Eines von drei möglichen "Romeo und Julia"-Paaren: Kaspar Locher und Nadine Quittner (re.) bei den Proben zu Philipp Preuss' Inszenierung am Volkstheater, die am Samstag Premiere feiert.


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Liebe als Idee ist radikal: Regisseur Philipp Preuss.


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STANDARD: Der Shakespeare-Tonfall lebt durch die jeweilige Übersetzung. In "Romeo und Julia" werden herbe Vergleiche angestellt, etwa "groß wie ein Männerei" in der Übertragung von Thomas Brasch. Auf welche Übersetzung stützen Sie sich in Ihrer Inszenierung und warum?

Preuss: Wir wollten möglichst nahe an Shakespeares Doppeldeutigkeiten bleiben. Da ist Frank Günther zunächst einmal ein sehr gutes Fundament, also weg von der romantisierenden Schlegel/Tieck-Übersetzung. Wo bei Frank Günther dann etwas fehlt, haben wir bei Brasch gesucht. Frei nach dem Motto von Blixa Bargeld: Wo etwas fehlt, muss eine Dichtung rein.

STANDARD: "Romeo und Julia" sind am Volkstheater dreifach angelegt. Es gibt also drei Julias, drei Romeos. Was wird damit erzählt?

Preuss: Uns hat die Lektüre von Alain Badiou inspiriert. In seinem Lob der Liebe wird die Liebe als Ereignis gesehen, ähnlich einem politischen Ereignis, einer Revolution. Die Liebe kollektiv und gesellschaftlich zu interpretieren, war also ein Grundgedanke. Die wunderbaren Spieler haben zudem immer einen eigenen Ansatz zu diesen Romeos und Julias, und so ergeben sich auch verschiedenste Liebesvorstellungen, in die sich der Zuschauer selbst versetzen kann. Rimbaud meint, man müsse die Liebe immer neu erfinden, warum also nicht mal diese Erfindung proben?

STANDARD: Julia ist laut Shakespeares Text "noch keine 14 Jahre alt", was mehrfach betont wird. Das ist für eine Liebesgeschichte überaus jung, und fiele heute – es wird ja an Verheiratung gedacht – nicht unter "Ehemündigkeit". Was steckt Ihrer Ansicht nach hinter dieser Altersangabe?

Preuss: Das Alter ist für uns eher die Beschreibung einer Unkorrumpiertheit. In dem Alter ist alles noch absolut. Man ist so jung, hat aber alles schon erfahren, man fühlt sich steinalt und ist bereit, für seine Liebe alles zu geben. Und tatsächlich sieht man ja auch die Hässlichkeit, Verlogenheit, Absurdität und Angepasstheit der Welt viel klarer in dem Alter. Es ist eben noch nichts maskiert, larviert, eingebröselt und paniert. Das hat natürlich genau gar nichts mit unseren Securitybeziehungen und kleinmütigen Airbag-Ehen zu tun, in dem Alter ist man bereit, für die Liebe zu sterben.

STANDARD: "Romeo und Julia" ist kein historisches Stück, es gibt keine diesbezüglichen Eckdaten außer den Schauplatz Verona und ein dort regierendes unabhängiges Fürstentum, das es historisch gesehen nur im 13. Jahrhundert gab. Wann ist Ihre Inszenierung angesiedelt?

Preuss: Im Hier und Jetzt, im Unbewussten und in der Gegenwart der Erinnerung.

STANDARD: "Liebe ist ein Akt des Terrors" heißt es in der Ankündigung Ihrer Inszenierung. Was genau meinen Sie damit?

Preuss: Liebe als Idee ist radikal, eine permanente Revolution. Für diese Idee ist man bereit zu sterben, sein Leben hinter sich zu lassen. Liebe ist auch immer eine Form der Auslöschung, oder zumindest die Sehnsucht nach Auslöschung. Jeder tötet, was er liebt, wie Oscar Wilde sagt. In Zeiten, in denen es schon Partneragenturen für das "Verlieben ohne Risiko" gibt, ist das natürlich ein Anachronismus. In einer Gesellschaft des totalen utilitaristischen Funktionierens ist Liebe ein Anschlag auf den Funktionär in einem selbst.

STANDARD: Sie haben direkt nach dem Studium in Salzburg den Weg nach Deutschland eingeschlagen und nun 15 Jahre als freier Regisseur gearbeitet. Warum inszenieren Sie erst jetzt in Österreich?

Preuss: Es hat sich nicht ergeben. Österreich macht eigentlich genau gar nichts für junge Theaterleute, im Gegensatz z. B. zur Schweiz. Österreich gibt sich gerne als das Kulturland, aber zwischen Kultur und Kunst ist eben ein großer Unterschied. Aus dem Ausland werden gerne langsam entwickelte Ästhetiken importiert und hier dann schnell abgefeiert. Das Schizophrene ist dann, dass man hier denkt, man hätte es selbst erfunden. Wie man denkt, man hätte den Kaffee und das Schnitzel erfunden, so denkt man, man hätte das Theater erfunden. Anna Badora hat ein mutiges Team, das fitzcarraldohaft versucht, den Theatertanker durch den Bürokratiedschungel zu hieven, gegen alle Musealisierungsfanatiker und Früherwarallesbesserwisser.

STANDARD: Sie sind seit der Spielzeit 2015/16 Hausregisseur am Schauspiel Leipzig. Dort haben Sie auch "Ein Sommernachtstraum" inszeniert, den manche Exegeten als Parodie auf "Romeo und Julia" einstufen. Was halten Sie von dieser Lesart?

Preuss: Beide Stücke sind ja fast gleichzeitig entstanden. Im Sommernachtstraum untersucht Shakespeare noch mehr den Wahnsinn der Liebe, aber beide Stücke nehmen das Pyramus-und-Thisbe-Motiv von Ovid auf. Shakespeare war ja nicht zimperlich beim Aneignen von Fremdtexten und Motiven, das ist dann schon das Lustige, wenn Theaterleute Shakespeare vom Blatt spielen. All seine Texte sind ja immer auch Texte der Theaterpraxis, Shakespeare ist quasi der Erfinder des Regietheaters. :-) (Margarete Affenzeller, 22.1.2016)