Erschlichen, verschwiegen, unwürdig. Es sind keine schmeichelhaften Attribute, mit denen Senat und Rektorat der Universität Salzburg "Herrn Lorenz" bedenken. Die Aufgabe, die sich die Führung der Universität gestellt hat, ist keine einfache. Als erste österreichische Universität durchforstet Salzburg seine Ehrentafel nach Fällen schwerer nationalsozialistischer Verstrickung. Am Anliegen selbst ist nicht zu rütteln: Ideologische Schreibtischtäter, die dank geschickter Anpassung und effizienter Netzwerke nach 1945 nur allzu oft sanft landeten, wurden in den ersten Jahrzehnten nach dem Krieg weit über Gebühr geschont. So weit, so gut.

Die Universität beruft sich auf eine angebliche "Erschleichung" des Ehrendoktorats, da die "aktive Beteiligung an verbrecherischen Handlungen oder die aktive Mitgestaltung oder Verbreitung nationalsozialistischer Ideologie verschwiegen" wurde. Nur zwei solcher Fälle wurden als entscheidungsreif erachtet: Neben Konrad Lorenz, dem letzten naturwissenschaftlichen Nobelpreisträger Österreichs, trifft der Widerruf der Universität auch den nur leidlich prominenten deutschen Wirtschaftsjuristen Wolfgang Hefermehl.

"Entjudung"

Während allerdings in diesem Fall kein Zweifel daran besteht, dass der Vorwurf des "Verschweigens" zu Recht erhoben wird – der Aufsatz zur "Entjudung der deutschen Wirtschaft" scheint in Hefermehls Schriftenverzeichnis nicht auf -, liegen die Verhältnisse bei Lorenz entscheidend anders. Der von der Universität ins Treffen geführte Aufsatz "über durch Domestikation verursachte Störungen arteigenen Verhaltens" aus dem Jahr 1940 war spätestens seit 1972 bekannt, Lorenz distanzierte sich von ihm, führte ihn in Publikationslisten auf, die Arbeit wurde international heftig diskutiert (eine ausführliche Dokumentation dieser Diskussion findet sich in der 2003 im Zsolnay-Verlag erschienenen Lorenz-Biografie von Klaus Taschwer und Benedikt Föger).

Jeder, der sich auf einem auch nur halbwegs akademischen Level mit Konrad Lorenz beschäftigte, konnte, ja musste von der Existenz dieser Arbeit wissen. Ob der Aufsatz nun tatsächlich von Lorenz selbst "verschwiegen" wurde oder gar von den Organen der Universität, wird in der Begründung der Universität – erraten! – verschwiegen (in letzterem Fall hätte die Universität immerhin den Titel für ihre Ehrentafel erschlichen und nicht umgekehrt Lorenz für sich). Anders als im Fall Hefermehl findet sich kein Hinweis, dass die Arbeit im Schriftenverzeichnis fehlt.

Bleibt das zweite als Grundlage für die Entscheidung angeführte Textdokument, das erst seit 2001 vorliegende Eintrittsgesuch von 1938, in dem Lorenz sich propagandistischer Lehre im Sinn der NSDAP rühmt. Zwar schätzt man diese Angaben als "übertrieben" ein, hält aber zugleich fest: "Im Kontext [gemeint ist der Aufsatz über Domestikation] machen sie mindestens das Bemühen um eine wirksame Verbreitung nationalsozialistischen Gedankenguts deutlich." Nun würde man zumindest eine Abschätzung des Wahrheitsgehalts von Lorenz' handschriftlichem Gesuch erwarten, doch das ist offenbar nicht geschehen.

Klaus Taschwer, der diesen Text gemeinsam mit Benedikt Föger publizierte, meint dazu, Lorenz habe darin "gelogen, dass sich die Balken biegen" (DER STANDARD, 18. Dezember 2015). Stimmt aber diese Einschätzung, dann ist der angebliche "Umstand, der im Verfahren zur Verleihung verschwiegen wurde", von zweifelhafter Validität. Sind die Angaben im Gesuch mehr oder minder erfunden, wie hätte Lorenz auf sie verweisen sollen?

Die Entscheidung der Universität Salzburg verwundert nicht nur in ihrer fragwürdigen Begründung, mehr noch ist es die grundsätzliche Vorgangsweise, die irritiert. "Niemals", so die Universität in ihrer Begründung, seien in den Verfahren zur Verleihung von Ehrendoktoraten nationalsozialistische Verstrickungen thematisiert worden. Da bei einer Überprüfung der Tabula Honorum demnach mit mehreren zweifelhaften Fällen zu rechnen ist, würde man erwarten, dass der Aberkennungsprozess bei den gesicherten Fällen beginnt, um sich dann zu den problematischeren vorzuarbeiten. Tatsächlich tauchen allerdings in der Liste der Salzburger Ehrenträger Namen auf, die einerseits das "mindestens bemühte" Stadium weit hinter sich gelassen haben, deren sensibler Salzburg-Bezug aber andererseits für Irritationen im Verfahren sorgen dürfte.

Während im Fall Herbert von Karajan vieles noch im Dunkeln liegt, sind die Verhältnisse beim Kunsthistoriker Hans Sedlmayr (Ehrendoktorat vom 9. November 1972) klar. Sedlmayr, der sich bleibende Verdienste um die Erhaltung des historischen Stadtkerns und der Salzburger Stadtlandschaften erworben hat, war bereits 1930 in die NSDAP eingetreten und wurde nach 1945 mehrere Jahre mit Lehr- und Publikationsverbot belegt. Im Vergleich mit Lorenz ist Sedlmayr vielschichtiger belastet: durch ideologisierende Schriften, eine indoktrinierende Lehre, antisemitische Auslassungen, bis zur Denunziation – Vorwürfe, die in dieser Breite im Fall Lorenz nie laut wurden.

Aus dem Frühjahr 1939 (!) datiert ein Aufsatz, der die "ehemalige Judenstadt" im zweiten Wiener Gemeindebezirk durch eine "Hitlerstadt" ersetzen möchte. Im November desselben Jahres – nach dem gescheiterten Hitler-Attentat von Georg Elser – fordert Sedlmayr seine Hörer zur Denunziation auf, unter anderem mit den Worten: "Ich selbst habe heute früh über einen mir bekannten Fall bereits bei der zuständigen Polizeibehörde Meldung erstattet." Der Kunstsachverständige Hans Herbst, der dazu 1945 eine eidesstattliche Erklärung abgibt, hält darin fest, Sedlmayr habe auch in seiner Lehre als "Übernationalist" die Phraseologien einer "neuen nationalsozialistischen Kunstgeschichte" vertreten. Hier liegt ganz offenkundig mehr und Gravierenderes vor als "mindestens ein Bemühen" wie im Fall Lorenz.

Strenge Marschroute

Die Universität Salzburg hat mit ihrer Entscheidung im Fall Lorenz eine äußerst strenge Marschroute vorgegeben. Nun stehen weitere, auch unbequeme Entscheidungen an. Die Begründung der Universität spricht von "einigen" zweifelhaften Fällen, in denen "derzeit von einem Widerruf Abstand genommen wird". Sollte sich die zeitliche Distanz zu solchen künftigen Widerrufen vergrößern, könnte der unangenehme Eindruck eines Damenopfers entstehen, mit dessen Hilfe man lokale Bauern und Springer schont. (Herwig Gottwald, Christoph Landerer, 12.1.2016)