1963 im Studio: Pops, Cleotha, Pervis und Mavis Staples.

Foto: Concord Music

Wien – Warum schickt der alte Mann mit der nervösen Gitarre nicht seine Kinder nach Hause? Als sich Roebuck "Pops" Staples, Sohn Pervis und die Töchter Mavis und Cleotha in den 50er-Jahren anschickten, die Gospelszene aufzumischen, hagelte es seitens etablierter Gruppen nicht selten hämische Kommentare. Das Ensemble, das die Rolling Stones ebenso beeinflussen sollte wie Wilco-Mastermind Jeff Tweedy, wirkte zunächst wie ein Fremdkörper, seine Musik unheimlich.

Uncloudy Day

Noch heute strahlt Uncloudy Day, jene Single, mit der den Staple Singers 1956 der Durchbruch gelang, einen gespenstischen Reiz aus. Statt des konventionelleren A-cappella-Gesangs oder Klaviers führt Pops Staples' tief in Hall und Tremolo getränktes E-Gitarren-Spiel in das von Dur in Moll verschobene Traditional, die zerlegten Akkorde scheinen vor Hitze zu flirren. Die gewaltige Hauptstimme, die nach dem Ensemblegesang einsetzt und einem die Nackenhaare aufstellt, kommt nicht von einem Mann, sondern von Mavis, der jüngsten Tochter, die schon als Teenager tiefere Töne als ihr Vater erreichte.

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Es sind die unorthodoxe Mischung, ein an Country-Formationen wie die Carter Family erinnernder Harmoniegesang, Mavis' Gospel-Furor, der hohe Tenor des Vaters und die im Gitarrenspiel nicht verhehlbare bluesige Unterströmung, die gerade die frühen Aufnahmen für das Label Vee-Jay frisch wie eh und je klingen lassen.

Dass Pops Staples' Gitarrenspiel tief in den Farben des von Gospel-Puristen verteufelten Blues gefärbt ist, hat biografische Gründe. Staples arbeitete schon als Achtjähriger auf der Dockery Plantation in Mississippi als Baumwollpflücker, wo er sich für die Musik seines Nachbarn, des Delta-Blues-Vaters Charley Patton, begeisterte. Während Staples am Wochenende im Kirchenchor sang, verdiente er nebenbei als Gitarrist in Juke Joints ein beachtliches Zubrot. Erst als nach Chicago übersiedelter Familienvater schwörte Staples dem Blues ab. Die musikalischen Spuren sollten bleiben. "Ihr spielt Gospel in einer Blues-Tonart", brachte Duke Ellington sein Lob auf den Punkt.

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Für Gitarristen sollte sich Staples' hypnotisch pulsierendes E-Gitarren-Spiel als wahre Fundgrube erweisen. Keith Richards übernahm das Riff für The Last Time eins zu eins, John Fogerty machte den sumpfigen Gitarrensound zum Markenzeichen der Südstaatenfantasmen seiner Band CCR.

Auf der Suche nach einem größeren Publikum knüpfte Pops Staples Anfang der 60er-Jahre zunächst beim mit der Bürgerrechtsbewegung verschränkten Folk Revival an. Mit Freedom Highway, das nach den Protestmärschen von Selma nach Montgomery entstand, gelang ihm eines seiner profundesten Stücke als Songwriter.

Southern Soul

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Nachdem die Hits ausgeblieben waren, freundeten sich die Staple Singers 1968 mit dem Wechsel zum Southern-Soul-Label Stax doch noch mit dem weltlich-lukrativen Genre an, programmatisch der Albumtitel Soul Folk in Action. Den kommerziellen wie künstlerischen Zenit erreicht das Quartett um 1971 in den Muscle Shoals Studios in Alabama. Es entstehen Meisterstücke wie Respect Yourself und I'll Take You There, deren unwiderstehliches Dance-Feeling der Botschaft schwarzer Selbstermächtigung zusätzliche Durchschlagskraft verleiht.

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Mit dem Zerfall des Labels Mitte der 70er-Jahre flauten auch die Erfolge der Staple Singers ab, es folgten beachtenswerte Solokarrieren des im Jahr 2000 verstorbenen Patriarchen Pops und seiner nach wie vor aktiven Tochter Mavis. Nicht zufällig gipfelt die Werkschau Faith & Grace in jenem für beide Seiten stolzen Moment, in dem die Staple Singers 1976 gemeinsam mit The Band deren Song The Weight spielten. Einen Song, der in seiner Mischung aus Gospel, Country, Blues und Folk, vor allem aber im souligen Harmoniegesang schon immer wie für die Staple Singers maßgeschneidert schien. Am Ende der Performance flüstert Mavis Staples leise ins Mikrofon: "Beautiful!" (Karl Gedlicka, 26.1.2016)

Oono Daisuke