"Frauen können nicht einparken", "Männer können nicht reden": Dass es sich dabei um Klischees handelt, ist heute weitgehend bekannt. Trotzdem halten sie sich hartnäckig – und die Wissenschaft ist daran nicht ganz unbeteiligt. "Die Forschung hat lange Zeit ihr Augenmerk auf die wissenschaftliche Belegung von vermeintlichen Unterschieden zwischen Mann und Frau gelegt", sagt die Biologin und Genderforscherin Sigrid Schmitz. Neben sprachlichen und logisch-analytischen Fähigkeiten oder Vorstellungsvermögen sei auch Intelligenz, so die Annahme bis ins letzte Jahrhundert, quasi "von Natur aus" gegeben – und mit dem Geschlecht wurden eben solche "natürlichen Determinationen", Rasse und Gesellschaftsschicht verbunden.

"Diese behaupteten Differenzen wurden herangezogen, um gesellschaftliche Ordnungen zu legitimieren. Sie dienten dazu, die Teilhabe für Menschen in verschiedenen Bereichen – der Produktion und der Reproduktion – zu erlauben oder zu verwehren", erklärt Schmitz. "Als 'Naturtatsache' erschienen diese Relationen unveränderbar." Sie gingen einher mit dem Polarisieren verschiedener Gruppen: "Unter-" versus "Oberschicht", "InländerIn" versus "MigrantIn" und eben auch "Mann" versus "Frau".

Geschichte der Feminist Science Studies

In den 1970er-Jahren regte sich erstmals feministische Kritik an den herrschenden Vorstellungen. Frauen, die im Bereich der Naturwissenschaften studierten und arbeiteten, fühlten sich benachteiligt, weil ihnen aufgrund ihrer Geschlechterzugehörigkeit weniger zugetraut wurde.

Wissenschafterin an der Technischen Universität in München.
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Sie formten weltweit Allianzen außerhalb und innerhalb der Universitäten und entwickelten Analysen, um die biologisch begründete Mainstreamforschung als einseitig und ideologisch verzerrt zu entlarven: "Theorien seien aus Sicht derjenigen gesellschaftlichen Gruppe formuliert worden, die von jeher die Möglichkeit hatte, wissenschaftlich tätig zu sein, nämlich weißen Männern der Mittel- und Oberschicht", sagt Schmitz.

Die in dieser Zeit entstandenen feministischen "Standpunkttheorien" forderten, dass verschiedene Gruppen mit ihren sozialen Erfahrungen miteinbezogen werden. Nur so könne "bessere" Wissenschaft gemacht werden.

Gesellschaft beeinflusst Körper

Feministische Biologinnen deckten in den folgenden Jahrzehnten und bis heute "Defizite in vielen naturwissenschaftlichen Wissensproduktionen auf", zum Beispiel in der Evolutionsforschung, sagt Schmitz. Das habe dazu geführt, dass die klassischen "Jäger versus Sammlerinnen"-Theorien heute auch in der Forschung selbst kritisch gesehen werden. "Sie wiesen zudem auf Defizite in der Medizin – was zur Ausbildung der Gendermedizin führte – oder der Gehirn- und Lernforschung hin."

Feministische Biologinnen waren es auch, die erstmals systematisch methodische Verzerrungen und Auslassungen aufzeigten und darauf hinwiesen, dass von Tieren nicht auf Menschen und vom Individuum nicht auf ganze Gruppen generalisiert werden dürfe. "Sie machten klar: Nicht nur die Biologie macht Frauen zu Frauen und Männer zu Männern", sagt Schmitz. Biologische Prozesse seien nämlich von sozialen nicht zu trennen, diese stünden vielmehr in permanenter Wechselwirkung.

Heute sind diese methodischen ebenso wie die Interpretationskritiken in die naturwissenschaftlichen Fachdiskussionen teilweise aufgenommen worden. "Und die biologische Forschung selbst zeigt inzwischen in zahlreichen Studien auf, dass sich beispielsweise Gehirnstrukturen und -funktionen nicht rein biologisch entwickeln und beileibe nicht unveränderbar sind, sondern sich im Laufe des Lebens ständig verändern", so Schmitz, die selbst in der Neurologie forscht. Das Gehirn, sagt sie, ist plastisch, es lernt, was wir erfahren.

"Stereotype threat"

Diese sogenannte "biosoziale Entwicklung" unterliege wiederum kulturellen und gesellschaftlichen Normen. Auch Normen, die festlegen, wie ein Mann oder eine Frau sich in der Gesellschaft zu verhalten hätte, formen die Biologie. Beispielsweise stellt die kanadische Psychologin Cordelia Fine in ihrem Buch "Delusions of Gender" viele Untersuchungen zusammen, wie Stereotype die Funktionen des Gehirns nachhaltig beeinflussen. Wenn eine Testperson etwa glaubt, schlecht in Mathematik oder räumlicher Orientierung zu sein, führt das nicht nur zu einem schlechteren Abschneiden beim Test, sondern auch zu nachhaltigen Veränderungen im Gehirn. "Mit der Einstellung 'Ich bin ein Mädchen' verändern sich also die Gehirnstrukturen", sagt Schmitz – und verweist auf neue Studien, die diesen Effekt, den "stereotype thread", nachweisen.

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"Filme beeinflussen unser Verhalten als Männer und Frauen."
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Stereotype entstehen unter anderem durch Medien (z. B. Rollenbilder im Fernsehen), Erziehung (z. B. geschlechterstereotypes Spielzeug), in der Schule, am Arbeitsplatz (z. B. Rollenerwartungen an Männer und Frauen) und werden dort tagtäglich auch von uns selbst immer wieder aufgegriffen und so weiter verfestigt. Das bezeichnet die Genderforschung als "Doing Gender".

Forschung ist nie neutral

Die Feminist Science Studies zeigen auf, dass wie alle Menschen, so auch Wissenschafter und Wissenschafterinnen nicht frei von diesen stereotypen Vorstellungen handeln. Ganz im Gegenteil, so Schmitz: Sie beeinflussen sie wesentlich darin, wie sie sich einem Thema nähern, welcher Theorien sie sich bedienen, welche Fragen sie stellen und schließlich ebenso, welche Schlüsse sie aus den Ergebnissen ziehen. "Und zwar nicht unbedingt bewusst oder absichtlich, aber dennoch mit Folgen", sagt die Biologin und Genderforscherin: "Nachweislich werden mehr Untersuchungen zu Unterschieden publiziert und aufgegriffen als solche, die keine Unterschiede oder vielfältige Variationen auch innerhalb der Geschlechtergruppen finden." Im wissenschaftlichen Fachjargon wird dieses Phänomen als "publication bias" bezeichnet.

Wissenschaftliche Erkenntnisprozesse seien damit nie neutral, auch nicht die naturwissenschaftlichen, sagt Schmitz. "Dies ist gar keine genuine Erkenntnis der feministischen Naturwissenschaftsforschung, sondern das hat die Wissenschaftsforschung schon seit Thomas Kuhn gezeigt: Soziale Umstände und Erfahrungen, gesellschaftlicher Kontext und politische wie auch wirtschaftliche Ziele haben klare Folgen für den Forschungsprozess."

Situiertes Wissen statt Erkenntnis

Wenn wissenschaftliche Erkenntnis und Wissen nie objektiv sein können, wie lassen sie sich dann anwenden, ohne eine ultimative Wahrheit zu behaupten? "Zusammen mit der Wissenschaftsforschung und der Wissenschaftsphilosophie diskutieren wir hier über Möglichkeiten", sagt Schmitz.

Die Wissenschaftskritikerin und Philosophin Sandra Harding etwa schlägt mit ihrem Ansatz der "Strengen Objektivität" vor, möglichst heterogene ForscherInnengruppen zu bilden, um viele Standpunkte in die Interpretation von Ergebnissen mit einzubeziehen. Donna Haraway, feministische Biologin, hat wiederum den Erkenntnisweg des "Situierten Wissens" formuliert. Statt des "God’s Trick", also des scheinbar neutralen Blicks der Forschenden von außen, geht es darum, dass Forschende ihre Ansichten und Einflüsse im Erkenntnisprozess reflektieren. Dabei könne, so meint auch Harding, der Wechsel von Perspektiven Irritationen erzeugen und getroffene Annahmen konstruktiv überdacht werden.

Zusammenarbeit der Disziplinen

Was also nun tun, um andere, "bessere" Wissenschaft zu machen? Feministische WissenschafterInnen haben hier eine Vielzahl an Ansätzen hervorgebracht – und arbeiten an weiteren. Eine Initiative ist das Netzwerk "NeuroGenderings", ein internationaler Zusammenschluss von ExpertInnen aus der Hirnforschung und den Gender Studies, die neue neurowissenschaftliche Theorien und Methoden finden wollen, um biologische Vielfalt darstellbar zu machen. Schmitz: "Ziel ist es, der Tatsache Rechnung zu tragen, dass es nicht einfach nur Männergehirne und Frauengehirne gibt, sondern dass jedes Gehirn völlig unterschiedlich ist – ein Mosaik."

"Männergehirne" und "Frauengehirne" gibt es nicht, sagen feministische NeurowissenschafterInnen.
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Um dieses Mosaik zu beschreiben, müssten vielfältigere Kategorien in Analysen berücksichtigt werden als das Geschlecht: beispielsweise Alter, Schicht, Bildung, Ethnizität, Geschlechteridentität oder sexuelles Begehren. "Sie beeinflussen das Gehirn ebenso wie das Verhalten. Und vor diesem Gesichtspunkt geht es um mehr als nur um das Geschlecht; es geht um – wie die Genderforschung sagt – 'intersektionale Verschränkungen' dieser Einflussfaktoren."

Neuere Studien des Netzwerks geben darauf Acht, solche intersektionalen Faktorenbündel in die Hirnforschung zu integrieren, und werden in hochkarätigen wissenschaftlichen Zeitschriften publiziert. So wiesen etwa WissenschafterInnen aus Israel, Deutschland und der Schweiz anhand von 1.400 Gehirnen nach, dass diese tatsächlich "Mosaike" sind: dass Frauen beispielsweise mit vielen Männern mehr gemein hätten als mit anderen Frauen und dass außerdem "unsere Gehirne nicht durchgängig weiblich oder männlich sind". Und ForscherInnen der Rosalind Franklin University of Medicine & Science (2015) widerlegten die Annahme, dass Männer einen größeren Hippocampus hätten als Frauen, ein Hirnbereich, der für die bessere räumliche Orientierung bei Männern, das Einparken eben, verantwortlich gemacht wird.

EU-Empfehlungen für Gender-Forschung

Dass Geschlechteraspekte und die Verschränkung von biologischen und sozialen Faktoren in der gesamten Forschung mitberücksichtigt werden müssen, sei ein Anliegen, das inzwischen von europäischen Universitäten (LERU 2015) ebenso eingefordert wird wie von der EU, sagt Schmitz. "Wie die von der Europäischen Kommission unterstützte Projektseite 'Gendered Innovations in Science, Health & Medicine, Engineering & Environment' zeigt, profitieren nicht nur die MINT-Fächer davon, wenn sie Sex/Gender-Aspekte einbeziehen, die gesamte Gesundheits- und technische Entwicklung wird deutlich verbessert."

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Stereotype können ebenso wieder verändert werden, sagt Genderforscherin Sigrid Schmitz.
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Insgesamt gehe es bei der Integration der Genderforschung in die Natur- und Technikwissenschaften darum, "dass einparkende Frauen und schwätzende Männer ebenso zur Normalität werden wie umgekehrt". (Lisa Breit, 1.3.2016)