölkerung von Ramadi, die in den Tagen vor der Einnahme aus der Stadt gebracht wurde? Man weiß nur, dass die Regierung Flüchtlinge aus IS-Gebieten ungern nach Bagdad lässt, denn sie fürchtet eine Infiltrierung durch den IS. Wie wird mit der in der Stadt verbliebenen Zivilbevölkerung umgegangen, die nicht der Regierungsaufforderung zu fliehen gefolgt ist? Werden diese Menschen als "befreit" behandelt – oder als Kollaborateure? Überhaupt, gibt es Gefangene?

Malikis Auftritt – die US-Luftunterstützung erwähnte er übrigens nicht – ist nicht weniger als ein Versuch, die so dringende Annäherung zwischen den Sunniten von Anbar und der Regierung Abadi zu torpedieren. Maliki ist zum Sprecher der Milizen mutiert, die mehr politischen Einfluss wollen. Abadi ist schwach – vielleicht zu schwach, um den Sieg in Ramadi für einen politischen Neustart zu nutzen.

Wie es nicht geht, hat Maliki nach 2007, als der irakische Bürgerkrieg langsam abklang, vorgeführt. Der damalige Premier war den USA im Wort, die von den US bezahlten sunnitischen Stammesmilizen, die entscheidend dabei waren, die Al-Kaida im Irak – die direkte Vorgängerorganisation des IS – zu schlagen, in die Sicherheitskräfte zu integrieren. Das ist nur zu einem geringen Teil geschehen: Diese Männer und ihre Familien bildeten ab 2013, als der IS von Syrien aus wieder in den Irak zurückschwappte, den Grundstock einer aufnahmefreundlichen Bevölkerung. Wenn es Abadi nicht gelingt, den vom IS befreiten Sunniten adäquate Lösungen anzubieten, dann wird der Sieg in Ramadi umsonst gewesen sein. Anders als Maliki ist Abadi zumindest gewillt dazu. (Analyse: Gudrun Harrer, 30.12.2015)