Hassan al-Turabi im Jahr 2011.

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Khatum/Wien – Bis ganz am Schluss hat "der Scheich", wie seine Anhänger ihn nannten, mitgemischt. Den von Staatspräsident Omar al-Bashir auf den Weg gebrachten "Nationalen Dialog" wollte Hassan al-Turabi einmal mehr nutzen, um den Sudan nach seinen Vorstellungen zu gestalten. Am Samstag verstarb Turabi, der Anfang Februar 84 geworden war, an einem Herzinfarkt.

Wie sein ganzes politisches Leben stand auch seine letzte Rolle beim Nationalen Dialog, an dem seine PCP (Popular Congress Party) als einzige wichtige Oppositionspartei teilnahm, in der Spannung von Teilhabe und Opposition. Hassan al-Turabi galt als Architekt der Machtübernahme des Militärs Omar al-Bashir im Jahr 1989, der, obwohl – oder gerade weil – es einen Haftbefehl des Internationalen Gerichtshofs wegen Kriegsverbrechens in Darfur gibt, den Sudan heute noch immer regiert. Als Turabi 1999, als Parlamentspräsident, ein Gesetz vorschlug, das die Rolle des Staatspräsidenten beschneiden sollte, kam der große Bruch.

Danach ging der vom Zentrum der Macht entfernte Hassan al-Turabi jahrelang im Gefängnis ein und aus: Beinahe jeder politische Schritt, den das sudanesische Regime machte, wurde von ihm kritisch kommentiert, egal ob es sich um den Friedensvertrag mit dem Süden (2005), das Vorgehen in Darfur, die diversen Wahlen oder das Verhalten der Regierung bei Protesten während des arabischen Frühlings 2011 handelte. Das Regime seinerseits warf ihm von Putschabsichten bis zur Zusammenarbeit mit der Darfur-Rebellengruppe JEM (Justice and Equality Movement), die im Mai 2008 Khartum angriff, nicht weniger als Verrat vor.

Übergangsordnung

Diese Situation entspannte sich in den vergangenen Jahren etwas: Zuletzt hatte Turabi wohl eingesehen, dass er Bashir nicht entfernen konnte. Seitdem arbeitete er an einer "Übergangsordnung" unter Bashir, während der Turabis PCP und andere islamistische Parteien die Kräfte für die Zukunft sammeln könnten.

Dabei ging es Turabi um sein Vermächtnis: den politischen Islam. Turabis Rolle könnte da zwiespältiger nicht sein. Nicht erst unter Bashir, sondern schon zuvor, als Diktator Numeiris Justizchef, arbeitete Turabi an der Einführung der Scharia und war damit auch für den Wiederausbruch des schrecklichen Kriegs mit dem Süden in höchstem Maße verantwortlich, der letztlich zur Abspaltung des Südsudan führte. Turabis Karriere unter Mohammed Numeiri, der 1985 gestürzt wurde, glich jener unter Bashir insofern, als er auch unter Numeiri am Ende in Ungnade fiel und eingesperrt wurde, was ihm beim Neustart danach zugutekam. Ideologisch stammte Turabi aus der Muslimbruderschaft, seine 1976 gegründete NIF (National Islamic Front) war die Partei der sudanesischen Muslimbrüder. Aus ihr wurde später die Regimepartei National Congress Party, NCP.

Safe haven für Terroristen

Turabi, Inhaber eines Doktorats an der Pariser Sorbonne und mehrerer europäischer Sprachen mächtig, wurde immer wieder unter den einflussreichsten islamischen Denkern gelistet. Einerseits war seine Ideologie geprägt vom "Widerstand" gegen den Westen, besonders die US, und gegen allzu anpassungsfähige arabische Politiker. So gründete er 1991 die Popular Arab Islamic Conference (PAIC), auf deren Einladung in den 1990er Jahren allerhand islamistische Extremisten in den Sudan zu strömen begannen, nicht zuletzt auch Osama bin Laden. Der Sudan landete auf der Liste der Staaten, die den Terrorismus unterstützen – auch Mitglieder des "Islamischen Staats" fanden dort Unterschlupf, die 1995 Ägyptens Staatschef Hosni Mubarak zu ermorden versuchten.

In späteren Jahren fiel Turabi in seinen Schriften durch eine Islam-Interpretation auf, die den Konservativen viel zu liberal und progressiv war. Das betraf besonders die Rolle von Frauen, deren völlige Integration in das öffentliche Leben Turabi forderte. Auch die Notwendigkeit der weiblichen Kopfbedeckung und andere islamische Dogmen (Bestrafung der Apostasie, Alkoholverbot) stellte Turabi in Frage. Diese totale ideologische Kehrtwende verunsicherte Gegner und Anhänger gleichermaßen.

Der US-Journalist George Packer gab einmal in einem Artikel die Worte eines Sudanesen wieder: Es habe immer geheißen, dass Turabi Schuld am Tod von Professor Mahmud war. Nun stehle er dessen Ideen. "Professor Mahmud", das war der große sudanesische Reformtheologe Mahmud Mohammed Taha, der 1985 als Apostat hingerichtet wurde, nachdem er einen Teil der koranischen Überlieferung als heute nicht rechtlich relevant bezeichnet hatte. (Gudrun Harrer, 6.3.2016)