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Foto: gian

Höchste Zeit, sich auf die heranrollende Motorrad-Saison einzustimmen! Als die BMW S 1000 XR im vergangenen Sommer auf den Markt losgelassen wurde, war man sich anfangs nicht sicher, welcher Spezies dieses Motorrad wohl angehören könnte. Hoch gebaut, breiter Lenker... womöglich die Ablöse für die längst schon legendäre GS? Nein, das kann nicht sein, denn hier werkt ein Vierzylinder... und den Boxer kann BMW keinesfalls fallen lassen.

Also doch keine hausinterne Konkurrenz, sondern eher eine Ergänzung. Gedacht für jene, die – wie sie es in der bayerischen PR-Abteilung formulieren – "die Dynamik eines Sportlers, die Vielseitigkeit eines Adventure-Bikes und den Komfort eines Tourenbikes wollen". Jo eh. Von allem etwas. Darf's noch ein bisserl mehr sein? Ja gern.

Ein bisschen SUV

BMW bezeichnet die S 1000 XR als "Adventure-Sport-Bike" und verspricht "grenzenlose Sportlichkeit". Dieser Sportlichkeit sind bei 160 PS und bei Vmax bei mutmaßlich über 250 km/h natürlich Grenzen gesetzt, diese liegen aber so wahnsinnig weit außerhalb jeder auch nur halbwegs legalen Fahrweise, dass man sie schon am Ring suchen müsste.

Bei "Abenteuer", also Gatsch-Erlebnis, sind die Grenzen schon deutlicher: Mit den 17-er Alu-Gussrädern geht man nicht ins Gelände, die auf Asphalt sensationellen Bridgestones hätten maximal auf staubtrockenen Forststraßen genug Grip. Außerdem würde sie im Gelände viel zu viele Plastikteile abwerfen.

Nicht unverwechselbar, aber doch sehr markant.
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Tatsächlich ist die S 1000 XR mit ihrem Hornissen-G'schau keine absolute Novität, zumindest nicht motorisch: Den Vierzylinder verbauen die Bayern ja schon in bewährter Weise – freilich mit jeweils fahrzeugtypischen Adaptierungen – in den Supersportlern S 1000 RR und HP4. Und auch die Roadster S 1000 R düst mit vier Töpfen herum.

Die XR überimmt nun die Aufgabe, diesen wunderbaren Motor echt langstreckentauglich zu machen. Spanien, Korsika, Griechenland? Mit Gepäck? Mit Sozia oder Sozius gar? Koa Problem nit! Das Triebwerk lässt sich einerseits lammfromm und dann wieder ziemlich giftig fahren. Wehe, wenn du vom Hornissenstachel getroffen wirst! Aber auch wehe, wenn du nicht danach trachtest!

So bös' haben immer die Hornissen bei der Biene Maja dreingeschaut.
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Zunächst überraschend: Der 160-PS-Motor bietet schon im niedrigeren Drehzahlbereich ordentlich Drehmoment. Das ist keines jener Triebwerke, die man erst hysterisch hochdrehen muss, um wenigstens einen Fiat Panda an der Kreuzung stehen zu lassen. So richtig Laune macht der Motor dann ab zirka 5.000 Touren, da geht dann ordentlich was weiter. Und weiter. Und weiter.

Insgesamt steht ein praktikables Drehzahlband von etwa 8.000 Touren zur Verfügung, wo nichts ruckelt und zuckelt, sondern immer ordentlich Vortrieb geboten wird. Man kann also im Endeffekt sehr schaltfaul fahren – was sicherlich bei langen Touren, zumal mit Gepäck, Zuspruch finden wird.

BMW-Fahrer kennen sich auf Anhieb aus. Alles dort, wo man's gewohnt ist.
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Von manchen gehasst als Bevormundung, von vielen aber geliebt als ultimativer Technikservice: der (optionale) Schaltassistent. Die Kupplung ist dann eigentlich nur noch zum Losfahren und im Stop-and-Go-Verkehr nötig, sonst kann man beherzt und ohne schlechtes Gewissen das Getriebe ausschließlich mit dem linken Fuß traktieren. Der Assi sorgt für den richtigen Schaltzeitpunkt hinauf und – noch viel wichtiger – hinunter. Da kracht nichts, auch nicht beim Anfänger. (Ich weiß schon: Die Profis fahren schon seit jeher prinzipiell so und brauchen dafür keine Software...)

Am breiten Lenker finden sich die ganzen Armaturen, die auch von anderen Bayerischen vertraut sind. Der Fahrmodus ist serienmäßig entweder "Rain" oder "Road", optional gibt's für Motor und Fahrwerk auch "Dynamic". Natürlich sollte der Tempomat auch nicht fehlen. Und wer noch ein bissl mehr ausgeben will oder kann, installiert sich das Navi-System, das mit einem Stellrad am linken Griff bedient werden kann.

Mit einem leichten Druck des Handballens klappt das Schild rauf und runter...
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Ähnlich wie bei Big Enduros sitzt man auf der XR sehr, sehr aufrecht und bequem in Höhen zwischen 820, 840 (Serie) und 855 Millimetern. Bei einer solchen Sitzposition ist ein guter Windschutz wichtig. BMW löst das ziemlich gut mit einer verblüffend kleinen Scheibe. Diese lässt sich dank einer cleveren, aber simplen Totpunktmechanik ganz einfach in zwei Positionen arretieren, auch während der Fahrt. In der oberen Position erinnert das Schild an die Zielvorrichtung eines Kampfflugzeuges. Der ganze Oberkörper ist gut gegen Wind geschützt, aber je nach Körpergröße pfeift es irgendwann am Scheitel.

... und bietet überraschend kompletten Schutz vor Fahrtwind.
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Das Fahren. Wer anfangs glaubt, dass der breite Lenker die Fuhre eher behäbig wirken lassen würde, wird rasch eines Besseren belehrt. Die XR lässt sich flink in jeden Radius lenken, der Lenker sorgt stets für eine gemütlich-sichere Position auch bei forcierterer Fahrweise. Der eher sportliche Kniewinkel unterstützt dies zusätzlich. Die Fußrasten sind hoch genug angesetzt, sodass die Suche nach dem Schrägwinkel, an dem sie am Boden zu schleifen beginnen, zur kleinen Mutproble werden kann.

BMW und Porsche vertragen sich eh gut...
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Die größte Hetz' hat man wohl zwischen 5.000 und 10.000 Umdrehungen, da schiebt der Motor an als gäbe es kein Morgen. Die Traktionskontrolle empfiehlt sich auf alle Fälle, denn nicht immer haben wir es mit extrem griffigem Untergrund zu tun. Gasgeben aus der Kurve raus macht da extrem viel Laune. Die Bremserei ist makellos, und der Schaltassistent verleitet dazu, viel öfter zu schalten als es eigentlich nötig wäre. Sehr gaudig!

In jeder Situation fühlt sich die XR sehr solide und unbeirrbar an. Fahrwerk und Reifen – serienmäßig wird der Sporttourer Bridgestone Battlax T30 Evo aufgezogen – harmonieren großartig.

Geschmackssache Sound: Anhören vor allfälliger Zubehörbestellung!
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Zum Gesamteindruck zählt natürlich auch immer der Sound eines Motorrades. Der serienmäßige Topf sieht cool aus und produziert einen kehligen Sound, den man ruhig so lassen kann. Vernehmlich, aber nicht zu brüllend. Man soll es schließlich lange aushalten können auf dem Bock. Beim Hochdrehen gurgelt er herrlich, und beim Runterschalten blubbert's und spuckt's stakkatoartig. Akra und Co. sind da schon ordentlich gefordert, etwas Besseres anzubieten...

Der Lenkerstabi macht's richtig: Fällt nicht auf, tut brav seinen Job.
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Es lohnt sich da ein Blick in die angebotenen Ausstattungspakete – zB "Dynamic" mit ABS Pro, DTC plus den beiden Fahrmodi "Dynamic" und "Dynamic Pro" plus Schaltassistent Pro plus Tempomat und LED-Blinker. Und wer ernsthaft mit der XR auf Tour gehen will, kommt am Paket "Touring" wohl kaum vorbei, das beinhaltet Dynamic ESA, Heizgriffe, Kofferhalterungen, die Vorbereitung fürs Navi, einen Hauptständer und eine Gepäckbrücke.

Das meint die Sozia...

A propos Gepäck und Koffer: Der Sozius, die Sozia sitzt zwar megabequem, um aber dorthin zu gelangen, braucht es ein ordentliches Ausmaß an Agilität und Beweglichkeit: Die Koffer (sie muten eigentlich zu plastikhaft an für ein Bike dieser gehobenen Preisklasse) reichen ziemlich knapp an die hinteren Fußrasten heran und erlauben kaum Spielraum, mit Boots aufzusteigen. Muss halt jede/r ausprobieren, ob's ihm/ihr mit Originalkoffern behagt oder ob vielleicht solche von Drittanbietern besser passen.

Mit den wuchtigen Koffern lässt es sich gut verreisen, der/die Sozia sollte allerdings das Aufsteigen vorab ein bissl üben. (Achtung, das Foto enthält Product Placement.)
Foto: gian

Fazit: Die XR ist zu 120 Prozent eine Straßenmaschine und hat nichts dort zu suchen, wo man eine GS oder eine andere Big Enduro einsetzen KÖNNTE – im Dreck, was aber ohnehin kaum jemand tut... Nicht nur die Motorcharakteristik, sondern auch Alu-Räder, Reifen, Fahrwerk-Setting etc. weisen die XR als Asphalttier aus. Und zwar eines mit sehr, sehr großem Potenzial, leider auch zu einem entsprechend hohen Preis: Der beginnt bei knapp über 18.000 Euro und kennt nach oben hin kaum ein Limit (Download-Link zur offiziellen Preisliste weiter unten. Das beginnt bei HP-Fußrasten, Hebel, Sitzbänken, Alu-Rädern und geht weiter über den Schaltassistenten, Tourenkoffer-Pakete, Heizgriffe und und und...

Insgesamt ist das aber natürlich wieder einmal ein bayerisches Weltklasse-Motorrad, das kaum Wünsche offen lässt. Alles andere hätte uns schwer verstört. Die XR ist vielseitiger als etliche andere Motorräder, aber eines ist sie nicht: Ein Ersatz für eine Big Enduro vom Zuschnitt einer GS. Gelände? Vergiss es. Schotterstraße: Ja, aber mit vielen Einschränkungen. Heizen: Absolut. Cruisen: Klar doch. Verreisen: Sowieso. (Gianluca Wallisch, 1.2.2016)


Preis: ab 18.050,- Euro inklusive 20% MwSt. und 18% NoVA / Die komplette Preisliste gibt's hier zum Download

Link: BMW Motorrad Österreich


TECHNISCHE DATEN (Herstellerangaben)

Motor: Wasser-/ölgekühlter Vierzylinder-Viertakt-Reihenmotor, vier Ventile pro Zylinder, zwei obenliegende Nockenwellen
Bohrung x Hub: 80 mm x 49,7 mm
Hubraum: 999 ccm
Nennleistung: 118 kW (160 PS) bei 11.000 U/min
max. Drehmoment: 112 Nm bei 9.250 U/min
Verdichtungsverhältnis: 12,0 : 1
Kraftstoffaufbereitung / Motorsteuerung: Elektronische Einspritzung
Höchstgeschwindigkeit: über 200 km/h
Verbrauch auf 100 km bei konst. 90/120 km/h: 5,4 l / 5,8 l
Kupplung: Mehrscheibenkupplung im Ölbad, Anti Hopping Kupplung, mechanisch betätigt
Getriebe: klauengeschaltetes Sechsgang-Getriebe mit Geradverzahnung
Sekundärantrieb: Kette 17/45
Rahmen: Aluminiumverbund-Brückenrahmen, Motor mittragend
Vorderradführung / Federelemente: Upside-Down Teleskopgabel Ø 46 mm, Zug- und Druckstufe einstellbar
Hinterradführung / Federelemente: Aluminium-Zweiarmschwinge, Zentralfederbein, Zugstufendämpfung einstellbar
Federweg vorne / hinten: 150 mm / 140 mm
Radstand: 1548 mm
Nachlauf: 117 mm
Lenkkopfwinkel: 64,5°
Räder: Aluminium-Gussräder
Felgenmaß vorne: 3,50 x 17"
Felgenmaß hinten: 6,00 x 17"
Reifen vorne: 120/70 ZR 17
Reifen hinten: 190/55 ZR 17
Bremse vorne: Doppelscheibenbremse, schwimmend gelagerte Bremsscheiben, Radial 4-Kolben Festsattel, Durchmesser 320 mm
Bremse hinten: Einscheibenbremse, 2-Kolben Schwimmsattel, Durchmesser 265 mm
ABS: BMW Motorrad Race-ABS, teilintegral abschaltbar
Länge: 2183 mm
Breite (über Spiegel): 940 mm
Höhe (ohne Spiegel): 1408 mm
Sitzhöhe bei Leergewicht: 840 mm (div. andere Sitzbänke erhältlich)
Schrittbogenlänge bei Leergewicht: 1.894 mm
Leergewicht fahrfertig, vollgetankt: 228 kg
zulässiges Gesamtgewicht: 434 kg
Zuladung (bei Serienausstattung): 206 kg
nutzbares Tankvolumen: 20 l, davon Reserve ca. 4 l