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In der Flüchtlingspolitik gespalten: Seehofer und Merkel Mittwochabend in Wildbad Kreuth.

Foto: REUTERS/Peter Kneffel

In den vergangenen Wochen musste ich immer wieder an die Worte von Karim El-Gawhary denken. In einem Vortrag sagte er sinngemäß: "Das, was in den letzten Monaten passiert ist, treibt die Politiker Europas vor sich her wie noch nie in der jüngeren Geschichte." Und: "Die Frage, wie wir mit den Menschen, die zu uns flüchten, umgehen, wird noch einen schwierigen Prozess auslösen, der uns spalten wird und der sehr schmerzhaft sein wird." Er sollte recht behalten.

Dieser Prozess spaltet uns: in solche, die den geflüchteten Menschen offen entgegenkommen und diese willkommen heißen; diese Menschen halten es für möglich, dass wir es gemeinsam schaffen, manche zweifeln keine Minute daran. Und in solche, die am liebsten gleich mal alle, die inzwischen gekommen sind, wieder zurückschicken würden und in jedem Fall keinen einzigen Menschen mehr hereinlassen wollen. Nicht nach Europa und schon gar nicht in das jeweilige eigene Land.

Unerwartete Repräsentanten

Diese zweite Gruppe hat erwartbare Repräsentanten: Horst Seehofer, Viktor Orbán, Jarosław Kaczyński und Heinz-Christian Strache. Irgendwie genauso logisch wie erwartbar.

Die erste Gruppe aber, die Gruppe jener, die die geflüchteten nicht pauschal kriminalisieren wollen und fest daran glauben, dass es unsere Pflicht ist, den Menschen, die zu uns fliehen, zu helfen und ihnen einen Neuanfang zu ermöglichen, hat eigentlich für viele unerwartete Repräsentanten: Angela Merkel, Christoph Schönborn und Christian Konrad.

Die neue Gretchenfrage

Das ist also der schwierige Prozess, von dem El-Gawhary gesprochen hat? Politische Lager sortieren sich neu, die Farbenlehre gilt nicht mehr. Was früher eine Gretchenfrage war, ist heute eine Menschenrechtsfrage? Gelten Menschenrechte wirklich immer und überall für alle in gleicher Weise? Oder sind sie beliebig dosierbar, befristbar oder mit einer zahlenmäßigen Beschränkung zu versehen?

Mit dem nunmehrigen Regierungsbeschluss, der Obergrenze für Asylwerber, sind Werner Faymann und Reinhold Mitterlehner ins Seehofer-Lager gewandert, während sich so manche Menschenrechtsverteidiger in ein "Gutmenschen"-Lager gedrängt sehen. Dieses Lager ist das neue "linke Gesocks"? Merkel, Schönborn und Konrad? Verkehrt? Verwirrend? Jedenfalls ein schmerzhafter Prozess. (Bernhard Jenny, 22.1.2016)