Mavis Staples ist mit 76 Jahren so aktuell wie eh und je. Der Titel ihres neuen Albums "Livin' On A High Note" ist ihr Programm.


Foto: Anti Records
HBODocs

Wien – Im Netz kursiert zurzeit ein lustiges Video. Es heißt The Day Beyoncé Turned Black und verarscht Sängerin Beyoncé, deren Black-Panther-Gesten bei der Super-Bowl-Halbzeitshow offenbar nicht einmal bei der afroamerikanischen Bevölkerung der USA ernst genommen wurden. Der millionenfach aufgerufene Clip zeigt, was passiert, als im weißen Amerika bekannt wird, dass Beyoncé eigentlich schwarz ist. Denn vor ihrem Super-Bowl-Auftritt hätte das niemand vermutet.

Mavis Staples ist fehlende "Blackness" nicht nachzusagen. Sie ist die große alte Dame des politischen Soul. Bereits Ende der 1940er-Jahre hat sie mit dem Familienverband The Staple Singers Gospel gesungen und zur Zeit der Bürgerrechtsbewegung deren politische Botschaften transportiert. Daneben veröffentlichte sie 1969 ihr erstes Soloalbum, am Freitag erscheint ihr neues: Livin' On A High Note.

antirecords

Es ist eine Sammlung von Liedern, die ihr ergebene Künstler für sie geschrieben haben: Nick Cave, Ben Harper, Aloe Blacc, Neko Case oder M. Ward, der das Album zudem produziert hat.

Pop-Prominenz begleitete die heute 76-Jährige ihr ganzes Leben lang. Sie hat mit allen Großen des Soul der 1960er gespielt, mit The Band, später mit Prince, mit den North Mississippi Allstars, Ry Cooder, Dr. John – auf über 600 Veröffentlichungen steht ihr Name. Und ein verliebter Bob Dylan hat einst gar um ihre Hand angehalten, vergebens.

Leger und immergrün

Als in den Nullerjahren eine Reihe Soulkünstler der klassischen Ära wiederentdeckt wurden, streifte auch die ohnehin nicht von der Vergessenheit bedrohte Mavis Staples dieses Schicksal. Ry Cooder produzierte das Album We'll Never Turn Back, auf dem die spirituelle Wucht des Gospel mit der legeren Spielweise Cooders mitreißende Ergebnisse zeitigte und eine Renaissance für die Dame einleitete.

antirecords

Platziert zwischen Klage und Hoffnung, erweist sich ihre Kunst als immergrün, und betrachtet man die rassistisch motivierte Polizeigewalt in den USA, die nun sogar singende Modepüppchen zu politischen Gesten verleitet, ist Mavis Staples so aktuell wie eh und je.

Das Cooder'sche Soundlayout mit seiner verschleppten Lässigkeit passte bestens zu Staples' Vortrag. Das belegten noch die Folgewerke, die im Windschatten des Erfolgs von We'll Never Turn Back entstanden sind, wobei die von Jeff Tweedy produzierten You're Not Alone (2010) und One True Vine (2013) nicht dessen Intensität erreichten.

Matthew "M." Ward erweist sich als bessere Wahl. Der kommt aus dem Countryrock, wo er jedoch mit ungewöhnlich atmosphärischen Produktionen reüssierte, die an die Arbeit Joe Henrys erinnern. Der wiederum war mit der Produktion von Solomon Burkes Album Don't Give Up On Me (2002) maßgeblich am Soul-Erneuerungstrend beteiligt.

M. Wards Lied High Note markiert auf dem neuen Album einen Höhepunkt. Ein leicht schwebender Song, dem Staples' Stimme Energie zuführt, dass sich der Himmel öffnet. Dasselbe lässt sich über das hoffnungsfrohe Tomorrow sagen – Soul und Funk dringen dem Song aus jeder Pore, während Staples vorträgt, als gelte es, zögerliche Konvertiten zu überzeugen.

antirecords

Politik, Privates und Spirituelles führt diese Ausnahmekünstlerin zusammen, trennt, wo es nicht stimmt, und vereint, was passt. Das Wechselspiel aus Eloquenz und Nonchalance prägen die schnelleren Songs des Albums, seine Balladen vereinnahmt sie mit ihrer raumfüllenden Stimme. Etwa Jesus Lay Me Down Beside You aus der Feder von Nick Cave oder das finale MLK Song. Eine Rezitation eines Textes von Martin Luther King, an dessen Seite sie einst marschierte. Die Akustische von M. Ward reicht ihr als Begleitung. Da lässt sich noch einmal erfahren, mit welcher Anmut einem diese Gigantin existenzielle Wahrheiten ins Ohr flüstert. Ein Traum. (Karl Fluch, 18.2.2016)