Frauen holen auf: Der Anteil der Haushalte mit männlichem Haupternährer ist, wie Koppetsch und Speck aufzeigen, in Westdeutschland von 64 (1991) auf 55 Prozent (2006) und in Ostdeutschland im selben Zeitraum von 42 auf 36 Prozent gesunken.

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Überrascht hat die Forscherinnen das akademische Milieu, das sie 'individualisiertes Milieu' genannt haben: Diese Paare würden einer "Gleichheitsillusion" erliegen: Sie seien stark auf Egalität aus, ihre wichtigste Normen seien Unabhängigkeit – keiner darf auf den anderen angewiesen sein – und Selbstverwirklichung im Beruf. Schlussendlich würde das aber dazu führen, dass die Frau beides schultern muss: die Erwerbsarbeit und den Haushalt.

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Frank und Lisa sind ein gleichberechtigtes Paar, zumindest dem eigenen Anspruch nach: Beide haben Architektur studiert und leben nun in einer Altbauwohnung in Berlin. Sie haben ein einjähriges Kind, um das sie sich gleichermaßen kümmern wollen. Lisa arbeitet selbstständig als Architektin, Frank konnte in der Branche nie richtig Fuß fassen und fertigt nun freiberuflich als Handwerker Schilder an. Er, zurzeit in Elternkarenz, verdient etwa 400 Euro netto – sie etwa 2000.

Paare wie Frank und Lisa, bei denen die Frau das höhere Einkommen hat, waren Forschungsgegenstand der deutschen Soziologinnen Cornelia Koppetsch und Sarah Speck. Verändert sich die Erwerbskonstellation, könnte das theoretisch doch auch die Rollenverteilung in der Beziehung verändern, umkrempeln, neu ordnen, schreiben die Wissenschafterinnen. Aufgaben könnten anders verteilt werden, das mittägliche Kochen für die Kinder etwa der Mann übernehmen, oder das Wäschewaschen?

Immer weniger männliche Ernährer

Dass es nicht so einfach ist und dass es nicht gerade "die fortschrittlichen Hochschulabsolventinnen und -Absolventen sind, die ein innovatives Geschlechterarrangement leben", wollen Koppetsch und Speck den Leserinnen und Lesern ihrer Studie gleich in der Einleitung offenbaren. Aber der Reihe nach. Anlass für ihre Untersuchung boten den Forscherinnen Veränderungen der Erwerbsgesellschaft seit den 1970er- Jahren: allen voran die Zunahme prekärer Arbeitsverhältnisse. Diese betrafen immer schon einen bedeutenden Teil weiblicher Beschäftigung – dass aber auch männlich dominierte, qualifizierte Berufe betroffen sind, ist relativ neu. Gleichzeitig erobern Frauen mit immer besseren Bildungsabschlüssen längst nicht nur den Arbeitsmarkt, sondern auch die Chefetagen der Unternehmen.

Der Anteil der Haushalte mit männlichem Haupternährer ist, wie Koppetsch und Speck aufzeigen, in Westdeutschland von 64 (1991) auf 55 Prozent (2006) und in Ostdeutschland im selben Zeitraum von 42 auf 36 Prozent gesunken. Gestiegen ist somit auch der Anteil jener, die von zwei Einkommen leben – und jener, in denen die Frau mehr verdient.

Chance auf neue Rollen?

In Österreich arbeiten derzeit laut Statistik Austria (2014) bei 19 Prozent der Paare beide Teile Vollzeit, in rund acht Prozent ist nur die Frau erwerbstätig. In etwa 13 Prozent der Haushalte leistet die Frau den größeren Beitrag zum Haushaltseinkommen; hier sind allerdings Haushalte mit inbegriffen, in denen Frauen mit anderen Erwachsenen zusammenleben.

Aus diesen Konstellationen ergeben sich neue Möglichkeiten: Zum Beispiel könnte er doch die Küche putzen, wenn sie die Miete zahlt? Um herauszufinden, wie tatsächlich mit der neuen Situation umgegangen wird, interviewten Speck und Koppetsch 29 Paare aus unterschiedlichen Milieus. Sie wollten wissen, ob der Mann stärker die Verantwortung für Kinder und Haushalt übernimmt, wenn die Frau mehr Geld verdient.

Doppelbelastung für Frauen

"Überrascht hat uns vor allem das akademische Milieu, das wir 'individualisiertes Milieu' genannt haben", sagt Koautorin Speck über die Ergebnisse der Studie. Diese Paare würden einer "Gleichheitsillusion" erliegen: Sie seien stark auf Egalität aus, "ihre wichtigste Normen sind Unabhängigkeit – keiner darf auf den anderen angewiesen sein – und Selbstverwirklichung im Beruf." Schlussendlich würde das aber dazu führen, dass die Frau beides schultern muss: die Erwerbsarbeit und den Haushalt.

So ist es auch beim Beispielpaar Lisa und Frank. Bei ihnen erfolgt die Aufteilung der Kinderbetreuung, wie eigentlich vereinbart, keineswegs partnerschaftlich. Zunächst war Lisa in Karenz, nun ist Frank zu Hause beim Kind. Faktisch arbeitet Lisa nun aber die meiste Zeit von daheim aus – "und erfüllt somit beide Rollen: die der vollzeitbeschäftigten Familienernährerin und die der zu Hause verfügbaren Mutter", sagt Speck.

Ernährerin im Geheimen

Warum Lisa dieses offensichtlich ungleiche Arrangement akzeptiert? "Ihre primäre Sorge gilt nicht der Hausarbeit, ihr vorrangiges Anliegen ist, den Eindruck zu vermeiden, Frank werde beruflich benachteiligt." Also tut sie, ebenso wie ihr Partner, alles dafür, um ihre Situation bestmöglich auszublenden. "Dass Lisa mehr im Haushalt macht, begründet das Paar einerseits mit deren höheren Sauberkeitsstandards. Andererseits werden Haushaltstätigkeiten gegenüber dem Beruf gering geschätzt: Sie gelten als 'unsexy', zudem könnten sie angeblich nebenbei erledigt werden."

Dass der Mann in dieser Konstellation seinen finanziellen Anteil aber nicht leisten kann, versuchen die beiden ebenfalls durch unterschiedliche Strategien zu verstecken: Lisa leiht Frank nicht nur Geld, sondern lädt ihn auch wahlweise auf einen Urlaub oder zum Essen ein. "Alles, um nur ja keine neuen Praktiken, keine neue Form aushandeln zu müssen", sagt Speck.

Nur für kurze Zeit?

Im Milieu der Facharbeiter und Handwerker wiederum werde die Tatsache, dass die Frau Hauptverdienerin ist, indes als temporärer Zustand bewertet, den es schnell wieder zu ändern gelte: "À la: Das ist jetzt zwar so, aber bald wird alles wieder seine richtige Ordnung haben", sagt Speck. "Deshalb verlangt auch die Frau von ihrem Mann, nicht faul auf dem Sofa herumzuliegen und sich einen Job zu suchen." Indes kommt es kurzfristig zu einem Machtgewinn der Frau. "Sie behält es sich vor, größere Entscheidungen zu treffen und finanzielle Angelegenheiten zu regeln – sie verdient das Geld schließlich auch." Allerdings würde eine Neuverteilung der Aufgaben, zum Beispiel im Haushalt, nicht infrage kommen. "Sie schafft ihm maximal an, einmal den Geschirrspüler auszuräumen."

Das einzige Milieu, in dem die beiden Forscherinnen tatsächlich einen Rollentausch aufspüren konnten, war das der mittleren Angestellten und Beamten, in Sozialberufen und oftmals mit christlicher Wertorientierung. "Einzig dort fanden wir auch Hausmänner, die sich tatsächlich auch als solche bezeichnen, sagt Speck. Möglich werde das eben durch geteilte Werte. "Gemeinschaft und Familie werden als sehr wichtig angesehen. Haus- und Sorgearbeit sind damit nicht minderwertig, sondern Basis des Zusammenlebens." Allerdings werde auch in diesen Familien versucht, klassische Hausarbeit durch handwerkliche Tätigkeiten aufzuwerten. "Zum Beispiel übernehmen Männer Renovierungsarbeiten." Außerdem: "Wenn die Frau von der Arbeit nach Hause kommt, wird sie voll beansprucht und macht auch typischerweise noch die Wäsche".

Echte Gleichheit schaffen

Ihre Studienergebnisse würden zeigen, "wie stark traditionelle Leitbilder von Weiblichkeit und Männlichkeit immer noch bestehen", sagt Speck, "selbst wenn Paare behaupten, sie würden bei ihnen keine Rolle mehr spielen." Um echte Gleichheit zu schaffen, müsse gegen Geschlechterbilder also nicht nur im Beruf, sondern auch im Privaten angekämpft werden. "Die Familie ist offensichtlich ein sehr resistenter Bereich." Zudem hält die Soziologin eine Aufwertung von Haus- und Sorgearbeit für unabdinglich. "Einfach Erwerbstätigkeit als das höchste Ziel zu erklären schafft keine Gleichberechtigung."

Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie dürfe schließlich nicht mehr nur als Sache der Frau abgestempelt werden, sagt Speck. "Es braucht verpflichtende Papakarenz und ausreichend Kinderbetreuungsplätze." Damit sich die Lisas und Franks dieser Welt tatsächlich ihren neuen Rollen widmen können. (Lisa Breit, 5.3.2016)