Das gedruckte 3D-Modell wurde der Aorta eines 74-jährigen Patienten mit ausgeprägtem Aneurysma nachempfunden. Größe, Form, Lage und Haptik entsprechen nahezu dem Organvorbild.

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Sie sieht aus wie eine Aorta, fühlt sich an wie eine Aorta, ist aber keine – sondern eine Eins-zu-eins-Nachbildung aus dem 3D-Drucker, die per CT-Bild exakt der Hauptschlagader eines Patienten nachempfunden wurde, zu Trainingszwecken vor der Operation: "Was ein Arzt erst sehen oder in den Händen halten kann, wenn er einen Patienten auf dem Tisch öffnet, geht mittels 3D-Modell schon vor der Operation", sagt Marcel Pfützner vom 3D-Druck-Unternehmen MMM.

Dem 3D-Druck wird in der Medizin eine große Zukunft vorausgesagt. Knochenimplantate für den menschlichen Körper gibt es bereits, schon ganze Schädeldecken aus dem 3D-Drucker wurden Patienten eingesetzt. An der Rekonstruktion von Organen wird noch geforscht – eines Tages soll etwa Lebergewebe mittels 3D-Biodrucker hergestellt und Menschen implantiert werden.

"Implantate bestehen nicht aus knochenähnlichem Material, sondern aus Metall, das mit dem Knochen zu einer festen Verbindung verwächst. Das ist weitab von allem, was wir bisher als Standardlösung aus der Orthopädie kennen", sagt Marcel Pfützner.
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Neben diesen zwei Einsatzmöglichkeiten gibt es in der Medizin noch eine dritte – die maßgeschneiderte Anfertigung von Organmodellen, die es Ärzten ermöglichen soll, sich wesentlich besser auf bevorstehende und komplizierte Operationen vorzubereiten.

So geschehen etwa im Fall eines 74-jährigen Patienten des Herzzentrums Dresden mit ausgeprägtem Aortenaneurysma. Nach Ansicht der CT-Daten entschied der behandelnde Herzchirurg Utz Kappert, eine exakte Nachbildung der Aorta aus dem 3D-Drucker anfertigen zu lassen. "Der Operateur kann alle Schritte planen, simulieren, mit Kollegen durchspielen, sich Alternativen überlegen und geht wesentlich besser vorbereitet in den OP-Saal", sagt Pfützner, der mit seinem Unternehmen die künstliche Aorta für das Herzzentrum Dresden gedruckt hat.

Am PC kein Tastgefühl

Ausgewählt werden vor allem komplexe Fälle, bei denen die radiologische Bildgebung aufgrund der Pathologie nicht mehr ausreicht um dem Mediziner einen Sachverhalt begreifbar zu machen. "Wenn eine Herzklappenprothese eingesetzt werden soll, kann am 3D-Modell zuvor überprüft werden, ob das Implantat am individuellen Herzen funktioniert. Sehe ich das Bild des Organs nur am PC, habe ich kein Tastgefühl und kein taktiles Feedback, ich bin viel flexibler in der Betrachtung", erklärt Kappert.

Auch Flüssigkeiten werden zusammen mit 3D-Modellen eingesetzt. "Wir drucken Arterienverläufe mit realen Versackungen auf der Grundlage von CT-Bildern. Strömungswissenschaftler testen dann mit einer blutähnlichen Flüssigkeit, wie sich ein Stent oder ein Katheter auf das Strömungsverhalten in diesem Bereich auswirkt", sagt Fabian Klink, der mit seinem Magdeburger Unternehmen M3DP Arterienverläufe mit dem 3D-Drucker herstellt. Dadurch können Stents und medizinische Werkzeuge angepasst und weiterentwickelt werden.

Individuelle medizinische Modelle braucht es aber auch, wenn Leichenpräparate nicht vorhanden oder für eine geplante Operation nicht zu gebrauchen sind. Klink stellt mit seinem Unternehmen auch Modelle von Felsenbeinen für die Planung von Operationen am Innenohr her. "Muss einem tauben Patienten ein Hörschnecken-Implantat eingesetzt werden – diese OP wird häufig an Kleinkindern durchgeführt – kann der Arzt den Eingriff zuvor nur an den viel größeren Leichenpräparaten eines Erwachsenen simulieren. In diesem Fall ist ein individuelles 3D-Modell sinnvoll", sagt Klink.

Fertiger Druck in 72 Stunden

Um ein pantientenspezifisches anatomisches Modell zu bekommen, schicken Ärzte mit der Zustimmung des Patienten und der Klinik CT- oder MRT-Bilder an das 3D-Druck-Unternehmen, wo die Bilder in einen Datensatz umgewandelt werden, der vom Drucker erfasst werden kann. "In der Regel geht spätestens nach 72 Stunden das fertige Modell zurück an den Arzt", sagt Pfützner.

In diesen 72 Stunden sieht Herzchirurg Kappert noch eine Schwäche des medizinischen 3D-Modell-Drucks: "In Notfällen können keine Modelle angefertigt werden, weil die Produktion zu lange dauert". Die komplexen Fälle seien aber ohnehin meist lange im Voraus geplant, sagt Pfützner.

Verbesserungsbedarf sieht Kappert auch beim Material der Drucke. Während in Japan schon derart realistische Modelle von Lebern hergestellt werden, dass Ärzte davor warnen, sie könnten im OP mit dem echten Organ verwechselt werden, muss hierzulande noch am Material gefeilt werden. "Unsere Knochendrucke entsprechen zu 95 Prozent dem Material echter Knochen, so können auch Säge- und Bohrarbeiten am Modell geprobt werden. Unsere Venen- und Herzmodelle fertigen wir aus silikonähnlichem Kunststoff, der an die realen Strukturen nahe heran kommt", sagt Pfützner, räumt aber Verbesserungsbedarf ein.

Das japanische Unternehmen Fasotec hat Lebern, Lungen und Nieren gedruckt, die den echten Organen zum Verwechseln ähnlich sind. "In der Forschung ist vieles möglich. Mit dem 3D-Drucker produzierte Lebern oder Nieren sind aber derzeit noch nicht lebensfähig", sagt Pfützner. Am Herzzentrum in Berlin sei man gerade dabei, druckbare Aortenklappen zu entwickeln. "Dafür braucht man natürlich druckbare lebende Zellen, die im Körper den selben Prozess mitmachen, wie die natürlichen Zellen. Organe aus dem 3D-Drucker müssen – wie echte Organe – mitwachsen, teilweise absterben, sich bewegen und mit dem Menschen verändern. Eine Aortenklappe aus dem 3D-Drucker muss in der Lage sein, zigtausende Herzschläge druchzustehen. Bis wir Organe aus dem 3D-Drucker Menschen implantieren können, wird es noch 25 bis 50 Jahre dauern."
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Dem vermehrten Einsatz von 3D-Modellen in der Medizin stehen derzeit noch die hohen Kosten im Weg. Ein patientenindividuelles Modell kommt laut Kappert auf 1.000 bis 2.000 Euro. "Finanziert wird der Druck von der Privatversicherung des Patienten, falls er eine hat, über die klinikinterne Aus- und Weiterbildung oder von Medizintechnikunternehmen, die am Prozess beteiligt sind. Die hohen Kosten sind definitiv eine Hürde", sagt Pfützner.

Letztlich drosselt Kappert die Euphorie um den 3D-Druck in der Medizin mit seiner Vermutung, das Drucken von 3D-Modellen sei nur ein Zwischenschritt, bis 3D-Analysen am Computermonitor besser animiert werden können. "Ein 3D-Modell das sich am Bildschirm im Herzzyklus würde schon ausreichen", sagt Kappert.

Pfützner ist da freilich anderer Meinung: "Ob ein Ausdruck notwendig ist, hängt letztlich vom Patienten ab und von den persönlichen Vorlieben des Arztes. Am PC kann ich besser zoomen, das Eins-zu-eins-Verständnis bekomme ich aber nur mit einem individuellen anatomischen Modell." (Bernadette Redl, 22.2.2016)