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Istanbul im Jahr 2010: Der syrische Präsident Bashar al-Assad (li.) und Tayyip Erdoğan, damals türkischer Premier, pflegten zu der Zeit noch gute Kontakte zueinander.

Foto: EPA/TOLGA BOZOGLU

Es ist erst gut fünf Jahre her, klingt jedoch heute historisch: Im Dezember 2010 unterschrieben Vertreter der Türkei, Syriens, des Libanon und Jordaniens eine Vereinbarung zur Gründung des "Levante-Quartetts". Großes Ziel war, eine Kerngruppe für eine spätere "EU des Nahen Ostens" zu gründen, zu der nach und nach andere Länder der Region hinzukommen sollten – auch der Iran.

Die Türkei hatte ihren Blick nach Jahrzehnten, in denen sie nur in den Westen geschaut hatte, wieder dem Osten zugewandt – und da besonders dem Nachbarland Syrien. Erleichtert wurde das türkische Engagement durch das fast familiäre Verhältnis zwischen dem syrischen Präsidenten Bashar al-Assad und dem damaligen türkischen Premier Tayyip Erdoğan. Die Türkei und Syrien schafften es von 2008 bis 2010 sogar, alte Vermögens- und Entschädigungsstreitigkeiten beizulegen.

Eines erreichte Erdoğan damals jedoch nie: Obwohl es eine De-facto-Anerkennung der türkischen Grenzen durch Syrien gibt, so erkannte auch Assad niemals explizit an, dass Hatay eine türkische Provinz ist: Der frühere osmanische Sanjak von Alexandretta gehörte nach dem Ersten Weltkrieg zum französischen Syrien-Mandatsgebiet, wurde 1938 unabhängig und kam 1939 nach einem Referendum, dessen Rechtmäßigkeit die Syrer stets bestritten, zur türkischen Republik.

"Aleppo retten"

Das mögen alte Geschichten sein: Aber als nach der Schlacht um Kobanê (Kurden gegen den "Islamischen Staat") Anfang 2014 sowohl Erdoğan als auch der damalige französische Außenminister Laurent Fabius anmerkten, dass es nun an der Zeit sei, Aleppo zu retten, ging ein Raunen nicht nur durch syrische Regimekreise: Da sei also schon wieder eine französische Regierung (und wie 1938/39 eine sozialistische!) bereit, den Türken arabisches Land zuzuschanzen, hieß es.

Nach der Jahrtausendwende hatten mehrere Faktoren zum Tauwetter zwischen Ankara und Damaskus geführt: abgesehen von der Ausweisung von PKK-Führer Öcalan aus Syrien 1998 auch, dass das türkische Parlament 2003 den USA verweigerte, die Türkei als Aufmarschgebiet für ihre Irak-Invasion zu benützen, sowie das sich verschlechternde türkische Verhältnis zu Israel.

Türkische Umorientierung

Die türkische Umorientierung wurde von vielen Arabern positiv gesehen – dazu kam der wachsende kulturelle Einfluss, etwa auch durch Exportprodukte der türkischen TV- und Filmindustrie. Viele Araber reagierten jedoch allergisch auf die paternalistische Art, mit der Erdoğan nach Ausbruch des Arabischen Frühlings 2011 besonders den Ägyptern das türkische Demokratiemodell anpries: Da hatte man in verschwörungstheoretischer Manier bereits die USA im Verdacht, in den arabischen Ländern "gemäßigte" islamische Regierungen à la AKP installieren zu wollen. Der Backlash war umso heftiger.

Der persönliche Zwist zwischen Erdoğan und Assad soll auch darin gründen, dass der syrische Präsident, der im Jahr 2000 seinen Vater beerbt hatte, Erdoğan wiederholt versprochen haben soll, in Syrien mehr politische Partizipation zuzulassen, und dies dann nie tat. Erdoğan empfahl Assad vor allem die Rehabilitation der syrischen Muslimbruderschaft und die Abschaffung des berühmten "Gesetzes Nr. 49", das die Todesstrafe schon für die Mitgliedschaft bei der Brüderschaft vorsah (aber ohnehin nicht mehr angewendet wurde).

Nicht eingehaltene Zusagen

Erdoğan war aber nicht der Einzige, dem Assad Zusagen machte, die er nicht einhielt: Das passierte auch dem saudischen König Abdullah, der Syrien aus der strategischen Umarmung Irans zu lösen versuchte.

Die Öffnung der syrischen Wirtschaft, die mit der türkisch-syrischen Annäherung einherging, trug übrigens neben anderen Faktoren dazu bei, dass das Assad-Regime Klientel verlor: Türkische Geschäftsleute verdrängten in Syrien nicht konkurrenzfähige kleine heimische Betriebe.

Hegemoniale Gelüste

Heute, da die Ordnung der arabischen Nationalstaaten in Auflösung erscheint, regiert wieder das Misstrauen. Dass Erdoğan als Präsident so gerne an die historische türkische Größe erinnert, wird als Bedrohung gesehen: Die Türkei steht bei vielen Arabern unter Verdacht, sich in den alten arabischen Provinzen des Osmanischen Reichs wieder in hegemonialer Manier festsetzen zu wollen. Dass Aleppo, aber auch das irakische Mossul eigentlich türkische Städte sind, kann man in der Türkei ja auch durchaus zu hören bekommen.

Die Sache wird nicht besser dadurch, dass sich im syrischen Aufstand manche Rebellengruppen Namen aus der gloriosen türkischen Zeit geben: die Nureddin-Zengi-Brigaden etwa, benannt nach einem seljukischen Herrscher über Syrien im 12. Jahrhundert, dessen Bruder in Mossul regierte. Dabei soll der Name wohl eher an den Kampf gegen die westlichen Kreuzritter erinnern. (Gudrun Harrer, 19.2.2016)